Elektroautos, autonomes oder automatisiertes Fahren … Jeder spricht davon, viele glauben daran, aber nur wenige wissen, von wem eigentlich diese automobile Zukunftsmusik komponiert wird. Dirk Hoheisel, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH, bringt es auf den Punkt: „Das autonome Fahren ist im Grunde nur die logische Weiterentwicklung moderner Assistenzsysteme.“ Und genau da liegt die große Chance für viele kleinere Unternehmen – aber auch die große Gefahr. Denn fast ein Drittel dessen, was für die Produktion eines aktuellen Fahrzeugs mit konservativem Verbrennungsmotor benötigt wird, braucht dann niemand mehr. Von der Einspritzpumpe über den Tank, den Auspuff und Nockenwellen bis hin zum normalen Fahrersitz – die Zukunft sieht für die Konsumenten und die Automobilhersteller rosig aus. Und die Zuliefererunternehmen? Sie können sich anpassen oder einpacken. Mal eben eine hochmoderne Batterie herstellen in einer Werkshalle, in der gerade eben noch eine Pleuelstange gefertigt wurde? Nicht möglich. Für die Zulieferer geht es ums Überleben. „Die Hersteller stehen mit dem Endprodukt Auto beim Verbraucher im Fokus – aber die Zulieferer sind ein entscheidender Kern der Innovationskraft der deutschen Automobilindustrie. Mehr als 75 Prozent der Wertschöpfung werden von Zulieferern erbracht“, erklärt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Und weiter: „Zulieferer können in Ihrer Bedeutung für unsere Automobilindustrie gar nicht genug geschätzt werden.“
Doch noch ist eine Welt ohne Verbrenner und ohne Fahrer in weiter Ferne. Ob zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahre – Experten streiten sich nicht erst seit gestern um einen ungefähren Zeitraum. Zumindest die von deutschen Herstellern lange belächelte und von asiatischen Herstellern vorangetriebene Hybridisierung ist in jedem Fahrzeugsegment angekommen. Bei dem autonomen Fahren sieht das noch etwas anders aus. „Ein Beginn von autonomem Fahren ist ab 2025 realistisch und ich denke, er wird in Europa sein. In den USA wird zwar viel Entwicklungsarbeit geleistet, besonders im Silicon Valley. Aber die gesetzlichen Grundlagen werden zuerst in Europa geschaffen werden und die Akzeptanz der Kundschaft wird in Europa am größten sein“, meint Delphi Technikvorstand Jeff Owens. Warum seinen Worten eine besonders hohe Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, liegt daran, dass das Wuppertaler Unternehmen zu den führenden Herstellern von Lösungen zum automatisierten Fahren zählt. Für dieses Jahr sind erste Testfahrten auf einem 17 Kilometer langen Abschnitt der Landstraße 418 in Wuppertal geplant. Und nein, sie ist nicht gerade und verkehrsarm. Steigungen, Gefälle, Kurven, ein Kreisverkehr, Auf- und Abfahrten sowie Ampeln sind hier vorzufinden. Bislang musste in den USA getestet werden. Die Teststrecke inmitten von Nordrhein-Westfalen gilt nicht ohne Grund als Vorreiter auf diesem Gebiet. Delphi unterstützt das Programm durch Sensorik, Steuergeräte und Bordnetze. Allein in dem Fahrassistenzsystemsektor werden aktuell weltweit 30 Milliarden Euro umgesetzt.
Neue Stärke der Zulieferer
Insgesamt lag der Umsatz der deutschen Automobilzulieferer im Juli 2015 mit 44,8 Milliarden Euro knapp drei Prozent über dem Vorjahresniveau. Dabei wuchsen die Exporterlöse um fünf Prozent auf 16,8 Milliarden Euro und der Inlandsumsatz um zwei Prozent auf 27,9 Milliarden Euro. „Mit über 300.000 Mitarbeitern haben die Zulieferer zu neuer Stärke gefunden“, so Klaus Bräunig, Geschäftsführer des VDA. „Die globale Einkaufspolitik der Automobilhersteller verlangt, dass die Zulieferer weltweit lieferfähig sind – bei gleichbleibender Qualität und wettbewerbsfähigen Preisen. Deshalb legen auch kleine und mittelgroße Zulieferer inzwischen den Grundstein für eine erfolgreiche Wachstumsstrategie mit einem Engagement vor Ort. Viele kleinere Mittelständler ohne ausländische Fertigungskapazitäten stehen vor der Entscheidung, in die Wachstumsmärkte zu investieren. Sie müssen regelmäßig ihr Geschäftsmodell überprüfen, um Teil der internationalen, wettbewerbsintensiven Wertschöpfungskette bleiben zu können“, erklärt er weiter. Oder anders formuliert: Wer einen Auftrag in Fernost oder Südamerika nicht mehr bekommt, steht über kurz oder lang auch in Deutschland im Abseits. Umso wichtiger ist zugleich die Erkenntnis von Matthias Wissmann: „Die Qualität der Fahrzeuge deutscher Hersteller und Lieferanten ist nach wie vor erstklassig. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben daran nichts geändert. Die gute Zusammenarbeit zwischen ihnen ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis der deutschen Automobilindustrie. Allein in den kommenden drei bis vier Jahren investieren die deutschen Hersteller und Zulieferer 16 bis 18 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung zum vernetzten und automatisierten Fahren.“
Ein besonders großer Teil eines Fahrzeugs, ob nun elektrisch oder konservativ angetrieben, ist der Innenraum. In Zeiten, in denen sich kein Insasse mit den anderen Verkehrsteilnehmern mehr beschäftigen muss, da das Fahrzeug von ganz allein die Strecke von A nach B meistert, kann sich hier richtig ausgetobt werden. Und das ist nicht nur wortwörtlich gemeint. Der Gestaltung, sprich dem Design, öffnen sich völlig neue Dimensionen. Von der ständigen Nutzung des Internets, der Verbindung sämtlicher Smartphones und Tablets mit dem Fahrzeug selbst bis hin zur völligen Neugestaltung der Umgebung ist alles denkbar. „Was wir aktuell in Konzeptfahrzeugen sehen, ist viel Zukunftsvision“, sagt Andreas Maashoff. Der Designchef des weltweit größten Sitzherstellers Johnson Controls Automotive Seating weiß schon heute, wie die Sitze von morgen ausschauen werden. Das im rheinischen Burscheid ansässige Unternehmen präsentiert individuell bedruckbare Sitzbezüge, die jeden Innenraum zum Unikat werden lassen. Und auch für die Sitze selbst brechen ganz neue Zeiten an. Sie müssen schließlich nicht mehr nur in Fahrtrichtung installiert werden. Durch 3-D-Druck-Verfahren lassen sich komplett individualisierte Sitze kreieren, die vom einfachen Polster bis hin zum edel designten Loungesessel reichen können. An diesem Beispiel ist gut zu sehen, dass die Anzahl der Chancen für Zulieferunternehmen aktuell kaum größer sein kann. Mit dem Druck, der aus Asien immer stärker zunimmt, ist es allerdings nicht leicht, diese Chancen auch tatsächlich gewinnbringend zu realisieren.
Marcel Sommer | redaktion@regiomanager.de
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