„Künstliche Intelligenz ist die wohl wichtigste Zukunftstechnologie.“ Das sagt Adél Holdampf-Wendel – und viele dürften der Bereichsleiterin Future of Work und Arbeitsrecht beim Digitalverband Bitkom beipflichten. Doch welche Folgen hat das für die Player im IT-Spiel? Die Branche war jahrelang erfolgsverwöhnt – auch was Jobchancen und Stundensätze angeht. Jetzt sind Stimmen zu hören, die eine existenzielle Gefährdung des Programmierers durch KI sehen. Frisst die disruptive Technologie sozusagen ihre Eltern? Oder ist ganz im Gegenteil ein weiterer Boom zu erwarten?
„Technologische Umwälzungen haben schon immer dazu geführt, dass einzelne Berufe verschwunden sind, gleichzeitig sind aber immer völlig neue Berufe entstanden – das wird mit KI nicht anders sein“, prognostiziert Adél Holdampf-Wendel. Durch die Verbreitung generativer KI-Anwendungen sei aktuell beispielsweise das neue Jobprofil „Prompt-Engineering“ stark nachgefragt, bei dem es darum geht, Anweisungen an die KI besonders gut zu formulieren. „In den meisten Berufen wird KI einzelne Tätigkeiten verändern oder übernehmen, sie aber nicht komplett überflüssig machen.“ Bei der Softwareentwicklung könne KI bereits heute repetitive Aufgaben übernehmen, zum Beispiel bei der Dokumentation oder bei der Qualitätskontrolle. „Die KI kann zudem durch die Analyse von großen bzw. komplexen Datenmengen und Codes als Entscheidungsassistenz zurate gezogen werden. Dadurch wird der Mensch nicht überflüssig, er kann sich vielmehr stärker auf den kreativen Entwicklungsprozess konzentrieren.“
Vergleich mit Robotik
„Die Bedrohung der Arbeitsplätze durch die KI ist vermutlich ähnlich zu sehen wie die Einführung der Robotik in der Fertigungsindustrie“, meint Matthias Meyer aus dem Vorstand von networker NRW. „Gewisse Tätigkeiten können von automatischen Systemen gut, manchmal vielleicht sogar besser als von einem Menschen erfüllt werden. Themen wie echte Kreativität und echte Innovation werden durch den Einsatz von solchen Systemen allerdings maximal unterstützt werden. Daher ist von einer Verschiebung der Aufgaben auszugehen.“
Aus Sicht von Matthias Meyer wird der Begriff künstliche Intelligenz durch den ausgelösten Hype sehr inflationär verwendet. „Von echter Intelligenz sind die aktuellen Systeme noch weit entfernt, trotzdem fühlen sie sich für die Endanwender oftmals intelligent an.“ Der Einstieg in die Nutzung großer Sprachmodelle (LLMs) sei durch die Einführung von Chatbots deutlich vereinfacht worden. „Die generativen Systeme nehmen immer mehr Einzug in unseren Alltag. Dies führt so weit, dass in voraussichtlich nicht allzu ferner Zukunft fast jedes Eingabefeld – durch pseudo-künstliche Intelligenz – versuchen wird, den Endanwender in der Eingabe zu unterstützen.“
Große Chancen
Seine Folgerung: „Die Chancen der Branche sind daher so groß wie nie. Die durch LLMs geschaffene Möglichkeiten, das Verständnis für menschliche Eingaben zu optimieren, schließt eine Lücke, die bisher immer ein Hindernis in der Mensch-Maschine-Interaktion war. Bisher musste sich der Mensch in der Bedienung der Maschine anpassen. Dies wird sich nun stetig weiter ändern und immer mehr natürlichsprachliche und menschlich intuitive Lösungen werden durch die Branche dem Markt zur Verfügung gestellt.“ „Programmiererinnen und Programmierer sind gut beraten, Offenheit gegenüber KI zu zeigen und zu erkunden, wie die Technologie sie am besten unterstützen kann“, betont Adél Holdampf-Wendel. „Softwareentwicklung erfolgt heutzutage in agiler und funktionsübergreifender Teamarbeit, wobei Kreativität, Innovationsfähigkeit und Kommunikation essenziell sind. Mit der Stärkung dieser Kompetenzen werden Softwareentwicklerinnen und Softwareentwickler auch in Zukunft punkten können.“
Kompetenzen erweitern
Matthias Meyer empfiehlt, neben den Programmierkenntnissen auch die Fähigkeiten im Bereich des maschinellen Lernens und der Mustererkennung weiterzuentwickeln. „Die immer weiter steigende Automatisierung und Unterstützung, z. B. durch Systeme wie den GitHub Copilot, wird auch die Aufgaben von Programmierern ändern. Die Anforderungen an Entwickler werden sich mehr in den Bereich des Designs von Gesamtarchitekturen sowie die Übersetzung von Businessanforderungen in Software verlagern.“
Laut Bitkom-Verband gibt es bezüglich der Entwicklung von KI noch Großbaustellen: „Deutschland ist seit Jahrzehnten bei der KI-Forschung ganz vorne mit dabei und hat exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Land“, meint die Bereichsleiterin Future of Work. „Wo es bislang hakt, ist, diese Forschung in marktfähige Lösungen zu übersetzen; hier laufen uns Unternehmen vor allem aus den USA und China mit Abstand den Rang ab.“ Die vorhandenen Stärken müssten daher besser genutzt werden. „Es genügt nicht, einzelne Leuchttürme und beeindruckend starke KI-Start-ups in Deutschland zu haben. KI ist eine Querschnittstechnologie und braucht eine breite Basis in der gesamten Wirtschaft. Damit das gelingt, müssen wir u.a. die in Deutschland sehr restriktiven Regeln für die Verwendung nicht sensibler Daten anpassen. Wenn wir Milliarden in die KI-Forschung stecken, der KI dann aber die Daten entziehen, ohne die eine KI nun einmal nicht genutzt werden kann, dann macht das keinen Sinn.“
Daniel Boss | redaktion@regiomanager.de
Teilen: