Sie gelten als die edelsten aller Fabelwesen, symbolisieren das Gute und treten in Geschichten und Märchen höchst selten auf – Einhörner. Ebenfalls nicht allzu häufig sind Start-up-Unternehmen zu finden, die noch vor dem Exit, dem Ausstieg ihrer Risikokapitalgeber also, mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Der gemeinsame Seltenheitswert war es wohl, der pfiffige Namensgeber im Jahr 2010 dazu veranlasste, solche Start-ups „Einhörner“ oder auf Englisch „Unicorns“ zu taufen. Doch ganz so selten wie die gehörnten Fabelwesen im Märchen kommen Unicorns in der Wirtschaft gar nicht vor. Weltweit betrachtet sind sie noch immer am häufigsten im Silicon Valley anzutreffen. In Deutschland konzentrieren sich junge Wachstumsunternehmen mit einer Bewertung von mehr als einer Milliarde Dollar in Berlin.
Die deutsche Hauptstadt liegt im internationalen Ranking von Standorten für die Start-up-Szene sogar recht weit vorn. So hat etwa der Seed-Stage-VC Sparklabs, ein international aufgestellter Risikokapitalgeber, Mitte 2016 zum zweiten Mal untersucht, welche „Ökosysteme“ international die besten Bedingungen für junge aufstrebende Unternehmen bieten. Berlin liegt mit 53 von 80 möglichen Punkten zwar auf dem letzten Platz der Top Ten, hat es aber wie bereits im Vorjahr wieder unter die zehn besten Start-up-Standorte geschafft. Allerdings ist die Metropole auch die einzige deutsche Stadt, die in der Hitliste des Seed-Stage-VC Sparklabs überhaupt auftaucht.
Um die Top Ten herauszufiltern, haben die Experten international Ökosysteme auf acht Faktoren hin unter die Lupe genommen: Möglichkeiten für Finanzierungen und Exits, vorhandenes technologisches Talent, Angebote für aktives Mentoring, technische Infrastruktur, bereits bestehende Start-up-Kultur, rechtliche Rahmenbedingungen, Wirtschaftsförderung sowie Programme von Politik und Verwaltung. Platz eins belegt mit 77 Punkten unverändert das Silicon Valley. Auf Rang zwei und drei folgen Stockholm und Tel Aviv. Platz zehn belegen gleichauf London und Berlin.
Florierende Start-up-Kultur in Berlin
Doch was zieht Unternehmensgründer so in die deutsche Hauptstadt? Was ist es, das Berlin zum deutschen Silicon Valley an der Spree werden lässt? Vor allem senkten die nach wie vor niedrigen Lebenshaltungskosten die Einstiegshürden, heißt es in der Studie des Seed-Stage-VC Sparklabs. Zudem habe sich Berlin in den vergangenen Jahren zum am schnellsten wachsenden, dynamischsten Tech-Ökosystem Europas entwickelt. Die florierende Start-up-Kultur lockt Gründer aus der ganzen Welt an.
In der Untersuchung werden auch Start-ups aufgeführt, die nach Ansicht der Autoren exemplarisch für das Ökosystem Berlin stehen. Darunter befinden sich etwa der Hersteller von Spielesoftware Wooga, der Softwareentwickler Splash, der Kochboxenversender Marley Spoon, die Online-Reiseplattform GoEuro und einige andere. All diese Unternehmen mögen typisch für die Berliner Start-up-Szene sein. Aber: Unicorns sind sie nicht – zumindest noch nicht.
Anders sieht es bei den Unternehmen aus, die die internationale Tageszeitung „The Wall Street Journal“ zu ihrem „Billion Dollar Startup Club“ zählt. Die Anzahl der Wachstumsfirmen, die zu diesem illustren Kreis gehören, wird monatlich ermittelt. Im Juni 2017 liegt die Zahl der Unicorns dem Ranking des Wall Street Journal zufolge bei 162 weltweit, 16 Einhörner gibt es derzeit in Europa, vier davon sind deutsche Unternehmen – und drei haben ihren Sitz in Berlin. Bis September 2016 war auch das Berliner Online-Möbelhaus Home 24 Mitglied im Klub, das Ikea starke Konkurrenz macht. Nachdem sich die Bewertung des Unternehmens jedoch halbiert hatte, schied es aus dem Billion-Dollar-Zirkel aus. Der Online-Modeshop Zalando und das Beteiligungsunternehmen Rocket Internet, beide ebenfalls ehemalige Start-ups aus der Spree-Metropole, hatten ihren Unicorn-Status bereits im Herbst 2014 abgelegt. Ihnen gelang mit dem Börsengang die
Ablösung von den Risikokapitalgebern.
Die deutsche Nummer eins: Delivery Hero
Dieser steht Delivery Hero noch bevor. Die Online-Plattform für Essenbestellungen liegt mit einer Bewertung von 3,1 Milliarden Dollar derzeit auf Platz zwei im Ranking der europäischen Unicorns. Getoppt wird das Berliner Start-up nur von der schwedischen Musikstreaming-Plattform Spotify, die zuletzt mit fabelhaften 8,5 Milliarden Dollar bewertet wurde. Delivery Hero wurde erst 2011 gegründet. Mitgründer Niklas Östberg, ein ehemaliger Unternehmensberater, der aus Schweden stammt, ist bis heute Geschäftsführer.
In Deutschland ist das Berliner Einhorn mit den Plattformen Lieferheld, Pizza.de und Foodora vertreten. Weltweit ist das Unternehmen in 33 Ländern aktiv, darunter in der Türkei, Südkorea, Großbritannien, in einigen südamerikanischen Ländern und im Nahen Osten. Delivery Hero zählte 2016 rund 3.000 Mitarbeiter, davon etwa 900 in Berlin. Der Umsatz lag bei 297 Millionen Euro.
Auch bei dem Start-up, das Rang zwei unter den deutschen Unicorns und Platz vier in der europäischen Hitliste einnimmt, geht es ums Essen. HelloFresh heißt der Berliner Lieferant von Kochboxen, der aktuell eine Bewertung von 2,2 Milliarden Dollar aufweist. Anders als bei Delivery Hero lassen sich die Kunden von HelloFresh-Mitgründer und -Chef Dominik Richter die bestellten Gerichte aber nicht einfach fertig bis an die Haustür liefern. Stattdessen haben sie Spaß am Kochen, was mit den vorbereiteten Boxen von HelloFresh sowie den beiliegenden Rezepten allerdings etwas bequemer und schneller geht. 20 bis 30 Minuten soll es ungefähr dauern, bis die Mahlzeit fertig ist, jeder Schritt wird erklärt.
Erst wachsen, später profitabel werden
HelloFresh wurde 2011 von Richter und zwei weiteren Unternehmensgründern auf die Beine gestellt. Wie bei vielen jungen Wachstumsunternehmen ist auch bei dem Kochboxen-Versender die Berliner Start-up-Schmiede Rocket Internet finanztechnisch im Boot, seit 2015 sogar als Mehrheitsgesellschafter. Ende 2012 beteiligte sich außerdem die Vorwerk-Gruppe. Das Unicorn wächst extrem schnell: Nur vier Jahre nach der Gründung schrieb HelloFresh bereits einen Umsatz von rund 300 Millionen Euro. Das rasante Wachstum ist gerade für Start-ups, an denen Rocket Internet beteiligt ist, typisch. Denn die Strategie lautet: Erst wachsen und später profitabel werden. HelloFresh beschäftigt inzwischen 800 Mitarbeiter und ist in sieben Ländern vertreten – selbst in Australien können Kochboxen im Abonnement bestellt werden.
Direkt nach HelloFresh auf Platz fünf im „Billion Dollar Startup Club“ kommt die CureVac AG. Das Start-up ist in der Biopharmazie tätig und hat sich auf die Erforschung und Entwicklung von Arzneimittel auf Basis der sogenannten Boten- oder Messenger-RNA spezialisiert. Der Botenstoff wird dafür verwendet, Proteine zu erzeugen, mit denen viele Krankheiten bekämpft werden können. Unter anderem arbeitet CureVac an Verfahren, mit denen sich Impfstoffe zur Vorbeugung von Entzündungen und Krebs herstellen lassen sollen. Mit 1,7 Milliarden Dollar ist das bereits im Jahr 2000 gegründete Einhorn derzeit bewertet. Es beschäftigt rund 250 Mitarbeiter – und hat seinen Sitz nicht in Berlin, sondern in der Universitätsstadt Tübingen.
Ein deutsches Unicorn findet sich im Ranking des Wall Street Journal noch. Die Auto1 Group belegt mit einer Bewertung von 1,2 Milliarden Dollar aktuell den neunten Platz. Das Geschäftsmodell des 2012 gegründeten Berliner Start-ups: Die Auto1 Group bewertet und kauft Gebrauchtwagen, um sie an Autohändler weiterzuverkaufen. Innerhalb von zehn Tagen, so das Versprechen des Online-Marktplatzes, ist der Verkäufer seinen Wagen los. In 20 Märkten ist das junge Unicorn bereits vertreten. Hierzulande betreut die Auto1 Group 13 Logistikzentren, in den vier Berliner Büros sind rund 400 Mitarbeiter tätig. Und: Die Expansion in den US-Markt ist angepeilt. Schließlich geht es auch bei dem Online-Automarktplatz um Wachstum. Wie es typisch ist – für
Einhörner. Andrea Martens I redaktion@regiomanager.de
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