Management

Immer bereit zur Kurskorrektur

„Pivoting“ nützt fast jedem Unternehmen, sagt Nils Högsdal. Er machte das Konzept in Deutschland bekannt.

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von Regiomanager 25.11.2020
(Foto: ©pict rider – stock.adobe.com)

SWM: „Pivoting“ ist ein Modewort in der Gründerszene. Worum geht es dabei?


Nils Högsdal: Ein Pivot ist eine Kurskorrektur mindestens eines wesentlichen Aspekts des Geschäftsmodells. Das kann ein Vertriebskanal oder das Kundensegment sein, das kann die sogenannte Value Proposition sein, also das Wertversprechen, das man dem Kunden macht. Wichtig ist, nicht mehrere Aspekte gleichzeitig zu ändern, weil man dann nicht mehr weiß, wodurch die Änderung bewirkt wurde.


SWM: Woher kommt der Begriff?


Nils Högsdal: Eric Ries hat in „The Lean Startup“ den Begriff „Pivot“ geprägt – als Methode, um ein neugegründetes Unternehmen schnell erfolgreich zu machen. Dieses Buch hat es in den Olymp der Management-Konzepte geschafft. Ries’ Mentor Steve Blank, mit dem ich zusammenarbeiten durfte, hat in seinem Buch „The Startup Owner’s Manual“ die beste Definition eines Start-ups geliefert: nämlich „eine agile Organisation auf der Suche nach einem nachhaltig skalierbaren Geschäftsmodell“. Sobald also ein Start-up ein funktionierendes Geschäftsmodell gefunden hat, verlässt es den Suchmodus und wird zum Scale-up. Start-ups müssen so agil sein, weil die Finanzierung heute meist von einem zum nächsten Meilenstein reicht. Früher bekamen Start-ups noch so viel Geld, dass es oft bis zum Börsengang reichte.


SWM: Was für Beispiele gibt es für erfolgreiche Pivots?


Nils Högsdal: Ein Start-up, bei dem ich von Anfang an engagiert bin, macht Software, die Warteschlangen verhindern hilft. Die Gründer zerbrachen sich den Kopf über mögliche Use Cases. Sie überlegten sogar, ob Leute Geld dafür zahlen würden, vor der Disco nicht anstehen zu müssen. Heute setzen Versicherungen diese Lösung für ihre Callcenter ein. Es macht rechtlich einen Riesenunterschied, ob eine Versicherung mich anruft oder ich die Versicherung. Nur wenn ich anrufe, darf die Versicherung mir etwas verkaufen. Wer mit der Software bei der Versicherung anruft, kommt also sofort durch. Das Unternehmen ist heute unter dem Namen „virtualQ“ sehr erfolgreich.


SWM: Wie läuft ein Pivot ab?


Nils Högsdal: Rede mit dem potenziellen Kunden, mache Experimente – zum Beispiel auf der Website. Ich habe früher auch Software entwickelt und wir haben manchmal einfach eine Idee gehabt, einen Prospekt entwickelt und mit den Kunden geteilt. Und mitunter kamen dann Bestellungen rein, obwohl es das Produkt noch gar nicht gab. Autohersteller präsentieren auf Messen gern Studien und sehen sich an, was die Besucher davon halten. Oder aber ein Unternehmen stellt fest, dass ein Produkt anders genutzt wird als eigentlich vorgesehen. Das kann einem helfen, einen neuen Markt, ein neues Geschäftsmodell zu erkennen. So wurde die Software „Zoom“ eigentlich für Unternehmen entwickelt, hat aber durch die Nachfrage nach Videokonferenzen unter Corona-Bedingungen auf einmal im Bildungsbereich Erfolg.


SWM: Pivoting ist also nicht nur für Start-ups interessant?


Nils Högsdal: Nehmen wir den weltbekannten Werkzeugmaschinenhersteller Trumpf, der seine eigene Bank gegründet hat. Wenn ein großer Mittelständler für die Finanzierung einer Maschine zur Hausbank geht, erhält er vielleicht nur 50 Prozent des Kaufpreises, da die Bank ja nichts mit der Maschine anfangen kann, wenn der Käufer in Zahlungsschwierigkeiten gerät. Trumpf dagegen kann die Maschine ganz anders wiederverwerten, falls das Unternehmen in Schieflage gerät.


SWM: Lässt sich der Erfolg von Pivoting messen?


Nils Högsdal: Das Start-up „Genome Project“ hat 2012 festgestellt, dass ein erfolgreiches Start-up im Schnitt dreimal sein Geschäftsmodell in einem wesentlichen Aspekt geändert hat. Außerdem kam heraus, dass Start-ups, die einen oder zwei Pivots machen, 2,5-mal mehr Kapital einsammeln. Sie haben außerdem ein 3,6-fach höheres Nutzerwachstum und skalieren mit 52 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit als Start-ups, die mehr als zwei Pivots oder gar keinen machen.


SWM: Inwieweit entscheidet Pivoting über die Existenz von Unternehmen?


Nils Högsdal: Ein Beispiel ist mein eigenes, früheres Unternehmen für Firmenplanspiele, das auch heute noch existiert. Um 2004 fragte ein Kunde an, ob die Softwaretrainingslösung übers Internet statt lokal installiert werden könnte. Es war technisch anspruchsvoll. Im ersten Jahr brachte es ein oder zwei Prozent des Gesamtumsatzes. Als ich acht Jahre später ging, war es schon fast ein Drittel vom Gesamtumsatz. Und heute würde das Unternehmen nicht mehr existieren, wenn wir es nicht gemacht hätten – auch wenn die Lösung seitdem zweimal komplett neu gebaut werden musste.


SWM: Wie äußern sich Widerstände gegen Pivoting?


Nils Högsdal: Empirisch hat sich gezeigt: Wer allein gründet, tut sich wesentlich schwerer, einen Pivot zu machen. Ich brauche offenbar tatsächlich meist die Teamsichtweise, den Blick über den Tellerrand hinaus. In einem beliebigen Markt hält die Nummer eins oder zwei erfahrungsgemäß länger an Dingen fest, die man hat. Und es ist die Frage, ob man sich einen Pivot leisten kann. Manche Tageszeitungen halten sich – überspitzt gesagt – über Wasser, indem sie die Abopreise ständig erhöhen, um der sinkenden Auflage entgegenzuwirken. Christoph Keese, früher bei Axel Springer und Autor des Buchs „Silicon Valley“, sagt: Das Gefährlichste, das es gibt, ist, in einer Branche zu sein, in der der Umsatz jedes Jahr um drei bis fünf Prozent runtergeht. Denn eine Krise, ein Absatzeinbruch um 20 oder 30 Prozent, zwingt zur Anpassung. Bei drei bis fünf Prozent kann man immer dagegen ansparen.


SWM: Fällt Ihnen ein Unternehmen ein, das den Pivot verpasst hat?


Nils Högsdal: Nokia ist für mich ein Extrembeispiel. Das Symbian-Betriebssystem war auf jedem Gerät, es war einer der Erfolgsfaktoren von Nokia, als gefühlt die halbe Welt ein Nokia-Handy hatte. Aber Symbian war ein geschlossenes Ökosystem; Nokia hat nicht mehr davon profitiert, sobald das Handy beim Kunden war. Die ganze App-Entwicklung haben Apple IOS und dann Android unter sich ausgemacht. Sie wurden zu einem wichtigen Teil des Erlösmodells, von dem Nokia nicht mehr profitierte. Der ursprüngliche Marktführer ist innerhalb weniger Jahre in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht. Immerhin konnte Nokia beim Verkauf an Microsoft seine vielen Patente noch erfolgreich als Verhandlungsmasse einsetzen.

Claas Möller | redaktion@regiomanager.de

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