Die „schwäbische Revolution” begann Anfang der 90er Jahre. Porsche hatte viel zu lange Modelle gebaut, die immer weniger den Geschmack der Autofahrernation fanden. Das Unternehmen rollte von der Erfolgsspur geradewegs in die Krise und galt schon als Übernahmekandidat. Doch Dr. Wendelin Wiedeking sollte es richten. Der Maschinenbauer kam nach Zuffenhausen, als Japan zum Elektronikgiganten der Welt aufstieg und Toyota der Autoindustrie in Deutschland und den USA das Fürchten lehrte. Ein wenig Nostalgie und ganz viel Verklärung schwingen deutlich mit, wenn heute über die Porsche-Rettung berichtet wird. Wiedeking, so heißt es, soll sich angesichts der Herausforderung an die Lektüre des Buches „Die zweite Revolution der Automobilindustrie“ erinnert haben, in dem das Toyota-Produktionssystem und die damit verbundene Unternehmensphilosophie beschrieben wurden. Von „Lean Production”
ist darin die Rede, von einer schlanken Produktion, die durch Reduzierung und Eliminierung von Verschwendung permanent optimiert wird. Berichtet wird über „Keiretsu“, das intensive Miteinander von Abteilungen, Produktionsstandorten, Lieferanten und Kunden, die sich konsequent nach denselben Methoden des Strebens nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung ausrichten und organisieren. Und es geht um „Kaizen“, der japanischen Lebens- und Arbeitsphilosophie, die, vom Unternehmen und Mitarbeitern gleichermaßen getragen, im Zentrum des Handelns steht.
Crashkurs in Japan
Wendelin Wiedeking machte sich genau auf diesen neuen Weg: Er engagierte die japanische Unternehmensberatung Shingijutsu, eine Tochtergesellschaft von Toyota, schickte seine engsten Mitarbeiter zu einem Crashkurs nach Japan und verpasste der Belegschaft anschließend einen intensiven Einblick in die asiatische Philosophie, mit der sich die Unternehmenskultur deutlich ändern sollte: „Jeden Tag ein bisschen besser werden“, hieß die Devise. Nichts Aufwendiges sei hinzugekommen, das bereits Vorhandene sei einfach besser eingesetzt worden, wird als Ergebnis beschrieben. Das glänzt insbesondere durch mehr Effizienz und Qualität und ist bis heute beispiellos in der Automobilindustrie: Porsche wurde zum profitabelsten Autobauer der Welt.
Verschwendung vermeiden
Der „Toyota-Way” gilt in Japan längst als Grundlage wirtschaftlicher Strukturen, und Kaizen ist Bestandteil des täglichen Lebens geworden. Der Begriff setzt sich aus den Wörtern „Kai“ („Veränderung“) und „Zen“ („zum Besseren“) zusammen und lässt sich als „Ersatz des Guten durch das Bessere“ übersetzen. Entwickelt wurde Kaizen nach dem Zweiten Weltkrieg vom Autohersteller Toyota als Managementkonzept, um die brachliegende Wirtschaft in der Heimat anzukurbeln. Fünf Elemente stehen dabei im Mittelpunkt: Qualitätsorientierung, Kundenorientierung, Prozessorientierung, Standardisierung und Kritikorientierung. Die Methode soll Unternehmen dabei helfen, die Qualität stetig zu verbessern, ohne dafür Riesensummen investieren zu müssen. Schnelle Lösungen werden gesucht, um bei hoher Qualität Vorgänge im Unternehmen zu standardisieren, nach Perfektion zu streben, Schwachstellen zu erkennen und auszumerzen sowie weniger gute Vorgehensweisen zu optimieren. Der Verschwendung von Ressourcen geht es an den Kragen, ganz oben steht die Einbindung aller Mitarbeiter in den Prozess.
Verbessern und optimieren
Weltweit bekannt wurde das fernöstliche Prinzip durch Masaaki Imai, der 1986 das Buch „Kaizen: Der Schlüssel zum Erfolg der Japaner im Wettbewerb” veröffentlichte. Kaizen wird darin als ständige Verbesserung beschrieben, die kontinuierlich und in kleinen Schritten und mit eher undramatischen Auswirkungen erfolge und mit einem geringen Einsatz von finanziellen Mitteln und Technologie umgesetzt werden könne. „Kaizen ist ein Denken, das sich nicht mit dem Status quo zufriedengibt, sondern das darauf zielt, den ganz konkreten aktuellen Status ständig zu verbessern und zu optimieren“, erläutert der Kaizen-Pionier.
Besseres finden
Imai verbreitete seine Ideen auch durch die Gründung der Kaizen-Institute, die heute in über 60 Ländern, in mehr als 30 Sprachen und in über 30 Branchen ihre Beratungsdienste anbieten. „Wir wollen den Menschen in den Unternehmen keine Verbesserungen vorsetzen, sondern Verbesserungen mit ihnen zusammen identifizieren, entwickeln und realisieren. Umgesetzt werden soll dies auf allen Hierarchieebenen; vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Mitarbeiter in der Produktion“, erläutert Carmen Beernaert. Die Geschäftsführerin der Kaizen-Institute in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist überzeugt, dass die Kaizen-Philosophie nicht nur in Japan und Asien erfolgreich umgesetzt werden kann. Kaizen sei frei von Kulturen, ein Ansatz, der auch europäische Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit stärke und sie in die Lage versetze, auf dem globalen Markt erfolgreich zu agieren. Ziel der Philosophie sei die „Verbesserung von jedem, immer und überall“. Diese Verbesserungen und Veränderungen seien zu Beginn minimal und kaum wahrnehmbar, die Entwicklung sei aber rasant: „Unternehmen erkennen, dass sie mit dieser Philosophie personelle und materielle Verschwendung Schritt für Schritt reduzieren können.“
Mensch im Mittelpunkt
„Damit echter Wandel gelingt, stellt Kaizen die Menschen konsequent in den Mittelpunkt“, erläutert Carmen Beernaert. Mit der Analyse ausgewählter Unternehmensbereiche gehe es darum, mögliche Verbesserungen zu identifizieren, Lösungsansätze zu erarbeiten und am Ende passende Maßnahmen umzusetzen. „Jeder sollte seine Verantwortlichkeit erkennen und annehmen, das Management das Prinzip vorleben. Wer jeden Tag die Arbeit macht, erkennt die Strukturen, kann Abläufe beurteilen und mögliche Verbesserungen etwa bei Durchlaufzeiten, Qualität, Kosten, Lieferfähigkeit, Service oder Motivation anregen.“
Kontinuierlicher Wandel
Dabei gehe es nicht um große und abrupte Veränderungen. Getreu dem Motto „learning change by doing change“ solle vielmehr der Wandel kontinuierlich gelebt werden: „365 kleine tagtägliche Verbesserungen im Jahr machen einen Riesenunterschied“, ist Beernaert überzeugt.
Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de
Info
Erfolge lassen sich messen Sekunden helfen sparen
Veränderungen durch Kaizen lassen sich messen. Beispielsweise können langwierige Aufgaben durch den Einsatz einfacher Hilfsmittel ersetzt werden. So sparte der Einsatz eines „Sticker Pickers“ insgesamt 35,1 Sekunden pro Auto ein. Bei globaler Anwendung wurden dadurch im Jahr 2018 zehn Jahre Arbeit eingespart.
Toshiyuki Masatsugu hatte die Idee, hängende Schraubendreher mit flexiblen Schnüren zu stabilisieren. Die Folge: 3,33 Arbeitsstunden ließen sich dadurch pro Monat einsparen. In einem Unternehmen mit 100 Angestellten sparte er durch diese einfachen Kaizen-Maßnahmen jedes Jahr umgerechnet mehr als 100 Millionen Euro.
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