Ab jetzt sollen nur noch Aktien von Unternehmen ins Depot, die mit ihren wirtschaftlichen Aktivitäten den weltweiten CO²-Ausstoß nicht weiter steigen lassen? Es darf auch gern ein Fonds dabei sein, der dazu beiträgt, Frauen in den Schwellenländern Zugang zu mehr Bildung zu verschaffen? Nachhaltig investieren – das ist für viele Firmenlenker längst ein Thema. Die Abkürzung ESG ist bei Investoren heute in aller Munde. Sie steht für „Environmental“, „Social“ und „Governance“ und bezeichnet eine Form der Geldanlage, bei der Umweltkriterien, soziale Aspekte und Grundsätze der fairen Unternehmensführung eine zentrale Rolle spielen.
An Wertpapieren, gerade an Investmentfonds, die einen ESG-Stempel bereits im Namen tragen, mangelt es auch nicht. Die Frage ist nur, wie es gelingen kann, aus dem Dschungel der hell-, mittel- und dunkelgrünen Anlagemöglichkeiten, die auszuwählen, die zu den eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit tatsächlich passen.
Komplizierte Begriffe
Unternehmer, die in Sachen ESG nicht so versiert sind, dass sie auf eigene Faust die passenden Papiere auswählen können, tun gut daran, sich vertrauensvoll an ihren Anlageberater oder Vermögensverwalter zu wenden. Doch kaum hat der Anleger erklärt, dass er nachhaltig investieren möchte, wird er schnell überfordert sein. Denn seit gut eineinhalb Jahren sind Berater bei Banken und Vermögensverwaltern dazu verpflichtet, ihre Kunden zu fragen, wie grün es im Depot denn werden soll. Und dann folgen Begriffe wie EU-Offenlegungsverordnung und Taxonomie. Da die gesetzlichen Regelwerke, die sich hinter diesen Schlagworten verbergen, selbst vielen kapitalmarktaffinen Firmenlenkern eher unbekannt sein dürften, ist es durchaus von Vorteil, wenn sie sich vor dem Gespräch mit dem Finanzprofi damit vertraut machen. Denn nur wer sich auskennt, kann die Anlageinstrumente wählen, die seinen ESG-Vorlieben tatsächlich entsprechen.
Gleich ob Neu- oder Bestandskunde, die Anlageberatung bei der Bank, der Sparkasse oder dem Vermögensverwalter beginnt seit dem 2. August 2022 stets mit der Frage, ob Nachhaltigkeitskriterien bei einem Investment berücksichtigt werden sollen. So will es die überarbeitete Fassung der Delegierten Verordnung 2017/565 zur Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie Mifid II. Erklärt ein Anleger, dass ihm Nachhaltigkeit wichtig ist, muss er beantworten, ob er detailliertere Präferenzen festlegen möchte. Hier kommen nun die EU-Offenlegungs- und die Taxonomieverordnung ins Spiel (siehe Kasten). Die Beratungstools von Geldhäusern und Vermögensverwaltern bieten Anlegern bei der Wahl der passenden Fonds, Einzelwerte oder Zertifikate Hilfestellung, häufig, indem sie eine hell-, eine mittel- und eine dunkelgrüne Fläche vorsehen.
Hinter den grünen Flächen
Hinter den Farbflächen der Beratungssoftware verbergen sich die drei Kategorien, die das sogenannte ESG-Zielmarktkonzept für die Empfehlung nachhaltiger Finanzprodukte festgezurrt hat. Entwickelt haben es die Branchenverbände der Fondsgesellschaften (BVI), Banken (DK) und Zertifikatehäuser (DDV).
In der ersten Kategorie des Zielmarktkonzepts finden sich Finanzprodukte, die nach Artikel 8 der Offenlegungsverordnung eingestuft sind. Zusätzlich berücksichtigen sie die wichtigsten nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren (Principal Adverse Impacts, PAIs. Unter Nachhaltigkeitsfaktoren sind unter anderem Umwelt-, Sozial- und Arbeitnehmerbelange zu verstehen (siehe Kasten auf Seite 37). Unter die zweite Kategorie – in der Beratungssoftware erscheint sie meist in Mittelgrün – fallen Produkte, die nachhaltige Investitionen im Sinne der sozialen und der Governance-Ziele gemäß Offenlegungsverordnung vorsehen. Orientiert sich ein Produkt an der Umwelttaxonomie, landet es in Rubrik drei des Zielmarktkonzepts. Wichtig zu wissen: Um in Kategorie zwei und drei eingestuft zu werden, müssen Finanzprodukte ein explizit benanntes Nachhaltigkeitsziel verfolgen, etwa die Reduktion von Treibhausgasemissionen oder mehr Bildung für Frauen in den Schwellenländern. Der Mindestanteil der „auswirkungsbezogenen Investitionen“, also der Anteil des ESG-Impacts, muss konkret beziffert sein. Das klingt alles höchstkomplex, doch viele Berater machen es ihren Kunden einfach. Zählt etwa ein Fonds zur dritten Rubrik des Zielmarktkonzepts, läuft es in der dunkelgrünen Fläche der Tools häufig unter einer deutlich weniger sperrigen Überschrift, zum Beispiel als „Produkt mit Auswirkungsbezug auf die Ökologie“. An Beispielen zeigen die Finanzprofis dann auf, was damit gemeint ist.
Die Sache mit den Quoten
Ist die Phase der Erklärungen vorbei, hat sich der Kunde für Finanzprodukte der mittelgrünen Rubrik oder der dunkelgrünen Taxonomie-Kategorie entschieden, geht es mit der Frage nach dem gewünschten Mindestanteil an ESG-Investments weiter. Dann werden zumeist wieder drei Varianten angeboten: Produkte mit einer niedrigen Quote von mindestens fünf Prozent, solche mit einem mittleren Anteil (mindestens 20 Prozent) und mit einer hohen Quote ab 50 Prozent an nachhaltigen Investitionen.
Bei Fonds kann die Angabe solcher Quoten durchaus eine verzwickte Angelegenheit sein. So werden sich auf absehbare Zeit nur sehr wenige Vehikel zu einer Anlagestrategie verpflichten können, die einen Mindestanteil taxonomiekonformer Investitionen vorsieht. Denn die EU-Taxonomie steht erst am Anfang und bietet für ein breit gestreutes Portfolio noch zu wenige Anlagemöglichkeiten. Außerdem fehlen bisher verlässliche Daten, um die Erfüllung der technischen Kriterien der Taxonomie bewerten zu können. Viele Fonds wählen daher den zweiten Ansatz und orientieren sich an der Offenlegungsverordnung.
Kein passendes Produkt?
Sind alle Kriterien festgelegt, können Investoren im Optimalfall aus Listen mit Finanzprodukten wählen, die ihrem Risikoprofil, dem Anlageziel und -horizont sowie den ESG-Wünschen entsprechen. Doch das klappt längst nicht immer, denn bislang gibt es nicht für jede ESG-Präferenz das passende Produkt – schon gar nicht in Kombination mit jedem Risikoprofil.
Findet sich kein geeignetes Produkt, gehen Berater meist einen Schritt zurück. Sie fragen den Anleger, ob er seine Präferenz eventuell ändern oder vorerst sogar auf die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten verzichten möchte. Verzichtet der Kunde nicht, beginnt das Spiel von vorne, die ESG-Vorgaben werden neu definiert, die Suche nach dem passenden Fonds oder Zertifikat beginnt erneut. Und im Depot bleibt es bis zum nächsten Gespräch mit dem Anlageberater oder Vermögensverwalter vielleicht etwas weniger grün, als eigentlich gewünscht.
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