Im Interview mit Prof. Dr. Christian Rieck sprechen wir über sein neues Buch „Anleitung zur Selbstüberlistung“. Darin erläutert er, wie die Prinzipien der Spieltheorie genutzt werden können, um im Alltag produktiver und glücklicher zu sein. Prof. Rieck gibt wertvolle Tipps und Techniken, um sich selbst zu überlisten und langfristige Ziele spielerisch zu erreichen.
Regio Manager: Sie sind ein großer Freund der Spieltheorie. Sie lehren zum Thema und wenden die Theorie auch auf zahlreiche aktuelle Themen an. Sie sagen, man könne die Spieltheorie im Grunde auf jede Situation des täglichen Lebens anwenden, weil immer zwei vernunftbegabte Spieler miteinander interagieren. In Ihrem neuesten Buch haben Sie nun die spieltheoretischen Erkenntnisse übernommen und führen aus, wie wir uns selbst überlisten können, indem wir das Leben als Spiel begreifen. Ein zentrales Element der Spieltheorie, das auch Sie verwenden, ist die Principal-Agent-Theorie. Was hat das mit unserem Zeitmanagement zu tun?
Rieck: In der Principal-Agent-Theorie gibt es die Direktorin, die langfristige Pläne hat, und die Agenten, die kurzfristig handeln. Diese Agenten optimieren entsprechend für unterschiedliche Zeiträume, was zu Konflikten führen kann. Beide handeln vollkommen rational, nur eben auf einen anderen Zeithorizont bezogen. Wir müssen eine Balance finden zwischen diesen beiden Kräften. Wenn die Direktorin mit den Agenten kommunizieren will, reicht es nicht, einfach nur Anforderungen zu stellen. Man muss echte Deadlines setzen, damit die Agenten konzentriert arbeiten. Einfach nur das Abgabedatum nach vorne zu verlegen klappt nicht. Was jedoch funktioniert, ist das Setzen von kurzen, intensiven Sprints, innerhalb der echten Deadline.
RM: Kommen wir zum eigentlichen Spiel: Wie muss ein gutes Spiel designt sein?
Rieck: Ein gutes Spiel sollte sowohl hedonische als auch eudämonische Elemente enthalten. Das bedeutet, es sollte kurzfristigen Spaß und langfristige Erfüllung bieten. Spiele, die uns langfristig motivieren, kombinieren beide Elemente geschickt. Es geht darum, Aufgaben so zu gestalten, dass sie gleichzeitig herausfordernd und belohnend sind.
RM: Können Sie uns ein Beispiel für ein gutes Spiel geben?
Rieck: Nehmen Sie die Milchshakes von McDonalds. Die sind viel zu groß und nur die Hälfte zu trinken wäre viel vernünftiger. Wenn Sie sich nun selbst die Geschichte erzählen, die untere Hälfte sei vergiftet, dann hilft es ungemein, tatsächlich bei der Hälfte aufzuhören. Das hört sich vollkommen kindisch an, aber es funktioniert.
RM: Sie sagen, wir sollen in einen produktiven Panikmodus kommen, um endlich produktiv zu werden. Wie soll das funktionieren?
Rieck: Man beginnt ein Projekt 30 Minuten vor einem unverrückbaren Termin. Diese echte Deadline erzeugt Druck, der dazu führt, dass man konzentriert arbeitet und in kürzerer Zeit mehr erreicht. Das ist ähnlich wie bei der Pomodoro-Technik, bei der man durch kurze, feste Zeitintervalle motiviert wird. Diese Technik nutzt den natürlichen Stress, den Deadlines erzeugen, um die Produktivität zu steigern.
RM: Sie erwähnen den Nutzen des Autopiloten. Wie kann dieser für mich nützlich sein? Und was haben Sollwerte damit zu tun?
Rieck: Der Autopilot hilft uns, routinemäßige Aufgaben effizient zu erledigen, ohne viel darüber nachzudenken. Sollwerte sind festgelegte Werte, die dem Autopiloten sagen, wo es langgeht, ohne ihn jedes Mal umprogrammieren zu müssen. Wenn wir Sollwerte für unsere Aufgaben festlegen, können wir diese automatisch und effektiver erledigen, ohne jedes Mal neu darüber nachdenken zu müssen.
RM: Sie erwähnen einen ganzen Strauß an weiteren Techniken zur Selbstüberlistung. Haben Sie einen Favoriten?
Rieck: Es gibt viele Techniken, wie die Begrenzung der Zeit, das Verlängern des Agentenlebens oder die Verwendung einer Ideenliste statt einer To-do-Liste. Jede dieser Techniken hilft dabei, sich selbst zu überlisten und produktiver zu sein. Besonders effektiv finde ich die Methode, Aufgaben absichtlich zeitlich zu begrenzen und damit künstliche Deadlines zu schaffen, die den Fokus erhöhen und Ablenkungen minimieren.
RM: Sie unterscheiden zwischen zwei Formen des Glücks: die kurzfristige Hedonie und langfristige Eudämonie. Können wir diese 1:1 mit den Agenten und der Direktorin zuschreiben?
Rieck: Die kurzfristige Hedonie entspricht den Zielen der Agenten, die kurzfristige Freude suchen. Die langfristige Eudämonie entspricht den Zielen der Direktorin, die langfristiges Wohlbefinden anstrebt. Um herauszufinden, ob etwas langfristig gut für uns ist, können wir uns fragen, wie wir uns fühlen werden, wenn wir von der Zukunft auf die Gegenwart zurückblicken. Diese als Regnose bezeichnete Methode hilft, zwischen kurzfristigen und langfristigen Zielen zu unterscheiden und eine Balance zu finden.
RM: Das größte Problem ist, dass wir gar nicht erst anfangen. Wie kommen wir in die Gänge?
Rieck: Wir müssen die Aktivierungsenergie senken, um den Einstieg in eine Aufgabe zu erleichtern. Das kann durch einfache Maßnahmen wie das Aufbewahren der Sportkleidung an einem leicht zugänglichen Ort geschehen. Das Ziel ist, die Hürde so niedrig wie möglich zu setzen, damit wir leichter anfangen können. Eine andere Möglichkeit ist, Aufgaben in kleinere Schritte zu unterteilen, um die Hemmschwelle für den Beginn zu senken.
RM: Sie sind ein großer Freund der Prokrastination und ein Skeptiker der Präkrastination. Wo liegt der Unterschied? Und was hat das mit einer intelligenten Priorisierung zu tun?
Rieck: Prokrastination kann sinnvoll sein, wenn man sie strukturiert einsetzt, indem man unangenehme, und möglicherweise sogar wichtige Aufgaben aufschiebt und stattdessen andere dringende, aber nicht minder sinnvolle Tätigkeiten erledigt. Strukturiertes Prokrastinieren kann somit tatsächlich produktiver sein, weil man das schlechte Gewissen, etwas aufzuschieben, nutzt, um andere Aufgaben zu erledigen. Präkrastination hingegen bedeutet, Aufgaben zu früh zu erledigen, was nicht immer effizient ist.
RM: Das müssen Sie näher erläutern.
Rieck: Wenn wir die Wichtigkeit nach der Zeit ableiten, erhalten wir die Dringlichkeit. Nehmen wir ein wichtiges aber umfangreiches Projekt, etwa ein Buch zu schreiben und eine kleine Aufgabe wie eine E-Mail zu verfassen. Das große – wichtigere – Projekt können Sie verschieben. Die weit weniger wichtige E-Mail aber nicht. Dadurch bekommt die E-Mail eine höhere Dringlichkeit als das Buch. Es kann daher vollkommen rational sein, das große Projekt so lange nach hinten zu schieben, bis es tatsächlich angegangen werden muss.
RM: Zu guter Letzt: Warum ist Aufräumen Zeitverschwendung?
Rieck: Aufräumen kann Zeitverschwendung sein, wenn es zum Selbstzweck wird und damit zu einer unstrukturierten Prokrastination. Besser ist es, auch beim Aufräumen eine Kosten-Nutzen-Betrachtung vorzunehmen. Wenn Aufräumen dazu beiträgt, die Arbeitsumgebung zu verbessern und somit die zukünftige Produktivität zu steigern, kann es durchaus sinnvoll sein. Es kommt auf den Kontext und die Intention an.
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