Die Sharing Economy befindet sich im Aufwind: Jeder zweite Deutsche nutzt bereits die sogenannte Ökonomie des Teilens. In Zukunft möchten rund zwei Drittel der Deutschen Produkte oder Dienstleistungen teilen oder leihen, ein Drittel sieht darin die Chance auf zusätzliches Einkommen, so eine repräsentative Umfrage unter 1.000 Bundesbürgern im Auftrag der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. „Die Zeit ist reif, Angebote aus der Share Economy auch in weiteren als den bisher bekannten Branchen auszurollen. Jedes Unternehmen, das heute Markt- oder Technologieführer ist, muss sich überlegen, inwieweit sich seine Produkte oder Dienstleistungen gemeinschaftlich nutzen lassen, sagt PwC-Partner Nikolas Beutin.
Dass sich Geschäftsmodelle der Sharing Economy einer immer größeren Beliebtheit erfreuen, zeigt auch eine 2017 veröffentlichte Studie von Mastercard und der Non-Profit-Initiative Future Agenda. Demnach geben 50% der Europäer an, von der Sharing Economy zu wissen. Und einer von drei Erwachsenen macht Gebrauch von den angebotenen Gütern und Dienstleistungen. Zwischen Mai 2015 und dem Jahr 2016 nutzten mehr als 191 Millionen Menschen diese Plattformen zum Teilen und Mieten von Dienstleistungen und Gütern. Innerhalb dieses Zeitraums wurden in Europa Zahlungen im Wert von 28 Mrd. Euro umgesetzt. „Die Sharing Economy erlebt ein erhebliches Maß an Wachstum, das die Art und Weise wie Dienstleistungen und Güter verarbeitet und angeboten werden fundamental verändert“, sagt Ann Cairns, President International bei Mastercard.
Zurzeit nutzen vor allem jüngere Menschen die Angebote der Sharing Economy. So haben laut der PwC-Studie „Share Economy“ bereits 82 Prozent der unter 30-Jährigen von einem solchen Angebot Gebrauch gemacht, bei der Generation 60 Plus war es nur gut ein Viertel (27 Prozent). Die Deutschen teilen besonders gerne Konsumgüter und Fahrzeuge, auch Dienstleistungen wie Reparaturen im Haushalt oder private Übernachtungsmöglichkeiten liegen absolut im Trend. Die bekanntesten Branchenunternehmen sind wohl Airbnb oder Uber, beide haben ihren Ursprung im Silicon Valley. Die Startups im amerikanischen Technologiestandort sind nicht nur Ausdruck der Digitalisierung, sondern auch Impulsgeber für die Sharing Economy. Deutschland hinkt bei der Etablierung digitaler Geschäftsmodelle in diesem Bereich noch hinterher. Doch es gibt Ansätze: So hat sich etwa die Automobilindustrie beim Carsharing eingebracht. „Über 70 Prozent der Nutzer in Deutschland sind mit Carsharingautos der deutschen Automobilhersteller unterwegs. Erst mit dem Free-Floating-Konzept, das die Automobilindustrie entwickelt hat, hat Carsharing Fahrt aufgenommen“, sagt Dr. Kay Lindemann, Geschäftsführer des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Neue Konzepte für die Industrie
Die neue Tauschkultur ist zwar längst in der deutschen Wirtschaft angekommen, allerdings kommen Tauschbeziehungen zwischen Unternehmen sowie in der Industrie („Business-to-Business“) in der öffentlichen Wahrnehmung kaum vor. Wenn über „Sharing Economy“ gesprochen wird, ist meistens die Rede von Geschäftsbeziehungen zwischen Privatpersonen („Consumer-to-Consumer“) oder davon, dass Unternehmen den Endkunden ihre Dienste gegen Bezahlung anbieten („Business-to-Consumer“). Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI will das ändern und untersucht Sharing-Konzepte für die Industrie. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Potenziale eines Wandels zu einer Industrial Collaborative Economy – Grundzüge einer kollaborativen Wirtschaftsform in der Industrie (WICE)“ erforscht das Institut derzeit geeignete Nutzungs- und Eigentumsmodelle, die zu einem Transfer des Sharing-Gedankens auf die Industrie beitragen.
„Im Projekt wurden zunächst relevante wirtschaftswissenschaftliche Theorien identifiziert, mit Beispielen aus der Praxis verknüpft und daraus ein Konzept für eine industriell-kollaborative Wirtschaft entwickelt“, erklärt Dr. Christian Lerch, der das Projekt WICE am Fraunhofer ISI leitet. „Diese Wirtschaftsform ist zwischen dem vorherrschenden, traditionellen Produktionsparadigma und der Sharing Economy angesiedelt und weist drei Schlüsselkriterien auf: den fehlenden Eigentumsübergang an den Kunden, die lediglich temporäre Nutzung eines Produkts durch einen oder mehrere Kunden sowie die wichtige Rolle von Intermediären bzw. dritten Akteuren als neuen Anbietern. Durch die Übertragung des Produkt-Nutzungsrechts auf mehrere Kunden lässt sich einerseits der Nutzen eines Industrieguts maximieren – aber dem einzelnen Kunden stehen andererseits nicht mehr sämtliche Verfügungsrechte über das Produkt zu.“Neue Onlineplattformen, auf denen Betriebe ihre Maschinen und Werkzeuge oder ganze Produktionsanlagen anderen Unternehmen zur entgeltlichen Nutzung anbieten, sind beispielsweise eine Ausprägung der industriell-kollaborativen Wirtschaft. So wie das baden-württembergische Startup V-INDUSTRY, das in diesem Jahr zu den Siegern des Ideenwettbewerbs ShareBW gehörte. Die digitale Geschäftsplattform will die Sharing Economy mit der Industrie verbinden. Ziel ist die Etablierung einer digitalen Tauschbörse für Unternehmen, die Maschinen Mieten oder Vermieten möchten. Positiver Effekt: Durch das Teilen von Maschinen könnte die Produktion effizienter und nachhaltiger werden, da Stillstände vermieden werden.
Vertrauen als Schlüssel zum Erfolg
Erste Projekte sind also schon angestoßen. Um der Sharing Economy-Branche hierzulande zum Durchbruch zu verhelfen, muss die Politik allerdings einheitliche Spielregeln und vernünftige rechtliche Rahmenbedingungen schaffen. Der PwC-Studie zufolge sorgen sich 25 Prozent der Anbieter um die unklare Gesetzeslage, etwa im Hinblick auf die Gewerbesteuer oder den Versicherungsschutz im Schadensfall. Die schwammige Abgrenzung zwischen gewerblichen und privaten Anbietern oder der Datenschutz sind Herausforderungen für die Sharing Economy. „Die Anbieter von Teil- und Tausch-Plattformen sind gefragt, die nötigen Voraussetzungen zu schaffen, damit die Verbraucher die Produkte und Dienstleistungen sicher und transparent nutzen können. Aber auch auf Seiten des Gesetzgebers besteht Handlungsbedarf: Verlässliche gesetzliche Rahmenbedingungen sind für die Mehrheit der Deutschen eine wichtige Voraussetzungen für die Nutzung von Share Economy-Angeboten“, sagt Roman Friedrich, Partner bei der PwC-Strategieberatung Strategy&. Und Vertrauen ist im B2B-Bereich mindestens genauso wichtig wie zwischen Anbietern und Verbrauchern. Die Europäische Kommission hat im vergangenen Jahr schon mal den Anfang gemacht und Leitlinien vorgelegt, um Verbraucher, Unternehmen und Behörden bei der Zusammenarbeit in diesem Bereich zu unterstützen. „Die kollaborative Wirtschaft ist eine Chance für Verbraucher und Unternehmen – vorausgesetzt, wir machen es richtig. Wenn wir zulassen, dass unser Binnenmarkt entlang nationaler oder sogar lokaler Grenzen fragmentiert wird, droht Europa als Ganzes zu verlieren. Wir fordern die Mitgliedstaaten auf, ihre Verordnungen in Bezug auf unsere Leitlinien zu überprüfen“, so EU-Kommissarin El?bieta Bie?kowska, zuständig für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU. Alexander Kirschbaum | redaktion@regio-manger.de
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