Wenn Manfred Stockmann, Präsident des Call Center Verbands Deutschland e.V. (CCV), auf seine Branche schaut, sieht er ein äußerst heterogenes Feld. Und so unterschiedlich wie die einzelnen Ausprägungen der Callcenter sind, so verschieden sind auch die Probleme, mit der sich die Branche beschäftigt. Haben Betriebe, die an Unternehmen angegliedert sind, beispielsweise wenig Probleme mit hoher Fluktuation, ist das bei den dienstleistenden Callcentern ein großes Thema. Gemeinhin wird die Callcenter-Branche in zwei Ausprägungen unterteilt. Auf der einen Seite existieren die „Inhouse-Callcenter“, welche als eine Abteilung eines Unternehmens fungieren. Auf der anderen Seite gibt es die Dienstleister, welche ihre Dienste an Unternehmen verkaufen. Manfred Stockmann sieht die Branche allerdings noch deutlich weiter untergliedert: „Es gibt Dienstleister, die für Dritte arbeiten, aber trotz allem eventuell nur einen Kunden haben. Das kommt oft bei Banken oder Versicherungen vor“, so der CCV-Präsident. Nicht selten sei beispielsweise das Callcenter eine Tochterfirma des Hauptunternehmens. Dann wiederum gäbe es auch Callcenter, die als Inhouse-Unternehmen angefangen hätten, aber mittlerweile einen kleinen Prozentsatz ihrer Arbeitskraft auch an Dritte verkaufen, also zum Dienstleister werden. Unterschiede gebe es nach Stockmann auch bei der Frage, wem der Outsourcer gehöre. Mal seien die Dienstleister inhabergeführt (dann selten mit mehr als 1000 Mitarbeitern), mal jedoch auch von Konzernen gekauft, die mal mehr, mal weniger viel mit der Callcenter-Branche zu tun haben. Nicht einfacher wird die Lage dadurch, dass nicht jedes Land das Feld gleich definiert. Zählen in manchen Ländern beispielsweise auch interne Helpdesks von Unternehmen und Notrufdienste zur Branche, ist das in Deutschland nicht der Fall.
Große Bandbreite
Laut CCV gibt es in Deutschland derzeit 6.900 Unternehmen mit angeschlossener Callcenter-Einheit, in denen insgesamt 540.000 Menschen in Voll- und Teilzeit arbeiten. Die Callcenter erwirtschaften jährlich einen Umsatz von 12 Milliarden Euro. Doch auch mit dieser Zahl verhält es sich schwierig, ist doch ein Großteil der Callcenter an ein Unternehmen angegliedert und hat oft gar keinen eigenen Umsatz ausgeschrieben. Der Umsatz ist also nicht repräsentativ für die tatsächliche Größe dieses Bereichs: „Das ist eine Riesenbranche, die in vielen Zweigen unterwegs ist. Es gibt keine Branche mehr, die nicht mit Callcentern arbeitet“, so Stockmann.
Genauso unterschiedlich wie auch die Anwendungsbereiche sind auch die Anforderungen, die sich an die Betriebe stellen. Die einfache Telefonauskunft ist nur ein Teilgebiet. Ebenso gibt es auch Telefonhotlines in der Medizintechnik, in denen Chirurgen und andere Experten neue Operationstechniken an ihre Kollegen vermitteln. Teils sind Ansprechpartner also hoch spezialisiert. Unterstützt werden die Unternehmen vom wachsenden Arsenal an verfügbaren Kommunikationskanälen. Das Telefon ist längst nicht mehr die einzige Art, mit dem Endkunden in Kontakt zu treten. Mail und Chat haben sich ebenfalls etabliert. Aber auch Videos kommt eine steigende Rolle zu, wenn sie auch nach der Contact Center Gehaltsstudie mit einem Prozent Nutzungsanteil noch äußerst gering ist. Sei es nun live oder vorab aufgenommen: Mit einem Videobeitrag sieht der Kunde Lösungen visuell, anstatt sie umständlich per Sprache erklärt zu bekommen: „Wenn es richtig gemacht ist, profitieren beide davon“, weiß der Fachmann. Problematisch bleibt das Feld Social Media. Denn dieses wird bei Unternehmen meist dem Marketingbereich zugerechnet. Viele Dienstleister haben für diesen Bereich dementsprechend gar keine Nachfrage. Jedoch stellen Kunden auch über Facebook Fragen an den Kundenservice, die Grenzen verschwimmen also. Ob sich das Feld auf lange Sicht hin zu den Callcentern entwickeln werde, komme nach Stockmann ganz auf das Unternehmen an: „Unternehmen stehen sich da intern oft noch selbst im Weg mit der Frage: Wer ist da zuständig?“ Auf lange Sicht werde sich die Frage je nach Unternehmen und Kundenklientel anders klären.
Kostendruck ist hoch
Neue Kanäle sorgen dafür, dass Callcenter weit effektiver arbeiten können. Aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein. Das große Problem, dem sich ein Teil der Branche derzeit stellen muss, ist das der Arbeiterfluktuation und Krankenquote. Sind die Zahlen bei Inhouse-Callcentern meist ähnlich anderer Betriebe, haben gerade Dienstleister damit stark zu kämpfen. „Je höher qualifiziert und abwechslungsreicher die Tätigkeit ist, desto stabiler sind die Arbeitsverhältnisse“, weiß der Präsident. Anders heißt das aber auch: Gerade dort, wo niedrig qualifiziertes Personal arbeitet, entstehen Probleme. Oft ist der niedrige Lohn ein Faktor, der hier mitspielt. Ein Kundenbetreuer verdient im Durchschnitt 11,59 Euro in der Stunde. Besonders hart ist der Kostendruck bei den Outsourcern. Nicht selten entsteht nach Stockmann ein Teufelskreis: Eine hohe Krankenquote bedingt schließlich Einbußen in der Qualität und Produktivität, woraufhin weniger Trainings für die Mitarbeiter angeboten werden können, wodurch weniger Routine entsteht, was wiederum mehr Krankheitsfälle bedingt. Die Gehaltsstudie spricht von einem Krankenstand von durchschnittlich acht Prozent (der deutschlandweite Schnitt liegt bei vier Prozent) und von einer Fluktuation bei externen Anbietern von 17 Prozent nach drei Monaten und 20 Prozent nach einem Jahr. Die andere Seite der Medaille ist: Gerade durch Callcenter bekommen auch Arbeitnehmer mit niedrigen Qualifikationen die Chance auf einen Job.
Klärungsbedarf bei Datenschutz
Dass Gesetze ebenfalls dafür sorgen, dass sich die Branche ständig verändert, ist indes nicht immer negativ zu werten. So sorgte das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb beispielsweise dafür, dass sich der exzessive Part von Outbound-Telefonie (also Telefonie zum Kunden hin) stark reduzierte. Bei der Umsetzung der EU-Datenschutzgrundverordnung wiederum braucht es nach Stockmann noch eine kleine Nachbesserung. Denn: „Wenn Mitarbeitern ein betrieblicher Telefonanschluss zur Verfügung gestellt wird, darf der nicht überwacht werden“, so der Präsident. Im normalen Betrieb mache das durchaus Sinn, beispielsweise, wenn der Angestellte privat telefonieren wolle. Bei den Callcentern verhindere es jedoch die wirkungsvolle und stark genutzte Form der Qualitätssicherung per Monitoring. Zumal die Telefonleitungen der Callcenter nicht darauf ausgelegt seien, Privatgespräche zu führen. Hier brauche es also noch eine Ausnahmeregelung. Wie sich die Branche in den nächsten Jahren entwickeln wird, ist noch unklar. Nur dass große Veränderungen anstehen, da ist sich Stockmann sicher. Als sicher gilt, dass nach wie vor der Mensch eine wichtige Rolle spielen wird. Denn die Endkunden wünschen sich einen persönlichen Ansprechpartner. Aber digitale Assistenzen könnten den Markt trotz allem beeinflussen und optimieren. Eine Frage wird dann auch sein, welche Mitarbeiter mit diesen neuen Technologien zurechtkommen.
Nathanael Ullmann | redaktion@regiomanager.de
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