Nachhaltigkeit

„Vom Ende her gedacht“

Warum Recyclingfähigkeit über den Erfolg entscheidet.

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von REGIO MANAGER 23.01.2024
(© ­­­m.malinika − stock.adobe.com)

Mit der neuen EU-Taxonomie verändern sich die Anforderungen an die Produktentwicklung. Große Unternehmen rücken die Nachhaltigkeit bereits in den Mittelpunkt ihrer Entwicklungsprozesse und suchen verstärkt den Rat von Experten. Wir sprechen mit Johannes Lohmann, Hagen Seidel, und Markus Hagemann, von Lohmann – dem führenden Recycling- und Entsorgungsfachbetrieb im Münsterland – über die wachsenden Anforderungen für Produktionsunternehmen und Erfahrungen aus der Praxis.

MLM: Ein wachsender Kreis von Großunternehmen sowie börsennotierte KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) werden zukünftig zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sein – und nehmen auch ihre Lieferanten in die Pflicht. Die Recyclingfähigkeit von Produkten wird damit plötzlich ein echter Wettbewerbsfaktor. Was kommt da auf die Unternehmen zu?   

Johannes Lohmann, geschäftsführender Gesellschafter: Das ist vor allem eine Riesenchance für innovative Unternehmen. Die neuen EU-Regularien bringen Bewegung in ein Thema, dass wir mit vielen Kunden bereits seit längerem vorantreiben – Das Recyclingkonzept wird fester Bestandteil der Produktentwicklung. Die Unternehmen sparen damit Entsorgungskosten und verschaffen sich handfeste Wettbewerbsvorteile. Gerade das produzierende Gewerbe wird den Produktentwicklungsprozess von der ersten Stunde an, auch vom Ende der Produktlebenszeit, betrachten. Vom Einkauf und Marketing bis hin zum Vertrieb – alle Abteilungen überprüfen zukünftig gemeinsam neue Produkte schon vor der Produktion – also im Planungsprozess – auf energetische Qualität und Recyclingfähigkeit. Nun muss man fairerweise auch sagen, dass große Unternehmen eher die nötigen Ressourcen für ein dezidiertes Recyclingmanagement haben und so die dahinterliegende Wertschöpfung als Erstes heben.
Bei vielen unserer Kunden werden wir im ersten Schritt für die Beratung und Datenerhebung für kommende Nachhaltigkeitsberichte angefragt und im zweiten Schritt schaut man sich gemeinsam das Recyclingpotenzial an und entscheidet nach Wirtschaftlichkeit. 

MLM: Sie prognostizieren, dass die Recycling-Experten Ihres Unternehmens zukünftig von Anfang an mit am Tisch sitzen, wenn ein Produkt entwickelt wird. Reicht es nicht, wenn Sie als Dienstleister die zu entsorgenden Materialien kennen?

Hagen Seidel, Vertriebsleiter: Das hilft uns natürlich und macht die Entsorgung für den Kunden wirtschaftlicher. Allerdings können in vielen Fällen die zurückgewonnenen Materialströme, bislang nur bedingt in den neuen Produktionskreislauf zurückgeführt werden. Dort wo bereits während der Produktentwicklung auf Materialkompositionen mit entsprechenden Recyclingvoraussetzungen eingegangen wird, sind nahezu 100 % Recyclingquoten machbar. Gerade das Zusammenspiel von Entwicklung und Beratung spielt eine große Rolle für eine gute Umweltbilanz von Unternehmen. Und diese wird, neben Qualität und Preis, sowohl im B2B- als auch im B2C-Segment maßgeblich entscheidend für den Verkaufserfolg werden. 

MLM: Können Sie das konkretisieren? Wie sehen Sie die Potenziale für eine bessere stoffliche Verwertbarkeit?

Hagen Seidel: In vielen Bereichen, etwa in der Kunststoff- und Metallindustrie sowie Verpackungsindustrie – startend bei Zulieferern, über den Roh- und Hilfsstoff-Einkauf bis hin zur Consumer-Endverpackung – stecken oft enorme Potenziale in Hinsicht auf bessere stoffliche Verwertbarkeit. Auch im Elektrogeräte-Bereich gibt es immer wieder neue Herausforderungen im täglichen Business. Potenzial steckt natürlich nicht nur in den Produkten selbst, sondern auch in der Produktion. Am sinnvollsten ist hier eine laufende Analyse der am Betriebsstandort anfallenden Abfallströme sowie der dort produzierten Produkte. Damit gewinnen Unternehmen die notwendigen Informationen und damit die Basis für potenzielle Verbesserungen im Umweltkreislauf. 

MLM: Es gibt sicherlich Produkte, bei denen das Recycling einfacher zu realisieren ist. Aber wie sieht so etwas bei komplexeren Produkten aus? 

Markus Hagemann, Vertrieb Elektroalt- & Kühlgeräte-Recycling: In Deutschland fallen jährlich mehrere Millionen Altkühlgeräte wie Kühlschränke, Gefriertruhen, Klimaanlagen bzw. Wärmepumpen zur Entsorgung an. Solche Haushaltsgeräte enthalten teilweise immer noch ozonschädigende giftige Schadstoffe und müssen daher bei der Entsorgung gesondert behandelt werden. Unsere Tochtergesellschaft Enviprotect betreibt für diese Abfälle in Emsdetten eine der modernsten Recyclinganlagen Europas. Im Drei-Schicht-Betrieb werden hier rund um die Uhr jährlich über 600.000 Kühlgeräte aller Art in ihre Einzelkomponenten zerlegt. Pro Stunde verarbeitet die Anlage bis zu 120 ausgemusterte Kühlschränke und Kühltruhen.
Der Unterschied zu herkömmlichem Elektroschrott liegt in den enthaltenen Flüssigkeiten und Kältemitteln, die vor der Weiterverarbeitung abgesaugt und zurückgewonnen werden müssen. Ein Großteil der angelieferten Altgeräte enthält noch das Umweltgift FCKW. Unter zertifizierten Bedingungen und in komplexen Verfahren werden die Geräte von Herstellern wie Bosch, Siemens, Miele, Liebherr, Samsung oder LG recycelt und die Rohstoffe zu über 85 % wieder in den Produktionskreislauf zurückgeführt. Auch hier wird die recyclingfähige Gestaltung der Geräte für das Erreichen der gesetzlichen Verwertungsquoten immer wichtiger. Insbesondere im Bereich der verbauten Dämmstoffe und Isoliermaterialien hat sich bei Kühlgeräten in den letzten Jahren einiges verändert. Hier haben wir viel gelernt, was auch auf andere Abfälle übertragbar ist.

MLM: Können Sie da einige Beispiele nennen? 

Markus Hagemann: Dies betrifft vor allem CO2-, FCKW- und Pentan-haltige Dämmstoffe sowie Sandwichplatten oder Dämmstoff-Verbundsysteme. Diese finden Einsatz im Fahrzeugbau, bei Kühlhäusern oder in der Fassadendämmung als Wärme-Dämm-Verbund-System. Die Abmessungen der Bauteile sind sicherlich unterschiedlich, die verwendeten Materialien aber ähnlich. Auch hier liegt im Recycling der Focus auf der sicheren Entsorgung eventueller Schadstoffe sowie der sortenreinen Rückgewinnung der eingesetzten Rohstoffe.

Hagen Seidel: Das Beispiel zeigt wunderbar, wie weit wir bereits sind. Aber auch, wie aufwändig Recycling ist. In der Aufbereitung und im Recycling von EPS- & XPS-Dämmstoffen sowie klassischem Verpackungs-Styropor gibt es hohe Anforderungen an die Materialreinheit. Ebenso im Metallrecycling oder der Restabfall-Sortierung mit anschließender stofflicher Verwertung recyclingfähiger Fraktionen oder dem Recycling von Lithium-Ionen-Batterien, Akkus und chemischen Abfällen.
In der Kreislaufwirtschaft liegt sehr viel Potenzial. Gerade in der Produktentwicklung sollte man ansetzen und Produkte entwickeln, die sich möglichst umfangreich recyceln lassen.  Die Bemühungen des produzierenden Gewerbes und der Zuliefererindustrie werden darauf abzielen, Ressourcen optimal zu nutzen, Abfälle möglichst umfangreich wiederzuverwerten und somit die jeweilige Umweltbilanz entsprechend zu optimieren. Hierzu ist es notwendig, sämtliche Abfallströme rechtzeitig im Blick zu haben.

MLM: Was sind die Herausforderungen für die Zukunft?

Johannes Lohmann: Die neuen EU-Richtlinien werden ein Veränderungstreiber sein, der alle Unternehmen auf die eine oder andere Weise betrifft. Besonders produzierende Unternehmen, egal welcher Größe, werden das Thema Entsorgung stärker in den Fokus nehmen. Es wird wichtig, im Sinne eines optimalen Nachhaltigkeitsmanagements, den gesamten Produktentwicklungsprozess im Fokus zu haben. Dabei steigen die Anforderungen für alle Seiten. Für uns bedeutet das, deutlich früher für den Kunden da zu sein, in den relevanten Parametern zuzuarbeiten, aber vor allem gemeinsam das Potenzial in der Veränderung zu erkennen und zu heben. Auch unsere Arbeit verändert sich. Und auch für uns ist das eine Riesenchance.

MLM: Vielen Dank für das Gespräch.

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