Die Verpackungsindustrie hat einen schweren Stand, denn oft wird sie nicht ausreichend wertgeschätzt. „Wir werden immer von der Mülltonne aus betrachtet“, sagt Thomas Reiner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Verpackungsinstituts (DVI). Dabei muss sich die Branche nicht verstecken: Der Gemeinschaftsausschuss Deutscher Verpackungshersteller (GADV) verzeichnete für das Jahr 2016 bei den Unternehmen einen Umsatz von rund 32 Milliarden Euro (2,1 Prozent mehr als im Vorjahr). Die Produktionsmenge stieg um drei Prozent auf 19 Millionen Tonnen. Wie in den Jahren zuvor generierten die Kunststoffverpackungen mit einem Anteil von rund 44 Prozent den größten Anteil am Umsatz, quantitativ waren die Verpackungen aus Papier, Karton und Pappe mit rund 46 Prozent im Jahr 2016 wieder die größte Packmittelfraktion. In Deutschland existieren rund 5.000 weitgehend mittelständische Verpackungsunternehmen mit insgesamt etwa 450.000 Beschäftigten. Nicht zu vergessen ist neben der Materialwelt der Maschinenbau. Bei der Verpackungstechnologie ist Deutschland Weltmarktführer.
Dynamik ist entscheidend
Was nach Reiner die Branche auszeichnet, ist eine hohe Dynamik. Denn mit Veränderungen im Konsum ändert sich auch stetig der Bedarf an Verpackungen. Stichwort Digitalisierung: Mit steigendem Online-Versand müssen Verpackungen robuster werden. Sollten Waren eines Tages tatsächlich mit Drohnen transportiert werden, muss auch der Schutzkarton ganz anders funktionieren. Ebenso steht es mit Veränderungen in der Gesellschaft: „Wir essen unterwegs, die Familien werden kleiner“, so der Vorstandsvorsitzende. Eine 100-Gramm-Wurstpackung sei damit nicht mehr zeitgemäß, dafür sei der Haushalt nicht groß genug. Das heißt, es bräuchte eigentlich kleinere Portionen. Die Verpackungen sind also einem ständigen Wandel unterzogen. Gerade geht der Trend beispielsweise zu Hüllen mit organischem Anklang, die gesund und nachhaltig wirken. Grüne und erdige Töne herrschen vor, statt Hochglanz wirken matte Flächen, es werden Naturmaterialien verwendet. Zugleich haben Behälter einen persönlichen Touch. „A name and a face“, nennt Reiner diesen Trend. „Die Verpackungen vermitteln das Gefühl: ‚Das hat der Ulli für mich gemacht.‘“ Gewünscht sind Verpackungen, die nicht zu perfekt aussehen, die einen handwerklichen Look haben, also perfekt in ihrer Unvollkommenheit sind. Klassisch eingesetzt werden solche perfekt-imperfekten Behälter etwa im Bereich Craftbeer. Die gegebenen Beispiele zeigen es an: Verpackungen sind mittlerweile mehr als nur ein einfacher Schutz, sie sind Kommunikationsmedium. Das Thema Verpackungen wandere immer öfter in die Marketingabteilung, erzählt Thomas Reiner. Denn klassische Werbekanäle werden immer ineffizienter, die Umhüllung der Ware ist der neue Hoffnungsträger. Sie lässt sich anfassen und vermittelt so ganz direkt ein Gefühl, sie wird zum „multisensorischen Erlebnisthema“. Ob eine Cola-Flasche aus Glas oder Plastik ist, macht eben einen Unterschied. Und wie geschickt das für Marketingzwecke genutzt werden kann, wird am Beispiel der Flasche „Ignite“ von Heineken deutlich: Das Glasgefäß blinkt zum Rhythmus der Musik und reagiert mit Lichtsignalen, wenn seine Besitzer anstoßen und trinken.
Branche zeigt sich umweltbewusst
Ein Problem hat die Verpackungsindustrie nach wie vor: das der Umweltbelastung. Nirgends fällt sie stärker auf als beim Blick in den mit Verpackungen gefüllten Abfalleimer. Lösungsansätze gibt es viele; eine Welt ohne Verpackungen sei zwar möglich, allerdings ein Bruch mit der heutigen Gesellschaft, meint Thomas Reiner. „Wir können nicht leben wie heute und gleichzeitig hoffen, dass wir keine Verpackungen brauchen.“ Eine Welt ohne Verpackungen sei wie eine ohne Straßen und Autos – machbar, aber mit dem gegenwärtigen Leben nicht zu vereinbaren. Man müsste auf dem Land leben, wieder selbst anbauen und für den Winter horten. Auch Dr. Carl Dominik Klepper, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft „Verpackung + Umwelt“ (AGVU), hält einen Trend hin zu einem Warenhandel ohne Verpackungen für unwahrscheinlich: „Schließlich werden die Haushalte immer kleiner und nehmen in der Anzahl zu.“ Die Lösung liegt nach Meinung der beiden Experten vielmehr im Recycling. Die Firma Frosch setzt beispielsweise auf Verpackungen, die zu 100 Prozent aus recyceltem Material bestehen, und zeigt damit, dass der Wechsel möglich ist. Teurer sei der Weg, seine Verpackungen aus recycelten Materialien herzustellen, nach Klepper nicht zwingend – nur aufwendiger, da die Sekundärrohstoffe noch nicht in ausreichenden Mengen verfügbar seien. Auch recycelbare Produkte können eine Lösung sein. Deutschland sei dabei auf einem guten Weg, ist sich Dr. Klepper sicher: „Bei der Kreislaufwirtschaft ist Deutschland Pionier.“ Die Kreisläufe weiter zu schließen, sei ein guter Ansatz. Zum Teil müsse bei dem Thema jedoch abgewogen werden, weiß Reiner: Derzeit sei eine Folie, die zum Beispiel einen Käse umhüllt, halb so dick wie ein Haar, besitze allerdings zwölf bis 13 Lagen. Je komplizierter also die Folie ist, desto schwieriger ist ihre Wiederaufbereitung. „Wir müssen überlegen: Machen wir die Folie vielleicht doppelt so dick, geben ihr dadurch aber ein zweites Leben?“, so Reiner. Auf solche Konflikte müssten Antworten gefunden werden, doch die Branche sei auf einem guten Weg. Schon heute sei es möglich, transparente Verpackungen aus Müll zu kreieren.
Neues Verpackungsgesetz
Einen Sprung dürfte das Thema Umwelt mit dem vom Bundesumweltministerium erarbeiteten Verpackungsgesetz machen, das nach jahrelangen Auseinandersetzungen am 12. Mai im Bundesrat die letzte parlamentarische Hürde genommen hat. Das Gesetz tritt zum 1. Januar 2019 in Kraft. Mit dem neuen Gesetz wird die bestehende Verpackungsverordnung weiterentwickelt. Ziel ist es, das Recycling, aber auch die Vermeidung von Verpackungsabfällen stärker zu fördern. Die von Industrie und Handel finanzierten dualen Systeme müssen zukünftig deutlich höhere Recycling-Quoten für die bei ihnen lizenzierten Verpackungen erreichen. Hersteller sollen Anreize erhalten, bei der Gestaltung von Verpackungen das Recycling zu berücksichtigen. Dr. Kleppers Rat an Unternehmer: Sich frühzeitig über die neue Gesetzgebung zu informieren und entsprechend vorzubereiten. Schließlich tut sich viel in dem Bereich. Soll eine neue Verpackung gefunden werden, so rät Thomas Reiner dazu, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. Wichtig seien sowohl Menschen aus der Logistik, der Entwicklung und Fertigung wie auch aus Marketing und Vertrieb. „Verpackung ist immer ein Kompromiss.“ Allen voran sollte die Frage stehen, was der Konsument will. Erfahrungsgemäß wird die Verpackung immer einen Tick zu spät thematisiert, im schlimmsten Fall entsteht so ein neues Produkt in alter Verpackung, kommt also sprichwörtlich neuer Wein in alte Schläuche. „Überlegungen zur Verpackung sollten am Anfang, ja vielleicht noch vor dem Anfang stehen“, sagt Reiner. Die Verpackung sei schließlich die Brücke zwischen dem Konsumenten und dem Produkt.
Miriam Leschke | redaktion@regiomanager.de
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