Management

Beteiligung statt Gehorsam

Die deutsche Führungskultur wandelt sich: Der in vielen Unternehmen herrschende autoritäre Umgangston weicht zunehmend Wertschätzung, Selbstbestimmung und eigenverantwortlichem Arbeiten.

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von Regiomanager 01.08.2016
Foto: ©Thomas Reimer – stock.adobe.com

Harter Hund oder Kuschelchef? Autoritär oder kooperativ? Die Frage nach dem perfekten Führungsstil wird mit Blick auf die Fachkräftegewinnung in deutschen Chefetagen derzeit heiß diskutiert. Obwohl sich längst herumgesprochen haben dürfte, dass sich Mitarbeiter heute einen menschlichen Umgang und eigenverantwortliches Arbeiten wünschen, herrschen in vielen Firmen noch immer auf Befehl und Gehorsam ausgerichtete Strukturen. Wer auf lange Sicht den Unternehmenserfolg sichern möchte, kommt jedoch nicht umhin, seine Führungskultur zu überdenken und sich mit neuen LeadershipModellen auseinanderzusetzen.
Um moderne Führungskultur zu definieren, muss man zunächst verstehen, welche gesellschaftlichen Entwicklungen Einfluss auf ihre Entstehung haben. „Die fortschreitende Digitalisierung führt mit ihren technischen Möglichkeiten zu einer hohen Komplexität und Dynamik, aber auch zu Widersprüchlichkeiten und Unsicherheiten im Arbeitsalltag“, sagt Martin Horn, Vorstandsmitglied des Fachverbandes Personalmanagement im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU). „Darüber hinaus haben sich die Menschen weiterentwickelt.“ Bestes Beispiel ist die Generation Y, die im Gegensatz zu den Babyboomern größeren Wert auf Work-Life-Balance legt. Führungsetagen müssen somit verstärkt auf Wertekonzepte achten. Insbesondere wenn beide Generationen in einem Team vertreten sind, steht die verantwortliche Führungskraft vor großen Herausforderungen. „Moderne Führungskultur bedeutet letztendlich, dass man all diesen Anforderungen so gerecht wird, dass ein Rahmen entsteht, der es Mitarbeitern ermöglicht, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten.“

Soziale
Kompetenz erforderlich

Deshalb muss der Chef neue Fähigkeiten beweisen. „Reine Fachlichkeit reicht in dieser komplexen Welt nicht mehr aus; soziale Kompetenz ist absolut notwendig“, so Martin Horn. „Das liegt vor allem daran, dass die Führungskraft im Vergleich zu früher nicht mehr der fachliche Spezialist ist, sondern eher der Generalist, der weiß, was seine Spezialisten im Team können.“ Sein Job sei es, dieses Wissen so zu vernetzen, dass optimale Informationsflüsse entstehen. In der Folge muss er sowohl mit Widersprüchlichkeiten als auch mit Konflikten umgehen und wissen, wie er sie möglichst produktiv löst.
In diesem Zusammenhang ist eine weitere Veränderung feststellbar: „Früher hat die Führungskraft direkt ins Tagesgeschäft eingegriffen, heute ist jeder Mitarbeiter derart beschäftigt, dass er keine Impulse mehr von außen aufnehmen kann.“ Besonders extrem ist es bei Teams, die an verschiedenen Standorten arbeiten. Um diese Situation zu bewältigen, versuchen immer mehr Führungskräfte, die Mitarbeiter auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. „Die Unternehmensführung vermittelt ihnen eine Vision, das heißt, sie zeichnet ein motivierendes Bild in der Zukunft, das sie anspricht“, erklärt der Unternehmensberater. „Im Idealfall versucht der Arbeitnehmer dann, das Zukunftsbild aus eigenem Antrieb zu verwirklichen.“ Der Chef sagt seinem Mitarbeiter somit nicht mehr, was er zu tun hat; stattdessen unterstützt, schult und entwickelt er ihn. Dafür ist es notwendig, ihn aus dem Tagesgeschäft herauszunehmen. Konkret bedeutet das: Einarbeitungsphasen werden immer länger.
„Wo früher einmal im Jahr Mitarbeiterentwicklungsgespräche geführt wurden, setzt man mittlerweile auf Quartalsgespräche, um den Arbeitnehmer häufiger aus den Alltagsturbulenzen herauszunehmen. Dabei geht es dann nicht nur ums Gehalt, sondern auch um die Ziele des Unternehmens, die gemeinsam erarbeitet werden.“ Der Mitarbeiter wird auf diese Weise an Entscheidungsprozessen beteiligt und motiviert, formulierte Vorhaben in Selbststeuerung zu erreichen. Dieser Aushandlungsprozess ist ein wesentliches Merkmal moderner Führungskultur. „Aus psychologischen Studien wissen wir, dass Menschen 60 Prozent ihrer Energie in Aufgaben investieren, die angewiesen werden; können sie sich aber beteiligen und arbeiten aus eigenem Antrieb an einem Projekt, dann sind es mindestens 80 Prozent.“
Gerade auf der Motivationsebene hat es die Führungskraft heute mit drei Haupttreibern zu tun: Selbstbestimmung, persönliche Weiterentwicklung und die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Tätigkeit. „Bei Letzterem müssen Führungskräfte sprachfähig sein. Es ist nicht einfach, einen Sinn zu formulieren, weil es in diesen Tagen nicht mehr nur um Profit geht.“ Darüber hinaus gehört ein wertschätzender Umgang zur neuen Kultur. Den richtigen Ton beim Kritisieren oder Loben zu treffen ist entscheidend für die Motivation des Einzelnen sowie für das Betriebsklima. Führungskräfte sind heute jedoch nicht nur für den Arbeitserfolg und die Motivation zuständig. Auch die Gesundheit des Mitarbeiters muss er im Blick haben. Hat ein Arbeitnehmer beispielsweise die Aufgabe, Teams in Deutschland, den USA und in China zu betreuen, muss man sich zunächst die Frage nach den Arbeitszeiten stellen. Für Videokonferenzen bleibt in diesem Fall schließlich nur ein bestimmtes Zeitfenster am Abend oder in der Nacht. Ab diesem Punkt muss sich die Führungskraft für das Privatleben des Mitarbeiters interessieren oder ihm zumindest signalisieren, dass er seinen Einsatz wahrnimmt. Hier kann es sinnvoll sein, diese speziellen Situationen in Arbeitsverträgen zu berücksichtigen.

Leader versus Manager

Die neue Führungskultur hat außerdem zur Folge, dass man immer mehr Leader in den Unternehmen findet. „Diese wollen Ziele gemeinsam mit den Mitarbeitern erreichen; sie setzen auf Menschen, suchen ständig nach Verbesserungsmöglichkeiten und geben sich nicht zufrieden, wenn es gut läuft. Zudem versuchen sie, Mitarbeiter in Entscheidungsfindungen einzubeziehen und sie im Prozess ebenso fachlich wie persönlich zu entwickeln.“ Ihnen gegenüber stehen Manager, die glauben, dass Ziele eher mit guten Prozessen und Prozesssicherheit erreicht werden können. Zu finden sind auf dem deutschen und internationalen Markt heute aber nach wie vor viele verschiedene Führungsformen. „Insbesondere der humanistisch orientierte Mittelstand setzt mehr und mehr auf den Beteiligungsansatz, wenn es um komplexe Leistungserbringung geht“, erklärt Martin Horn. „Auf der anderen Seite steht der bilanzgetriebene Manager, der für das Erreichen kurzfristiger Ziele Anweisungen gibt und auch bereit ist, sich von Mitarbeitern zu trennen, wenn die Bilanz nicht stimmt.“
Gleichzeitig sei ein zunehmender Verlust der hierarchischen Macht in den Unternehmen feststellbar. Grund dafür ist die immer stärkere Komplexität, die sich aus neuen Matrixorganisationen ergibt. „Die hierarchische Macht wird ersetzt durch Aushandlungsprozesse, die eine extrem hohe Kommunikationskompetenz voraussetzen. Somit tritt an die Stelle der Anweisung zunehmend die Aushandlung, an die Stelle der Hierarchie die persönliche Kompetenz und an die Stelle einer vorgegebenen Linie die Mitarbeiterbeteiligung.“ Deshalb teilt sich Führung zunehmend auf. Schließlich steige in Deutschland auch das Interesse an der Organisationsform Holacracy, die es Mitarbeitern ermöglicht, auf allen Unternehmensebenen an Entscheidungsprozessen teilzuhaben.

Gute Führung,
gute Bilanz

„Eine moderne Führungskultur hat letztendlich bilanzierende Auswirkungen. Das sieht man beispielsweise massiv bei den Fluktuationszahlen: In Zeiten des Fachkräftemangels geht man davon aus, dass eine Fluktuation ein bis eineinhalb Jahresgehälter kostet.“ Martin Horn ist sich dennoch sicher, dass die verschiedenen Führungsformen noch einige Zeit nebeneinander bestehen werden. Auf lange Sicht müsse aber ein Wandel stattfinden: „Jüngere Mitarbeiter identifizieren sich heute nicht mehr sehr stark mit einer Firma. Das liegt vor allem daran, dass sich gut ausgebildete Fachkräfte nicht bei den Firmen bewerben, sondern Unternehmen um sie kämpfen müssen. Deshalb dreht es sich zunehmend um die Frage, wie man ihnen einen attraktiven Arbeitsplatz bieten kann.“ Das Verhältnis zum Chef spielt dabei sicher eine entscheidende Rolle.

Jessica Hellmann | redaktion@regiomanager.de

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