Die Wirtschaft will das Homeoffice auch nach der Corona-Pandemie überwiegend im größeren Umfang weiterführen sowie ausbauen; Befürchtungen, mobiles Arbeiten im großen Stil könnte die Produktivität schädigen, sind nicht eingetroffen. Auch die Beschäftigten sind positiv gestimmt und finden mehrheitlich, dass die Arbeit am Rechner zu Hause die Work-Life-Balance verbessere: Vier von fünf möchten künftig zumindest teilweise im Homeoffice arbeiten, ermittelte die Beratungsfirma EY. Corona hat in der Organisation der Arbeit offenbar ein großes Schwungrad in Gang gesetzt. Beim IT-Unternehmen Hewlett Packard Enterprises (HPE) etwa sollen die Beschäftigten möglichst von zu Hause aus arbeiten, falls ihre Anwesenheit im Büro nicht unbedingt erforderlich ist. Ähnliche Regelungen gibt es bei SAP. Selbst die klassische herstellende Industrie schwenkt um: Bei Porsche dürfen diejenigen künftig an bis zu zwölf Tagen von daheim aus arbeiten, die nicht in Bereichen wie der Produktion tätig sind. Vor der Pandemie waren monatlich nur zwei Homeoffice-Tage monatlich erlaubt. Ähnliche Überlegungen stellen VW und Bosch an.
Unverzichtbare
Gemeinschaftserlebnisse
Aber es gibt auch negative Erfahrungen: Nach einer Zahl, die das Kompetenznetzwerk Public Health Covid-19 vorgelegt hat, fühlten sich im ersten Corona-Jahr 20 Prozent der Befragten im Homeoffice einsam und sozial isoliert. Und auch wer gern von zu Hause arbeitet, wird zugeben müssen: Es gibt weniger Flurfunk, Pausenplausch und herzerfrischendes Blödeln. Kreativen droht ohne Gemeinschaftserlebnisse vielleicht sogar eine Schaffensflaute. „Das Gefühl, eine Gemeinschaft zu sein, ist das Salz in der Suppe“, sagt Dr. Miriam Baumgärtner, Wissenschaftlerin zum Themenkomplex „New Work und Gesundheit“ an der Universität St. Gallen. Sie plädiert für „Hybridmodelle“. „Es gibt Dinge, die ich zu Hause besser tun kann: sich fokussieren etwa oder Texte schreiben. Themen, die auf Wissensaustausch basieren, werden dagegen besser im Office erledigt.“ Schon jetzt ist der Mix aus Homeoffice und Arbeitsplatz in vielen Firmen Realität.
Feste Bürotage für alle
„Die Forschung legt nahe, dass Homeoffice nicht vorgeschrieben werden sollte, sondern sich an den individuellen Bedürfnissen der einzelnen Mitarbeiter orientieren sollte“, erklärt Prof. Dr. Uwe Kanning, Wirtschaftspsychologe an der Hochschule Osnabrück. „Für manche ist ein Tag in der Woche sinnvoll, für andere vielleicht drei und für wieder andere null.“ Er schlägt vor: „Im Sinne des Teambuildings wäre es gut, Mitarbeiter jede Woche wieder in die Firma kommen zu lassen, um hier auch einen gemeinsamen Arbeitsalltag zu erleben. Dies ließe sich zum Beispiel dadurch bewerkstelligen, dass an einem festen Tag alle Mitarbeiter vor Ort sein müssen.“ So geschieht es bei Google: Die Beschäftigten erhielten kürzlich die Ansage, dass alle an denselben drei Arbeitstagen in die Zentrale kommen sollen. Das ermöglicht einen vielfältigen Austausch, von dem die Firma profitiert und dessen Wert offenbar höher anzusetzen ist als die Einsparmöglichkeiten durch eine gleichmäßig verteilte Belegung über die Woche hinweg.
Büroraum bleibt gefragt
Die Immobilienbranche scheint trotz Homeoffice von einer weiterhin guten Nachfrage nach Büroraum auszugehen. Erst kürzlich kauften die Allianz sowie die Bayerische Versorgungskammer einen im Bau befindlichen Büroturm in Frankfurt von 233 Metern Höhe. Und würden bei Neuplanungen von Büros typischerweise Arbeitsplätze für 80 Prozent der Beschäftigten eingeplant, so sei jetzt kaum weniger gefragt, nämlich vielfach um die 70 Prozent, wie der Architekt Henrik Pötting sagt, einer der Geschäftsführer der Münchner Büroplanungsfirma Congena. „Tatsächlich belegt waren schon vor der Pandemie durchschnittlich nur 60 Prozent“, wie er der FAZ mitteilte. Zunehmend würden klassische Büros auch in variable Lounges oder „Wohnlandschaften“ verändert, so wie es die DZ Bank tue. „Ich würde allerdings nicht davon ausgehen, dass sie einen großen und dauerhaften Effekt auf das Teambuilding haben werden. Man gewöhnt sich halt schnell an solche Dinge“, meint Wirtschaftspsychologe Kanning.
Weniger Zufallsbegegnungen
Je mehr die Beschäftigten „ausgeflogen“ sind, desto geringer ist die Chance auf Begegnungen auf dem Flur oder am Kaffeeautomaten. Ein Surrogat könnte die Handy-App „Coffee Call“ für den informellen Kontakt unter allen PC-Nomaden im Unternehmen sein. Die FAZ stellte sie kürzlich vor. Wer einen „Coffee Call“ auslöst, sendet damit eine Benachrichtigung an höchstens 15 zufällig über einen Algorithmus ausgewählte Kollegen im Unternehmen. Wer zuerst drangeht, wird mit dem Anrufer verbunden; nach sieben Minuten wird die Verbindung wieder getrennt. Auf Wunsch kann die App auch eine Eisbrecherfrage senden, etwa: „Ananas auf der Pizza – ja oder nein?“ Wie entspannend es ist, zwischen lauter Videokonferenzen auch noch die Kaffeepause per Videotelefonie stattfinden zu lassen, bleibt allerdings die Frage.
Neue Qualitäten gefragt
Je mehr im Homeoffice gearbeitet wird, desto stärker steigen die Anforderungen an Führungsqualitäten. Den Umgang mit solchen Beschäftigten im Homeoffice, die wenig aktiv kommunizieren, empfanden fast zwei Drittel der Vorgesetzten als schwer bis sehr schwer, wie eine Umfrage des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Personalführung ergab. Danach herrscht unter Führungskräften eine große Unsicherheit, wo Fürsorge aufhört und wo die Einmischung in private Angelegenheiten anfängt. Grundsätzlich gefragt ist eine wertschätzende, empathische und offene Kommunikation aufseiten der Führungskräfte. Aber: „Die Forschung zu virtuellen Arbeitsgruppen zeigt, dass grundlegende Führungsstile auch im Homeoffice funktionieren“, so Wirtschaftspsychologe Kanning. „Man muss also nicht das Rad neu erfinden. Leichte Vorteile gibt es für einen mitarbeiterorientierten Führungsstil, je größer die Arbeitsgruppen sind und je mehr Homeoffice gelebt wird.“ Auch für künftige Stellenbesetzungen ändert sich das Anforderungsprofil: Intrinsisch motivierte Menschen, die sich selbst gut organisieren und autonom arbeiten können, werden besonders gefragt sein, so die Einschätzung von Uwe Kanning. Wer neu eingestellt wird, hat es bei Homeoffice besonders schwer, Kontakte zu knüpfen. Hier empfiehlt der Wirtschaftspsychologe, sie in den ersten Monaten komplett im Unternehmen arbeiten zu lassen. Homeoffice sollte ihnen erst später angeboten werden.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
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