„In den Medien wird oftmals ein verzerrtes Bild von Künstlicher Intelligenz (KI) propagiert mit humanoiden Super-Robotern, die langfristig alle Aufgaben von Menschen übernehmen“, sagt Dr. Matthias Peissner, Leiter des Forschungsbereichs Mensch-Technik-Interaktion am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation. Das entspricht aber nicht dem Alltag in Firmen. Und KI ist auch nicht gleich KI. „Es macht einen großen Unterschied, ob Firmen mit einem Chatbot arbeiten oder ein selbstfahrendes Fahrzeug nutzen“, sagt Dr. Peissner. Daher müssen Unternehmer Dr. Peissner zufolge bei ihrer Belegschaft ein grundsätzliches Verständnis dieser Technologie und ihrer Anwendbarkeit in ihrem Arbeitsumfeld schaffen. So könne der Einsatz von KI im Unternehmen von allen Mitarbeitenden als Chance für Arbeitserleichterungen und als Chance für neue Aufgaben und Weiterqualifizierungen erkannt werden. „In Deutschland fehlen aktuell rund 86.000 IT-Expertinnen und -Experten“, sagt Lukas Klingholz, Leiter Cloud & Künstliche Intelligenz beim Digitalverband Bitkom. Das bedeute einen scharfen Wettbewerb um die klügsten Köpfe. Daher solle der Mittelstand aus Sicht des Experten vor allem die Weiterbildung des bestehenden Personals als strategische Aufgabe ansehen.
Das sieht auch Dr. Vanessa Just, die als CEO der juS:TECH AG, im KI-Bundesverband sowie bei der Digitalagentur team neusta für KI-Strategien zuständig ist, ähnlich: „Firmenchefs sollten für die Mitarbeiter Qualifikationsangebote für den Umgang und das Verständnis von KI schaffen.“ In der Regel werde ein ausgewählter Personenkreis für den Prototyp ausgewählt. „Aber wenn KI eingeführt wurde, betreffen die Prozesse das gesamte Unternehmen“, so Dr. Just. Bisher beschäftigen sich in der Praxis in einer Befragung des Digitalverbands Bitkom vor allem die IT-Abteilungen und insbesondere in Großunternehmen eigene Teams mit dem Thema KI und weniger der Vorstand.
Dr. Just: „Eine KI ist so stark, wie die Mitarbeiter gewillt sind, mit ihr zu arbeiten“
KI ist kein Selbstzweck
Eine KI sei aus Sicht von Dr. Just immer nur so stark, wie die Mitarbeiter gewillt sind, mit ihr zu arbeiten. „Wenn eine KI im Unternehmen eingeführt wird, dann idealerweise frühzeitig gemeinsam mit den Mitarbeitern.“ Diese sollten auf dieser Reise bereits zu Beginn teilnehmen, da sie das langjährige Know-how des Unternehmens mitbringen. Die KI sei kein Selbstzweck, sondern Unternehmen sollten immer über den fachlichen Use Case einsteigen. Das gelingt aus Sicht der Expertin beispielsweise durch Workshops mit den Mitarbeitern. Diese sind als Korrektiv zum KI-Algorithmus essenziell notwendig. „Es ist dabei auch wichtig, dass Mitarbeiter die Produktivitätssteigerung durch die KI-Prozesse erkennen, damit sie motiviert bleiben und Freude daran haben, die KI mitzuentwickeln, zu gestalten und zu trainieren“, rät die Expertin.
Mitarbeiter weiterbilden
ist entscheidend
„KI wird oftmals eingesetzt für repetitive und stark prozessual getriebene Anwendungen“, erklärt Dr. Vanessa Just. Einen Vorteil von KI-Anwendungen sehen knapp die Hälfte der 603 von Bitkom befragten Firmen ab 20 Mitarbeitern u.a. darin, menschliche Fehler im Arbeitsalltag zu vermeiden. 28 Prozent der befragten Unternehmer gehen davon aus, dass sich die Mitarbeiter dann besser auf wichtigere Aufgaben konzentrieren können.
„Wenn Routineanfragen durch KI komplett fallabschließend bearbeitet werden, kann das bedeuten, dass in diesem Bereich weniger Mitarbeiter benötigt werden“, sagt Dr. Matthias Peissner. Es könne aber auch bedeuten, dass sich die Arbeit der Mitarbeitenden verdichtet, weil sich diese nun intensiver um die komplexen Anfragen kümmern, weil die „einfacheren“ Fälle wegfallen. „KI-Anwendungen unterstützen in aller Regel Menschen, können aber nicht ihre Aufgaben vollständig übernehmen“, sagt Lukas Klingholz. Rationalisierungen im klassischen Sinne seien daher aus seiner Sicht nicht zu erwarten, aber die Jobprofile veränderten sich und die Mensch-Maschine-Interaktion gewinne an Bedeutung.
Das sieht auch Dr. Just so: „Mitarbeiter werden durch KI nicht obsolet. Aber sie können sich wieder mehr um ihre ursprünglichen Aufgaben kümmern, bei denen es um empathisches Einfühlungsvermögen geht, wenn KI die repetitiven Standard-Verwaltungs- und Dokumentationsprozesse übernimmt.“ Eine KI ist aus Dr. Justs Sicht nicht selbstlernend, sondern braucht einen menschlichen Kontrollpart. „Das erste Augenpaar kann die KI zur Verfügung stellen, das zweite, das die Freigabe erteilt, muss immer menschlich sein. Das Vier-Augen-Prinzip ist gesetzlich vorgeschrieben“, argumentiert die KI-Expertin.
„Wenn wir in Deutschland nicht im Wettbewerb mit Ländern wie China zurückfallen wollen, müssen wir die Automatisierungspotenziale der KI konsequent ausschöpfen“, rät Dr. Peissner. Die meisten Prognosen gehen laut Dr. Peissner davon aus, dass die Anzahl der Jobs, die durch KI verloren gehen, in etwa der Anzahl entspricht, die durch KI geschaffen werden. „Wir sollten diese Entwicklung nicht bremsen mit dem Ziel, Arbeitsplätze zu erhalten, sondern die Menschen mitnehmen und so qualifizieren, damit sie mit neuen Technologien wie KI umgehen können“, sagt er.
Langfristig sind interne
KI-Experten nötig
„Langfristig ist es wichtig, dass Unternehmen einzelne Mitarbeiter als KI-Experten ausbilden, die ein Gespür dafür besitzen, für welche Anwendungen KI geeignet sein könnte, und Projektideen intern mit den Fachabteilungen diskutieren können“, ergänzt Dr. Just. Am besten sollten diese Mitarbeiter aus Sicht der KI-Expertin im mittleren Management mit operativer Anbindung angesiedelt sein. „Nicht alle Mitarbeiter müssen KI-Experten werden und diese Anwendungen programmieren können“, sagt Dr. Peissner. Wenn Mitarbeitende KI-Systeme kompetent anwenden könnten, müssten sie vor allem verstehen, was sie als Ergebnis erwarten können.
„Zentral für erfolgreichen KI-Einsatz ist eine strategische Priorisierung von Digitalisierungsprojekten und digitalen Geschäftsmodellen. Kurz: Digitalisierung muss Chefsache sein“, sagt Klingholz. Führungskräfte müssen aus seiner Sicht das Thema auf die Agenda setzen und aktiv vorantreiben. Zu häufig beobachtet der Experte, dass solche Projekte „entweder zu zaghaft angegangen oder ausschließlich als internes und externes Prestigeprojekt auf Prototypen-Level betrieben werden, um Stakeholder zufriedenzustellen“.Barbara Bocks
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