Sensen standen im heutigen Wuppertal am Anfang gewerblicher Aktivität: Schon 1240 erwähnt die Hanse in Lübeck das wichtige bäuerliche Handwerksgerät aus Cronenberg. Dort entstanden die „weißen“ Eisen-Stahl-Sensenblätter mit blanken Schneiden in Faustschmieden und Schleifkotten. Cronenberger Sensen waren für ihre Qualität bekannt, sie wurden mit dem Stadtwappen als „Markenzeichen“ versehen, europaweit exportiert. Das „Cronenberger Sensenprivileg“ sicherte den Mitgliedern der Zunft einheitliche und auskömmliche wirtschaftliche Verhältnisse, ordnete den Qualitätsstandard, schützte sogar vor freiem Wettbewerb und Konkurrenz. Dass die Zeiten gänzlich anders waren, wird an einem heute kaum nachvollziehbaren Beispiel deutlich: Drei Bergische Schmiede fertigten im Handbetrieb etwa zwölf Sensen täglich. Als die Wasserkraft in die Werkstätten einzog, stellten zwei Schmiede im Hammerbetrieb 30 bis 40 Sensen am Tag her. 1657 verbot das Handwerksgericht der Zunft den Einsatz von Blasebälgen in den Sensenhämmern. Die Behinderung des technischen Fortschritts sollte den Sensenschmieden ihre Arbeit erhalten. Doch aus vorübergehenden Privilegien wurde das Ende der Cronenberger Sensentradition. Steirische Sensen konnten losgelöst von solchen Behinderungen produziert werden, sie überzeugten durch Qualität und Preis. An der Wupper wanderten Schmiede und Schleifer ins benachbarte Märkische aus oder suchten nach Alternativen. Sie fertigten andere Werkzeuge wie Haumesser, Äxte und Beile, aber auch Kleineisenteile wie Nägel, die noch mühsam von Hand geformt wurden. Später wurden auch Schraubengewinde gefeilt. In Urkunden wird aufgeführt, dass 1763 in der Region über 300 Sorten Stahl- und Eisenwaren und 1803 bereits 600 verschiedene Arten hergestellt wurden.
Günstige geografische Lage
Wuppertal blickt also auf eine lange Vergangenheit als Wirtschaftsstandort zurück. Begünstigt durch seine geografische Lage, gilt die Stadt als Zentrum der Frühindustrialisierung auf dem europäischen Festland. Wuppertal ist eine der ältesten Industriestädte Deutschlands mit alteingesessenen Werkzeug-, Textil-, Chemie- und Maschinenbauunternehmen. Ehemals einseitig durch Textilveredelung und Metallverarbeitung geprägt, hat Wuppertal den Wandel zu einer facettenreichen Stadt mit traditionellen sowie vielen neuen Branchen geschafft. Die Stadt ist Sitz zahlreicher Unternehmen aus den modernen Branchen Biotechnologie, Automotive Systems, Umwelttechnologie sowie Multimedia. Nationale und internationale Marktführer wie Bayer Health Care, der Lackhersteller DuPont, der weltgrößte Elektronikzulieferer der Automobilindustrie, Delphi, Vorwerk, Erfurt, FAG Kugelfischer oder die renommierten Faserhersteller Teijin und Membrana sind weltweit bekannt und zeugen von langer Tradition und Innovationsfähigkeit; zudem bezeugen sie die Innovations- und Wirtschaftskraft des Standorts. Kaum ein Auto, das nicht mit Wuppertaler Technologie – sei es der Airbag oder die Lackierung – unterwegs ist. Eine Maschine ohne Kugellager aus Wuppertal? Fast nicht vorstellbar. Kaum ein Krankenhaus, das nicht mit in Wuppertal entwickelten Medikamenten oder Instrumenten arbeitet. Kaum eine Wohnung, die nicht mit Wuppertaler Tapeten verschönert wurde, und kaum ein Büro, das ohne strapazierbaren Bodenbelag aus Wuppertal auskommt. Das alles sind Beispiele aus dem Alltag, die den Beweis erbringen, wie stark Wuppertal in den unterschiedlichsten Branchen ist und welche Wirtschaftskraft sich aufgrund der vorangetriebenen Clusterbildung in den Kompetenzfeldern entwickeln konnte.
Strahlende Farben
Die historischen Kompetenzfelder waren anders besetzt: In den Schraubenfabriken entstanden Holzschrauben, deren Köpfe geschmiedet und deren Gewinde von Hand ausgefeilt wurden. Zu jeder Schraube passte nur die speziell für sie gefertigte Mutter. Maschinen verwandelten den Berufsstand, auch den der Türkischrot-Färbereien. In den 1780er-Jahren war das Geheimnis ins Tal gekommen, wie man Baumwolle mithilfe des Krapps türkischrot färben kann. Die besonders strahlende Farbe sowie ihre Farb- und Lichtechtheit machten das Türkischrotgarn zu einem begehrten und gut bezahlten Garn, was viele Kaufleute veranlasste, in dieses Geschäft mit eigenen Türkischrot-Färbereien und -Garnhandlungen einzusteigen. 1817 gab es in Elberfeld schon 30 Türkischrotfärbereien. Sie knüpften an alte Traditionen an: Schon 1527 verlieh das Herzogtum Berg den Städten Barmen und Elberfeld das Monopol, Garne zu bleichen und zu verkaufen. Damals siedelten sich Bleicher, Färber, Webereien und Maschinenfabriken an, die Textilproduktion avancierte im 19. Jahrhundert zum Motor der Industrialisierung. Bis zu 80 Prozent der Bevölkerung lebten von der Weberei.
J.H. vom Baur
Johann Heinrich vom Baur war 21 Jahre alt, als er 1805 die Bändermanufaktur gründete, Litzen und Bänder herstellte und sie mit dem Pferdefuhrwerk selbst ins Brabanter Land transportierte. Später liefen im kleinen Unternehmen zehn, dann 42 elektrisch betriebene Bandstühle, die neben Herrenhutbändern auch Sägekanten-, Taffet-, Satin- und Libertybänder webten. Sechs Millionen Meter Hutband fertigte „vom Baur“ noch 1960, 30 Huthersteller zählen heute zum illustren Kundenkreis, der sich bis nach Lateinamerika und Japan erstreckt. Andere, aber verwandte Produkte sichern heute die wirtschaftliche Grundlage des Unternehmens: Technische Textilien, Stützgewebe, Schrumpfschläuche und nahtlose Schläuche zählen zu den Spezialitäten. Verarbeitet werden Hochleistungsfasern wie Carbon, Aramid, Glas und Dyneema, aber auch Edelstahlfäden.
Vorwerk und
Mittelsten Scheid
Die gab es noch nicht, als das älteste Wuppertaler Unternehmen an den Start ging. „Bergchemie J.C. Bröcking“ mit Wurzeln im Jahre 1757, genießt dieses Privileg. Säuren, Laugen, Feststoffe und Wasserstoffperoxid bestimmen dort heute das Bild. 1797 erfolgte die Gründung von „August Mittelsten Scheid & Söhne“, ein Name, der heute noch im Wirtschaftsleben Wuppertals eine besondere Rolle spielt: Als Carl Vorwerk 1883 die Barmer Teppichfabrik gründet, legt er den Grundstein für die heutige Weltmarke. 1907 übergab Vorwerk die Firmenleitung an seinen Schwiegersohn August Mittelsten Scheid. In der Hand seiner Familie ist das Unternehmen bis heute. Produziert wurden Auto-Achsen und Grammofon-Motoren. Die Erfindung des Radios traf das Unternehmen, das mit einer Idee die Rettung fand: Aus dem Grammofon-Motor wird ein Motor für einen Staubsauger. 1929 stellt der Kobold so etwas wie eine kleine Revolution dar: ein handliches Gerät – und trotzdem leistungsstark. Doch der Markt ist noch nicht reif für diese Innovation; der Einzelhandel kann die Vorteile des Kobold nicht vermitteln. Und wieder bringt eine revolutionäre Idee die Rettung: die Einführung des Direktvertriebs in Deutschland – der vielleicht wichtigste Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens. 1930 von August Mittelsten Scheids Sohn Werner aus den USA mitgebracht, wird diese Vertriebsform zum Markenzeichen und Erfolgsgeheimnis. Das Kerngeschäft von Vorwerk ist heute der weltweite Direktvertrieb hochwertiger Haushaltsprodukte (Küchenmaschine Thermomix, Staubsauger Kobold, Werkzeuge Twercs, Produkte von Lux Asia Pacific) und Kosmetika (Jafra Cosmetics). Zur Vorwerk-Familie gehören außerdem die Akf Bank, die Vorwerk Teppichwerke sowie die Hectas Gruppe als Schwesterunternehmen. Weltweit sind mehr als 625.000 Menschen für Vorwerk tätig, davon rund 612.000 als selbstständige Berater. Vorwerk erwirtschaftet einen Konzernumsatz von 3,5 Milliarden Euro (2015) und ist in über 70 Ländern aktiv.
Picard sind
die Hammermacher
Solche Zahlen kann „Peter Holzrichter“ nicht bilanzieren. Das Unternehmen handelt ab 1817 in Barmen mit Eisenwaren, Ofenrohren, Hufbeschlag und Eisen für den Wagenbau. Heute liefert der Stahlgroßhandel von Wuppertal und Schwerte aus Walzstahl, Edelstahl, Aluminium, Blankstahl, Rohre, Spaltband, Kolbenstangen und Zylinderrohre an Kunden in Europa. Das zur Carl Spaeter GmbH in Duisburg gehörende Unternehmen mit 140 Mitarbeitern spaltet auch Coils, bürstet Bleche und sägt Profile. Metall und Stahl sind auch die Grundlagen des „perfekten Schlags“: 1857 legte Johann Hermann Picard mit seiner kleinen Schmiede den Grundstein für ein Werkzeug-Unternehmen, das heute mit dem weltweit größten Premium-Hammersortiment aufwarten kann. Zimmerleute, Tischler, Metallbearbeiter und Goldschmiede nutzen seit vielen Generationen Picard-Hämmer und andere Spezial-Werkzeuge des Unternehmens. Jährlich werden viele Hundert Tonnen Spezialstahl zu knapp einer Million Hämmern verarbeitet. Leidenschaft und Qualität stehen für das „Made in Wuppertal“: Der Stahl wird basierend auf einer Hausrezeptur exklusiv gekocht und liegt mit seinen Legierungen oberhalb der C45-Qualität. „Für eine Hundertstelsekunde des perfekten Schlages arbeiten wir wochenlang“, unterstreicht Geschäftsführer Frank Simon die besondere Bedeutung von Wertarbeit.
Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de
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