Kolumne

KOLUMNE Parallelwelten: Bürokratie als Selbstzweck?

Alle reden von Bürokratieabbau, doch bleibt es zum großen Teil bei Worthülsen, meint Simone Harland.

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von Simone Harland 12.07.2024
(© Ulia Koltyrina – stock.adobe.com)

Sie sind Einzelunternehmer, versenden viermal im Jahr selbst hergestellte Waren, den Rest lassen Sie über ein anderes Unternehmen verschicken? Dann müssen Sie sich in Deutschland für diese viermalige Lieferung beim Verpackungsregister LUCID registrieren. Denn als Hersteller eines Produkts sind in diesem Fall Sie für die Verpackung, deren Vermeidung, Wiederverwendung und Verwertung verantwortlich.

Sie sind Immobilienmakler und ein Kunde meldet sich auf eine von Ihnen veröffentlichte Anzeige? Bevor Sie tätig werden können, muss Ihr Kunde eine Datenschutzerklärung unterzeichnen, in der er sich mit der möglichen Verarbeitung seiner Daten einverstanden erklärt. Diesen Schritt müssen Sie jeder Beratung voranstellen – sogar, wenn Sie bereits die Erfahrung gemacht haben, dass potenzielle Kunden abspringen, weil diese Angst davor haben, mit ihrer Unterschrift eine verbindliche Geschäftsbeziehung mit Ihnen einzugehen.

Das sind nur zwei Beispiele für die überbordende Bürokratie in Deutschland. Die Regelungen mögen an vielen Stellen ihre Berechtigung haben (hier im Sinne des Umwelt- bzw. Datenschutzes), doch in Fällen wie oben handelt es sich aus Sicht vieler Unternehmen um eine Überregulierung. In jedem Fall stellen derartige Vorschriften Unternehmen vor zum Teil erhebliche Herausforderungen.

So hat eine Ende 2023 vom Institut für Mittelstandsforschung Bonn (IfM Bonn) durchgeführte Studie zur Bürokratiebelastung in Deutschland ergeben, dass 90 % der Unternehmen in den vorausgegangenen fünf Jahren eine steigende Belastung durch bürokratische Regelungen ausgemacht haben. Dadurch erhöhten sich nicht nur die Kosten für die Unternehmen, das Verstehen der oft kompliziert formulierten Vorschriften nehme, so die Studie, ebenfalls viel Zeit in Anspruch. Des Weiteren stellte das IfM Bonn fest, dass sich nur gut 40 % der Unternehmen sicher seien, die Rechtsnormen in vollem Umfang umzusetzen. Im Umkehrschluss bewegen sich damit 60 % der Unternehmen auf unsicherem Terrain. Dazu gehören vermutlich vor allem diejenigen, die sich keine Rechtsabteilung leisten können, die über die neuesten Vorschriften informiert. Allein dieses Ergebnis der Untersuchung sollte den Gesetzgeber stutzig machen.

Eine überbordende Bürokratie hemmt die Neugründung von Unternehmen und schränkt bestehende in ihrer Tätigkeit ein, indem Zeit auf die Umsetzung von Vorschriften verwendet wird, die für den ursprünglichen Unternehmenszweck genutzt werden könnte. Daran ändert wahrscheinlich auch das vierte Bürokratieentlastungsgesetz nur wenig, das unter anderem die Aufbewahrungsfrist für Buchungsbelege von zehn auf acht Jahre verkürzen und noch andere, eher zusammengestoppelt wirkende Regelungen umfassen soll. Denn fällt eine Vorschrift, folgt sicher bald eine neue. So muss Deutschland etwa die im Mai 2024 verabschiedete EU-Richtlinie zum Lieferkettengesetz bis 2026 umsetzen, deren Regelungen über das deutsche Lieferkettengesetz hinausgehen. Hier bringen sich bereits Anbieter in Stellung, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz die Lieferketten von Unternehmen darauf überprüfen, ob bei der Produktion sowohl die Menschenrechte eingehalten und Zwangs- sowie Kinderarbeit verboten sind als auch der CO2-Ausstoß im vorgegebenen Rahmen bleibt. Diese Hilfen kosten die Unternehmen selbstverständlich Geld. Wer auf Nummer sicher gehen will, die Vorschriften einzuhalten, muss es sich auch hier leisten können.

Eine substanzielle Entlastung der Unternehmen von Bürokratie ist also trotz vieler Versprechen sowohl deutschlandweit als auch auf EU-Ebene derzeit nicht zu erkennen. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) warnt deshalb nicht nur vor einer Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland, sondern auch aus Europa. Um einer solchen Entwicklung vorzubeugen, fordert die DIHK, für jedes neue Gesetz, das für Unternehmen weitere Vorschriften erlässt, ein anderes zu streichen. Auf EU-Ebene sei jedoch das genaue Gegenteil passiert: 2022 zum Beispiel seien für jede abgeschaffte EU-Regelung 3,5 neue erlassen worden. Kritische Stimmen könnten sich hier die Frage stellen, ob dieser Trend seinen Ursprung in einem grundsätzlichen Misstrauen gegenüber Unternehmen hat oder vielleicht auch den Behörden in gewissem Maß als Selbstzweck dient.

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