Produktion

Scharfe Klingen, markanter Schutz

Solingen ist die Stadt der Schneidwaren- und Besteckindustrie: ein eigenes Gesetz für „Made in Solingen“.

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von Regiomanager 01.03.2017
Stammhaus der Firma Carl Rauh

Welche Stadt kann schon von sich behaupten, Mittelpunkt eines Gesetzes zu sein? Schon 1938 erhielten die Stadt und deren Qualitätsprodukte im „Gesetz zum Schutz des Namens Solingen“ ganz besondere Aufmerksamkeit: Auch heute noch darf der Name Solingen im geschäftlichen Verkehr nur für solche Schneidwaren benutzt werden, „die in allen wesentlichen Herstellungsstufen innerhalb des Solinger Industriegebiets bearbeitet und fertiggestellt worden sind“. Markenschutz gilt für Scheren und Messer, für Bestecke, Nussknacker und Korkenzieher. Aber auch Dosenöffner und Rasiermesser, Rasierklingen, Nagelfeilen und Pinzetten genießen besonderen Status und unterstreichen die Wertschätzung für Schneidwaren „Made in Solingen“, auch wenn aus dem Gesetz 1994 eine Verordnung wurde. Das hat natürlich seine Gründe: Schneidwaren und Bestecke haben ihren wesentlichen Ursprung in Solingen und zählen seit mehr als 700 Jahren zu den besonders traditionsreichen Handwerken. Die Klingenherstellung ist älter als die Stadt; schon seit 1250 lässt sich die Schwertfertigung als Vorläufer der heutigen Schneidwaren- und Besteckindustrie nachweisen. Bereits im 14. Jahrhundert gab es die Zünfte der Schleifer und Härter (1401), der Schwertfeger und Reider (1412) und der Schwertschmiede (1472). 1571 wurde die Zunft der Messermacher erstmals erwähnt; 1794 schlossen sich die Scherenmacher zusammen und seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ist auch die Besteckfertigung in Solingen verbürgt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war die Produktion rein handwerklich organisiert. In kleinen Schmiedewerkstätten wurde Stahl zu Messern und Klingen verarbeitet. Bis zu 100 solcher Kotten wurden im Solinger Stadtgebiet gezählt. Von Dampfmaschinen angetriebene Hammerwerke hielten Einzug in die Produktion und verhalfen der aufkommenden Industrie zu gewaltigen Produktivitätszuwächsen. Als erstes Solinger Unternehmen entstand die Firma Henckels, von der um 1850 wesentliche Impulse für die fabrikmäßige Fertigung ausgingen. Ab 1873 stand mit der Firma Kieserling auch in Solingen ein Lieferant von Maschinen, insbesondere für die Mechanisierung des Schmiedeprozesses, zur Verfügung. Kieserling hatte wesentlichen Anteil am Boom von Fabrikgründungen. Die aufstrebende Rasiermesserbranche wagte den Anfang:  So stellte die Firma C.F. Ern in Wald 1879 ihren Betrieb auf Dampfkraft um und richtete eine mechanische Schlägerei ein. Ein Beispiel aus jener Zeit kann heute mit der Gesenkschmiede Hendrichs im Industriemuseum Solingen immer noch in historischen Dimensionen begutachtet werden. Als „Werkstatt für die Welt“ wurde das Unternehmen bezeichnet, das heute die jahrhundertlange Produktion Solinger Schneidwaren, die Bedeutung für den europäischen Markt sowie den Aufbau des Überseehandels museal beleuchtet. Deutlich wird dabei der wirtschaftliche Hintergrund, vor dem sich die Gründung der Gesenkschmiede 1886 durch die Scherenfeiler Peter und Friedrich Wilhelm Hendrichs vollzog. Sie produzierten Scherenrohlinge, expandierten ständig und gehörten schon bald mit 33 Fallhämmern zu den größten Solinger Betrieben.

Messer aus Solingen

In der ganzen Welt sind Messer aus Solingen auch heute noch gefragt und Merkmal einzigartiger Qualität. Dieser Weltruf musste hart erarbeitet werden: In den Annalen des Herzogtums Berg taucht 1814 der Name Wüsthof erstmals als Fabrik auf. Abraham Wüsthof gründete die „Fabrik feiner Stahlwaren“, heute noch als „Dreizackwerk“ aktiv. Das Unternehmen führt seit 1895 einen Dreizack als Logo. Damals wurde es beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin als Warenzeichen eingetragen und ist heute in nahezu allen Ländern gesetzlich geschützt. Höchst präzise Schnitte sind bis heute auch das Ergebnis des 1852 von Otto Rüttgers gegründeten Unternehmens, das sich mit der Herstellung von Schneidwaren befasste. Als Ende des 19. Jahrhunderts die Chirurgie große Fortschritte machte, wurde die Produktion von Skalpellen, Scheren und anderen chirurgischen Instrumenten aufgenommen. Aus diesem Programm entwickelte sich als besondere Spezialität die Herstellung von auswechselbaren Skalpellklingen sowie den dazugehörigen Griffen für die verschiedensten Anwendungen in Medizin, Elektronik und Technik.

Skalpelle und Rasiermesser

Exakte Schnitte waren auch das Ansinnen von Carl Dorp, der 1906 gemeinsam mit seinem Compagnon Arthur Voos in Wald bei Solingen die Rasiermesserfabrik „Dovo“ gründete und als Zeichen seiner Fabrikation ein Männchen mit Hammer und Schwert in den Händen in die Zeichenrolle eintragen ließ: der Hammer als Symbol für die Rasiermesserschmiede und das Schwert als Zeichen der Fabrikation und der handwerklichen Vollendung seiner Produkte. Anfangs war die Firma eine reine Rasiermesserfabrik mit Schmiede und Hohlschleiferei. Der kleine Ritter mit Schwert und Hammer eroberte mit den Qualitätsprodukten die Märkte in Westeuropa und Nordamerika. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg übernahm Fritz Bracht das Unternehmen, das bald hochwertige Rasiermesser, aber auch Accessoires für die Rasur und Pflegeprodukte vertrieb. Der elektrische Rasierapparat wurde zur Herausforderung, Fritz Bracht nahm sie mit einem zweiten Standbein an, Dovo produzierte Haarscheren: „Eureka“, eine Haar- und Effilierschere mit geschwungener Wate, brachte Schwung in den Nachkriegsbetrieb. Die Fabrikation feiner Schneidwaren mit Scheren, Zangen und Taschenmessern um Rasierbedarf und den Schwerpunkt Maniküretuis sowie die Übernahme weiterer Marken folgten mit den Generationen. Seit 1996 gehört die Marke Merkur ebenfalls zu Dovo.

Sparer und Zeitungsleser

Aber auch in Solingen gibt es natürlich alte Unternehmen, die nichts mit Scheren und Messern zu tun haben: Während sich die Herstellung von Eisen und Stahl in das Ruhrgebiet verlagerte, begriff der Unternehmer Carl Rauh 1848 die Strukturveränderung als Chance für sein Handelsunternehmen. Er übernahm den regionalen Alleinvertrieb für Produzenten von Eisen- und Stahlerzeugnissen und belieferte die weiterverarbeitende Industrie. Wichtig waren ihm die schnelle Verfügbarkeit der Erzeugnisse und ein großes Sortiment. Heute wird das Unternehmen an der alten Ziegelei in vierter Generation von Joachim Rauh und Siegfried Scharf geführt und ist Partner vieler mittelständischer Unternehmen in den Bereichen des Metall- und Stahl-, Maschinen- und Anlagenbaus, des Baugewerbes und der Edelstahl verarbeitenden Betriebe. Auch das „Solinger Tageblatt“ ist ein Beispiel für Veränderung. Die älteste Solinger Tageszeitung ist auch eine der ältesten Deutschlands und das älteste noch aktive Unternehmen der Stadt Solingen. 1809 hieß sie noch „Verkündiger“ und war „eine Wochenschrift zur Unterhaltung und Belehrung“ mit einer Erstauflage von 45 Exemplaren. Herausgeber und zugleich Chefredakteur war der Buchdrucker Carl Siebel. 1822 wurde das Blatt in „Solinger Wochenblatt“ umbenannt. Seit 1834 nannte sich das Blatt „Solinger Kreis-Intelligenzblatt“. 1867 ging der Verlag auf Bernhard Boll über, dessen Familie es noch heute besitzt. 1888 wurde das Blatt zur Tageszeitung, war aber bis vor 30 Jahren eine der letzten Nachmittagszeitungen in Deutschland. Immerwährende Veränderungen prägen auch das Geschehen der Sparkasse. Im Jubiläumsjahr 2015 präsentierte die Stadt-Sparkasse Solingen eine Bilanzsumme von 2,4 Milliarden Euro, 2,6 Millionen Euro wurden für Sponsoring und die Ausschüttung an die Stadt erwirtschaftet. 1840 ging es bei der Gründung bescheidener zu. Direktor war Bürgermeister Peter Müller, die Administration trat alle zwei Wochen im Rathaus zusammen, um die Einlagen der Sparer entgegenzunehmen. Möglich waren Spareinlagen von zehn Silbergroschen bis hin zu 200 Talern. Bei Einlagen bis zu 100 Talern erhielt der Sparer drei Prozent Zinsen, bei höheren Beträgen „nur noch“ 2,5 Prozent. Die Gelder wurden in Hypotheken, Gemeindeobligationen oder inländischen Staatsanleihen angelegt, die Garantie für die Ersparnisse übernahm – dem preußischen Reglement für das Sparkassenwesen von 1838 entsprechend – die Gemeinde. Mit der Gründung der Sparkasse wollte die Stadt in einer Zeit, in der sich soziale Probleme zuspitzten, die Sparmentalität fördern und so zur Armutsminderung beitragen.

Abort in der Wohnung

Mangel, in diesem Fall Wohnungsnot, war auch ein weiterer Ansatz städtischer Aktivitäten: Seit den 1890er-Jahren existieren mit dem Gemeinnützigen Bauverein und dem Spar- und Bauverein zwei gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen. Dennoch herrschten auf dem Wohnungsmarkt teilweise katastrophale Zustände, beschreibt Manfred Krause von der Solinger Geschichtswerkstatt die damalige Situation. Da auch die niederen und mittleren Beamten von der Wohnungsnot betroffen waren, entwickelten sich Aktivitäten, einen Beamten-Wohnungsbauverein zu gründen. 1912 erwarben die neuen Mitglieder jeweils einen Geschäftsanteil in Höhe von 300 Mark, die Stadt unterstützte dabei durch preiswertes Bauland und kostenlose Dienstleistungen. Der mittlerweile für alle Interessenten offene Beamten-Wohnungsbauverein kann heute auf 799 Wohnungen in 187 Häusern in Solingen verweisen. Sie sind auf dem neuesten Stand, aber auch schon vor 100 Jahren konnten sich die Standards sehen lassen, berichtete die „Solinger Zeitung“: „Jede Wohnung ist abgeschlossen. Abort und Vorratsraum liegen in der Wohnung. In jeder Wohnung ist Leucht- und Heizgas-Einrichtung. Die Wohnungen bestehen aus einer Küche und 1-5 Zimmern. Jede Wohnung hat mindestens einen Balkon. In den größeren Wohnungen ist ein Badezimmer, das mit Badeofen und Badewanne versehen ist. Für die Bewohner von je drei Kleinwohnungen ist auch Badegelegenheit geschaffen.“

Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de

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