Der Hygieneschutz in Pandemie-Zeiten hat dem Einzelbüro mit festem Sitzplatz wohl nur eine kurze Renaissance verschafft. Die variable Bürolandschaft (ob als Großraumlösung oder nicht) hat längst ihren Siegeszug angetreten. Der flexible Schreibtisch, der Kollaborations- und Kooperationsgedanke und die mobile Arbeit gewinnen als Optionen an Bedeutung. „Die Verschwendung von teurer Immobilienfläche, das Büro in zentraler Lage mit Arbeitsplätzen für jeden Beschäftigten wird unnötiger“, sagt Dr. Rüdiger Klatt. „Auch wenn der Betrieb als sozialer Ort des Austausches und der Kollegialität sowie der direkten Kommunikation weiter ein wichtiger Bestandteil der Arbeitswelt bleibt“, so der Leiter des Gelsenkirchener Forschungsinstituts für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention (FIAP).
Alles spricht vom Homeoffice
Natürlich spricht derzeit alles vom Homeoffice. Ein Viertel der Erwerbstätigen in Deutschland, so zeigt es eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung, war Ende Januar vorwiegend oder ausschließlich daheim tätig. 14 Prozent hatten wechselnde Arbeitsorte, sowohl in Präsenz als auch zu Hause. Damit liegt der Anteil Anfang des Jahres wieder in etwa so hoch wie während des ersten Lockdowns im April 2020. Zum Vergleich: Im November waren es „nur“ 14 Prozent, im Dezember 17 Prozent. In der daraus resultierenden Debatte um die Vorzüge und Nachteile des Homeoffice (auch nach der Pandemie) könnte man glatt vergessen, wie Büroarbeit noch vor wenigen Jahrzehnten ausgesehen hat. Dr. Rüdiger Klatt erinnert daran, dass die digitale Transformation – vom Großrechner über den Arbeitsplatzrechner hin zur internetbasierten Vernetzung – für die entscheidenden Brüche oder Zäsuren gesorgt hat. Die „Erfindung“ und Verbreitung des Personal Computer als Arbeitsmittel habe die Büroarbeit etwa ab Ende der 70er-Jahre drastisch verändert. Die Technik führte zu einer Rationalisierung der Büroarbeit, vereinfachte die mediale Produktion und Präsentation, das Informations- und Datenmanagement wurde komplexer und individualisierter, Papier bedeutungsloser. „Jobs wurden obsolet, etwa die klassische Sekretärin.“ Aber auch die Großrechnerwelt verlor radikal an Bedeutung.
Hierarchien immer flacher
Anfang der 90er-Jahre kam mit der Entwicklung und Verbreitung des Internets für alle ein weiteres Element hinzu, das begleitet wurde von der zunehmenden Miniaturisierung digitaler Endgeräte, vulgo Laptop und Smartphone. „Die Büroarbeit vernetzte sich weltweit. Der Zugang zu Informationen und Wissen wurde nicht nur vereinfacht, sondern beschleunigt“, sagt Dr. Klatt. Mit der internetbasierten Vernetzung des PCs bzw. Laptops wurde jeder Beschäftigte, jedes Unternehmen dann zusätzlich noch zum Informationsproduzenten, Datenmanager und Medienproduzenten. Durch die breite Verfügbarkeit von Wissen über die Netzwerke wurden Hierarchien flacher, die Arbeit integrierter, die Unternehmensvernetzung weltweit beschleunigt und erleichtert.
Chatbots und VR-Brillen
Für die Büroarbeit des Jahres 2021 bedeutet das aus Sicht des Wissenschaftlers: Immer weniger „(Wo)manpower“ ist notwendig, um immer komplexere Dienstleistungen weltweit zu erzeugen und zu verkaufen. Digitalkompetenz wird zu einer Querkompetenz, die jeden Arbeitsbereich – auch im Büro – durchdringt. „Zum Teil übernehmen cloudbasierte Tools, Stichwort Chatbots, die Interaktion mit Kunden.“ Am Horizont sieht er bereits den großflächigen Einsatz von VR-Brillen. „Die Entgrenzung der Unternehmen und die Zeit- und Ortsunabhängigkeit der Büroarbeit dürften dann einen neuen Höhepunkt erreichen.“ Die Schnelligkeit des Wandels hängt davon ab, inwieweit Politik, Unternehmen und Beschäftigte diese neuen Möglichkeiten als Gestaltungsaufgabe und Lernherausforderung begreifen – oder ob sich an unserer Arbeitswelt nur unter dem Zwang der Verhältnisse etwas Grundlegendes ändert. Damit ist vor allem die Konkurrenz rund um den Globus gemeint.
Jeden Tag pendeln?
Corona und Klimaschutz sind aus Dr. Klatts Sicht die Türöffner für eine beschleunigte Veränderung der Büroarbeit durch Digitalisierung. „Wenn der Infektionsschutz nach Pandemie-Ende vielleicht wegfällt, stellt sich immer noch die Frage: Muss ich für jede Tagung von Düsseldorf nach München fahren oder kann ich auch per Zoom teilnehmen? Reicht für das Meeting mit dem Chef nicht auch eine Videokonferenz? Muss ich unbedingt jeden Tag von Gelsenkirchen nach Düsseldorf fahren, um dort acht Stunden vor dem Rechner zu sitzen?“ Entsprechend dazu lauten die Fragen innovativer Arbeitgeber: „Warum 100 Prozent Bürokapazitäten aufbauen, wenn ein Drittel oder gar die Hälfte der Arbeitsplätze leer stehen, weil die Beschäftigten unterwegs, krank oder im Urlaub sind? Warum nicht Homeoffice erlauben und flexible Schreibtische für einen großen Teil der Belegschaft einrichten und mit Incentives die neue Form der Arbeit von überall honorieren?“
Das Potenzial fürs Homeoffice scheint beträchtlich. Im Rahmen der Befragung der Hans-Böckler-Stiftung gaben 39 Prozent der Befragten im Januar an, sie könnten ihre beruflichen Tätigkeiten uneingeschränkt oder zu einem großen Teil in Heimarbeit erledigen (19 bzw. 20 Prozent). „Das liegt nahe an den Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, während das Münchner ifo Institut das grundsätzliche Homeoffice-Potenzial in einer aktuellen Untersuchung sogar auf über 50 Prozent beziffert“, heißt es von der Stiftung. Halte man die 38 Prozent (24 plus 14) dagegen, die im Januar vollständig, vorwiegend oder gelegentlich zu Hause gearbeitet haben, erscheine das als gewisse Annäherung ans Potenzial.
Ob flexible Raumlösungen im Unternehmen oder „Hybrid-Arbeitsplätze“ als Mix aus Homeoffice und Präsenz – das „gute alte Büro von einst“ wirkt wie ein Auslaufmodell. Spannend bleibt die Frage, wie schnell sich der Wandel nach dem Ende der Pandemie weiter vollziehen wird.Daniel Boss
| redaktion@regiomanager.de
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