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„Wir haben einen hohen Investitionsbedarf“

Interview mit Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel

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von Regiomanager 01.05.2016
Thomas Geisel, Oberbürgermeister Landeshauptstadt Düsseldorf (Foto: Landeshauptstadt Düsseldorf)

RWM: Herr Geisel, Ihr Wahlsieg 2014 war nicht unbedingt erwartet worden. Haben Sie sich Ihre Arbeit auf dem Chefsessel der Landeshauptstadt so vorgestellt, wie sie sich inzwischen darstellt?

Thomas Geisel: Im Grunde ja, großartig überrascht wurde ich nicht. Es ist natürlich eine wahnsinnige Arbeitsfülle, die das Amt mit sich bringt. Auf einen begrenzten Raum betrachtet, ist man als Oberbürgermeister von Düsseldorf quasi Bundestagspräsident, Bundespräsident, Bundeskanzler und Konzernchef in einem. Aber für jemanden, der wie ich neugierig ist und Spaß an Vielfalt hat, ist diese Abwechslung genau das Richtige. Man muss aber eine gute Kondition, Gesundheit und eine Familie mitbringen, die das Pensum mitmacht. Das ist bei mir zum Glück alles gegeben.

RWM: Im damaligen Wahlkampf hatten Sie versprochen, Wissenschaftler, Unternehmer, Gründer, Investoren und Banken regelmäßig einladen zu wollen. Gelingen diese Zusammenkünfte und was bringen sie für Düsseldorf?

Thomas Geisel: Ich pflege in der Tat einen regen Austausch mit der Düsseldorfer Wirtschaft, Banken, Versicherungen und auch mit den Arbeitnehmervertretern. Unsere Stadt verfügt über eine gesunde und vielfältige Wirtschaftsstruktur, die für mich aber kein Ruhekissen ist, sondern eher als Humus betrachtet werden sollte, auf dem jederzeit Neues gedeihen kann und soll. Darum ist mir auch unsere Start-up-Initiative sehr wichtig. Zusammen mit der hohen Bedeutung als Wissenschaftsstandort ist Düsseldorf hochinteressant für gründungswillige Menschen. Die Kommunalpolitik sorgt für die Vernetzung sowie Infrastruktur und die sogenannten „weichen“ Standortfaktoren.

RWM: Düsseldorf wurde vor Ihrem Amtsantritt als schuldenfreie Stadt dargestellt, auch wenn nicht nur Sie das mit guten Begründungen angezweifelt haben. Inzwischen wurde erstmals wieder ein Millionenkredit bei einer Bank aufgenommen. Was sind die Gründe dafür?

Thomas Geisel: In der Tat war in meinen Augen die Schuldenfreiheit eher ein guter Marketing-Gag. Nach anerkannten Definitionen galt Düsseldorf jedoch in Wahrheit nie als schuldenfrei, auch wenn unsere Stadt finanziell sehr gut dasteht. Düsseldorf verfügte über mehrere Jahre über ein ansehnliches Finanzpolster aus dem Verkauf der Anteile an der RWE und den Stadtwerken. Diese Rücklage wurde jedoch sukzessive aufgebraucht, da die Stadt jahrelang mehr Geld ausgegeben als eingenommen hat. Viel Geld ist in die Wehrhahn-Linie und den Kö-Bogen-Tunnel geflossen. Gleichzeitig wurde der Investitionsstau immer größer, z.B. bei den Schulen. Sehen Sie, wir müssen mit stark steigenden Schülerzahlen rechnen und deshalb schnell Schulen bauen und sanieren. Auch öffentliche Einrichtungen wie z.B. die Bäder der Stadt wurden lange vernachlässigt und sind nun in die Jahre gekommen, auch hier müssen wir mit neuen Konzepten rangehen. Nicht zuletzt beschäftigt uns die Verkehrsinfrastruktur. Mit der Wehrhahn-Linie ist zwar ein großes Projekt abgeschlossen, aber bei der Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs in der Innenstadt und der Stärkung der Fahrradnutzung haben wir noch viel vor. Insofern sehe ich für eine wirtschaftlich prosperierende Stadt wie Düsseldorf kein Problem darin, einen Teil des Wachstums über neue Kredite zu finanzieren, solange wir damit keine laufenden Ausgaben finanzieren, sondern Investitionen bezahlen und damit Werte für die Zukunft schaffen.

RWM: Wie sieht es mit der Gebührenfreiheit für Kitas und Investitionen in Bildung aus? Das waren u.a. Dinge, die Ihnen persönlich für Ihre Amtszeit am Herzen lagen …

Thomas Geisel: Ich persönlich halte es nicht für notwendig, dass Kitas auch für gut verdienende Eltern gebührenfrei sein müssen. Dort, wo eine derartige kommunale Leistung ein zweites Einkommen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht, so wie beispielsweise bei Familie Geisel, könnte man durchaus Elternbeiträge einfordern. Wenn Kitas allerdings Bildungsangebot sind, und das ist bei sogenannten bildungsfernen Milieus oder bei Zuwandererfamilien der Fall, müssen sie weiter kostenfrei sein. Das ist für mich eine Frage der Chancengleichheit. Daher hatte ich vorgeschlagen, für Familien mit einem Einkommen unter 50.000 Euro die Kita sowohl für U3 als auch für Ü3 kostenlos zu machen. Das hat der Stadtrat leider abgelehnt. Wichtiger als die Gebührenfreiheit ist mir persönlich allerdings, dass wir auch langfristig genügend Betreuungsplätze sicherstellen.

RWM: Sie haben uns im Gespräch vor zwei Jahren erklärt, dass Sie die Stadtentwicklung auch auf die Stadtteile verlagern wollen. Was dürfen die Bürger diesbezüglich noch erwarten, wo aktuell doch eher der groß angelegte Innenstadtumbau im Fokus steht?

Thomas Geisel: Die Projekte in der Innenstadt habe ich überwiegend von meinen Vorgängern geerbt. Aber in der Tat hängen auch Innenstadtprojekte mit denen in den Stadtteilen zusammen. Denn: Grundstücke im Zentrum sind begehrt – wenn wir sie angemessen vermarkten, können wir sehr gute Erlöse erzielen. Das hier erwirtschaftete Geld setzen wir ein, um die Nebenzentren und Stadtteile zu entwickeln. Beispielhaft möchte ich Garath herausgreifen: Hier fehlt es an barrierefreiem Wohnraum, obwohl viele Bewohnerinnen und Bewohner dort im Seniorenalter sind. Außerdem ist der Anteil sozial schwacher Bevölkerungsschichten hier relativ hoch. Der Stadtteil muss deshalb – zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern – neu geplant und an die sich wandelnden Bedürfnisse angepasst werden.

RWM: Das verkehrstechnisch wichtigste Projekt der vergangenen Jahrzehnte ist die von Ihnen bereits kurz erwähnte Wehrhahn-Linie, die seit Mitte Februar für die Bahnen freigegeben ist. Welche Bedeutung hat sie für die Stadt?

Thomas Geisel: Die Wehrhahn-Linie ist ein leistungsfähiges Verkehrssystem, das den ÖPNV insgesamt schneller und komfortabler und damit attraktiver macht. Ob man aus heutiger Sicht noch mal eine U-Bahn in der Innenstadt bauen würde, weiß ich nicht. Verkehrspolitisch sinnvoller wäre es wohl, dem ÖPNV und dem Fahrrad an der Oberfläche mehr Platz einzuräumen. Denn der motorisierte Individualverkehr in der Innenstadt ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß. Aber wir haben die Wehrhahn-Linie jetzt und freuen uns darüber. Zudem haben die künstlerisch gestalteten U-Bahnhöfe für weltweite Beachtung und Berichterstattung gesorgt. Und die ehemaligen Straßenbahntrassen lassen sich nun so umgestalten, dass sich die Aufenthaltsqualität in der Stadt verbessert.

RWM: Weitere wichtige Themen für Düsseldorf sind bezahlbarer Wohnraum und – wie in anderen Städten auch – die Bewältigung des demografischen Wandels. Wie weit sind Sie in diesen Themen fortgeschritten? Was passiert neben den Leuchtturmprojekten wie dem jüngst mit dem MIPIM-Award ausgezeichneten Wohnprojekt „Papillon“ in Heerdt?

Thomas Geisel:
Hier muss man die Ansprüche an Qualität und Quantität trennen. Zum einen sind wir immer um qualitativ hochwertige Projekte bemüht, die immer wieder erfolgreich Preise abräumen. Das freut uns natürlich – auch für die Bauträger und Investoren. Darüber hinaus aber haben wir einen erheblichen quantitativen Bedarf. Geplant war für Düsseldorf ein Wachstum von 3.000 Einwohnern pro Jahr. Aber allein 2015 waren es fast 10.000 neue Bürger. Das bedeutet, dass wir langfristig mindestens 3.000 Neubauwohnungen pro Jahr realisieren müssen. Im letzten Jahr haben wir das noch nicht ganz erreicht, aber wir haben gute Voraussetzungen dafür geschaffen wie beispielsweise durch verschlankte Verwaltungsabläufe. So gab es bereits im vergangenen Jahr eine Steigerung der Baugenehmigungen. Mit dem „Handlungskonzept Wohnen“ stellen wir zudem sicher, dass sozial geförderter sowie bezahlbarer Wohnraum mit Mieten unter zehn Euro pro Quadratmeter entsteht. Wir setzen hier auf eine gesunde Mischung aus öffentlicher Förderung und privater Finanzierung – mit einem behördlichen Verfahren.

RWM: Im Wahlkampf haben Sie insgesamt mehr Transparenz gefordert. Wie transparent ist Ihre Arbeit und wie intensiv sind Ihre Bürgerdialoge?

Thomas Geisel: Ich stehe für diese Transparenz und bemühe mich um einen intensiven Dialog mit den Bürgern. Im Laufe meiner Amtszeit möchte ich alle Stadtteile persönlich besucht haben, die bisherigen Termine wurden sehr gut angenommen. Es sind jedes Mal sehr rege Dialoge, aus denen ich immer Neues mitnehmen kann.

RWM: Als Landeshauptstadt und zweitgrößte Stadt in NRW steht Düsseldorf immer auch im überregionalen Interesse. Für das Heranziehen sportlicher Großereignisse wie Tour de France oder Tischtennis-Weltmeisterschaft ernten Sie nicht nur Freudenstürme. Was bringen solche Ereignisse für die Stadt?

Thomas Geisel: Sie sind ein Schub für das Stadtmarketing. Gerade mit sportlichen Großveranstaltungen kann sich  Düsseldorf einer großen Öffentlichkeit als das präsentieren, was die Stadt ist: weltoffen, gastfreundlich, kompetent, sportlich.  Was mich freut: Wir erfahren aus allen Bereichen des städtischen Lebens großes Interesse und viel Unterstützung, in organisatorischer und finanzieller Hinsicht. Die „Tour de France“ wird für uns keine Eintagsfliege sein. Sie soll das Bemühen um eine „neue Mobilität“ in der Stadt unterstreichen und unsere im April gestartete Initiative „RADschlag – Düsseldorf tritt an“ nachhaltig unterstützen.

RWM: Ein Blick in die Glaskugel: Wie sieht die Landeshauptstadt in zehn Jahren aus?

Thomas Geisel:
Erstens: Sicher wird die Stadt bedeutend größer sein, aber genauso bunt wie heute. Wobei ich mir wünsche, dass das soziale Miteinander in der Stadt weiterhin gut funktioniert – mit Vielfalt in allen Stadtteilen. Zweitens: Düsseldorf wird als guter Partner für alle umliegenden Kommunen und nicht als Konkurrent im Wettstreit um Gewerbe und Einwohner wahrgenommen. Und drittens wird die Innenstadt durch weniger Autos, dafür mehr ÖPNV und Radverkehr und damit mehr Aufenthaltsqualität geprägt. Ich persönlich würde mich auch noch darüber freuen, wenn Düsseldorf als Stadt gesehen wird, die so selbstbewusst ist, dass sie auch über sich selbst lachen kann.
Stefan Mülders | redaktion@regiomanager.de

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