Management

Vertrieb: Zeitenwende im B2B-Vertrieb

Sind gelernte Best-Practices im B2B-Vertrieb seit 2020 überholt? Ein kurzer Fakten-Check aus Vertrieblersicht.

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von Regiomanager 13.09.2023
(© master1305 − stock.adobe.com)

Auf der Business-Plattform „LinkedIn“ fand sich vor einigen Wochen die Aussage, dass man kein Vertriebsbuch mehr lesen müsse, welches vor 2020, also dem Ausbruch der Corona-Pandemie, geschrieben wurde. Die Inhalte seien durch die letzten drei Jahre überholt.
Ganz so eindeutig ist es sicherlich nicht, dass der Vertrieb alles „vergessen“ kann, was vor 2020 geschrieben, vermittelt und auch gelebt wurde. Aber es ist schon offensichtlich, dass die letzten Jahre einige Veränderungen im B2B-Vertrieb enorm beschleunigt haben. Dabei umfasst der Vertrieb eine Vielzahl von Aufgaben und Positionen und ist keineswegs beschränkt auf den „klassischen Außendienst“, der als typisches Vertriebsbild in vielen Köpfen schwirrt.


Wird der Außendienst
abgeschafft?

Fangen wir aber arbeitsorganisatorisch mit dem Außendienst an. So bestätigt eine Studie der Ruhr-Universität Bochum in Zusammenarbeit mit der Mercuri International das subjektive Gefühl, dass Präsenztermine in der Pandemie-Zeit durch Webmeetings ersetzt wurden. Die Vorteile der Webmeetings sind:

• vereinfachte Durchführung von Meetings

• verringerter CO2-Abdruck

• Kostenersparnis bei Dienstreisen
und Fahrzeugflotte

• verbesserte Coaching-Unterstützung durch die Führungskräfte

• eingesparte Fahrzeiten können ander- weitig genutzt werden.

Dem stehen meist nur zwei
Nachteile gegenüber:

• der persönliche Kontakt ist eingeschränkt

• die hohe Dichte an Webmeetings lässt
dem Vertriebsmitarbeiter weniger Zeit
zur Erholung.

Diese beiden „Negativargumente“ lassen sich sehr schnell auflösen: Der Small Talk ist im virtuellen Meeting stets geringer, die Gespräche sind eher themenzentriert und fokussierter. Hier ist es dann eine Lernaufgabe des Vertriebs, auf die gewohnten Warm-up- oder „Eisbrecher“-Phasen zu verzichten und auch einen direkten Gesprächseinstieg zu beherrschen.
Der zweite Aspekt ist eine Frage des Zeitmanagements und der persönlichen Pauseneinteilung. Zwar hat jeder eine eigene Systematik, es empfiehlt sich jedoch, Pausenblöcke fest einzuplanen und auch einzuhalten.
Selbst wenn einige Unternehmen gerne zu einer erhöhten Präsenzquote zurückkehren wollen, haben deren Kunden hierbei ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. So kann es durchaus sein, dass die Antwort auf eine Terminanfrage lautet: „Dann müsste ich ja selbst ins Büro kommen.“ Gerade die jüngeren Einkäufer und MiteEntscheider haben oft wenig Interesse an einer großen Verkaufspräsentation. Sie sind häufiger im Homeoffice und zudem sehr affin, was digitale Arbeitsweisen und Tools betrifft. Wo früher ein Fax gesendet wurde, kann es heute sein, dass der Vertrieb eine WhatsApp vom Kunden bekommt.
Bedeutung der SDR wächst
Neben dem traditionellen Außendienst hat sich in den letzten Jahren ein neues Berufsbild in der Kundengewinnung entwickelt: das der Sales Development Representatives (SDR). Auf den ersten Blick kann man diese SDR mit dem verwechseln, was unter den Begriffen Telesales oder Telemarketing verstanden wird. Während der Fokus bei Telesales und Telemarketing auf der reinen Terminierung und einer groben Vorqualifizierung des Termins liegt, gehen die SDR einen Schritt weiter. Sales Development Representatives sind als eine deutlich intensivere Stufe des Vertriebes und der Terminanbahnung zu verstehen. Sie gehen bereits tiefer auf die Herausforderungen der Kunden ein, kennen Lösungsansätze und vereinbaren für den späteren Projektbearbeiter, den Sales Development Manager, ausschließlich hochgradig qualifizierte Termine: hinsichtlich Inhalt und Machbarkeit, aber auch Budget. Dies bringt für Vertriebler wie auch Kunden entscheidende Vorteile:

• Der Kunde muss nur Zeit in jene Anbieter
investieren, die zu seinen Rahmenbedin-
gungen passen. Dabei wird er für spätere
Projekte auch jene Vertriebler in guter
Erinnerung behalten, die ihm nicht „die
Zeit gestohlen haben“.

• Der Vertriebler mit der „Abschlussver- pflichtung“ kann fokussiert und konzentriert jene Projekte bearbeiten, die wirklich Erfolg versprechend sind. Er hat kaum noch Zeitaufwand durch inhaltliche oder finanzielle Streuverluste.

Gerade Letzteres macht es mittlerweile im Vertrieb so wichtig, bei eingehenden Anfragen eine entsprechende Vorqualifizierung durchzuführen, ehe tief in das Projekt oder die Anfrage eingetaucht wird. Auch dies ist eine Veränderung im Vergleich zu früher, als bei passender Routenplanung im Außendienst die eine oder andere Anfrage auch ohne Vorqualifizierung terminiert wurde. Das Argument war dann gern ein „Ich war ja in der Gegend“ …


Lösungen statt Produkte

Bis vor einigen Jahren war es durchaus ein probater Ansatz, dem Kunden das Produkt oder die Dienstleistung vorzustellen. Es wurden Produktdemos abgehalten, technische Features erklärt und vorgeführt und dem Kunden wurde deutlich gemacht, welche Vorteile sich gegenüber den Produkten der Konkurrenz ergeben.
Ausgespart wurde dabei, den Kunden mit ins Boot zu holen, ihm den eigentlichen Nutzen aufzuzeigen und eine Lösung für dessen Probleme aufzuzeigen. Die reinen Zahlen, Daten und Fakten überrollten den Kunden und behinderten eher seinen Entscheidungsweg, als dass sie dienlich waren.
Der reine Produktverkäufer hat mittlerweile ausgedient. Die Mehrzahl der Kunden erwartet Lösungen. Dies setzt ein neues Denken im Vertrieb voraus. Der Vertrieb hat hier zu lernen, zu erfragen, was der Kunde wirklich will, was sein Ideal- und Lösungszustand ist. Und vielleicht sogar, aus den Gesprächen mit den Kunden heraus noch ein i-Tüpfelchen mehr zu bieten, eine Lösung, an die der Kunde aus seinem Erfahrungsschatz heraus nicht gedacht hat. Hierbei muss der Vertrieb dann „out oft the Box“ denken und selbst gegebenenfalls Kooperationen mit anderen Unternehmen eingehen, um eine probate Gesamtlösung anzubieten. Oft gilt gerade im B2B: Nicht der Günstigste bekommt den Auftrag, sondern der mit dem überzeugendsten Gesamtkonzept.
Lösungs- statt produktorientierter Vertrieb erfordert Veränderungsprozesse im gesamten Unternehmen. Ein Umdenken ist nicht nur im Vertrieb notwendig, sondern auch im Backoffice, der Technik und dem Marketing. So sind etwa Produktschulungen so aufzubauen, dass sie nicht die Produktdetails in den Vordergrund stellen, sondern Lösungsszenarien vermittelt werden. Webseiten, Newsletter oder Whitepaper sind ebenso lösungs- statt produktorientiert zu gestalten. Wenn nötig, können die Produktdetails in separaten technischen Informationen oder Produktinformationen untergebracht werden. Auch wenn der Vertrieb als eine Abteilung gesehen wird, ist vieles, was das Unternehmen macht und nach außen kommuniziert, repräsentierend und damit den Vertrieb unterstützend oder ihn behindernd. Insofern ist für das moderne Unternehmen eine Lösungs- statt der Produkt- oder Dienstleistungsdenke unerlässlich.

Andreas Kaldewey | redaktion@regiomanager.de

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