Büro & Arbeitswelt

Homeoffice: Lernen, Kontrolle abzugeben

Ortsunabhängiges Arbeiten setzt sich in immer mehr Unternehmen durch. Die Heimarbeit erfordert klare Regeln.

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von Regiomanager 16.05.2019
Für junge Eltern kann Homeoffice eine gute Lösung sein - wenn es funktioniert (Foto: ©Halfpoint – stock.adobe.com) | Daniel Boss

Für Marc S. Tenbieg ist die Möglichkeit des Homeoffice nicht zuletzt ein Zeichen des Vertrauens, da es mit einer gewissen Kontrollabgabe verbunden ist: „Wen man nicht sieht, der arbeitet auch nicht“, sei eine Denke, die noch immer in so mancher Geschäftsführung zu finden sei, sagt der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bunds, kurz DMB. Insbesondere der Fachkräftemangel habe jedoch dazu beigetragen, dass sich auch konservativere Führungsetagen dem Thema gegenüber immer offener zeigten – sei es aus gewandelter Überzeugung oder aus dem Zwang heraus, Personal zu finden.
Klar ist: Ortsunabhängiges Arbeiten setzt sich in immer mehr Unternehmen durch. Vier von zehn Arbeitgebern geben ihren Mitarbeitern die Freiheit, auch abseits der klassischen Büroräume zu arbeiten. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung unter mehr als 800 Geschäftsführern und Personalverantwortlichen von Unternehmen im Auftrag des Digitalverbands Bitkom. Die Steigerung ist demnach gut erkennbar: 2016 erlaubte knapp jedes dritte Unternehmen Homeoffice, 2014 erst jedes fünfte. Den Erwartungen zufolge wird sich dieser Trend fortsetzen. 46 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass der Anteil ihrer Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiten, in den kommenden fünf Jahren weiter steigen wird. 50 Prozent erwarten einen konstant bleibenden Anteil. „Digitale Technologien ermöglichen es, unabhängig von Zeit und Ort zu arbeiten. Homeoffice wird für immer mehr Beschäftigte zum Alltag“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder.

Die Lieblingsserie nebenbei?


Und es klingt ja auch fast zu schön, um wahr zu sein: Frei von jedem Dresscode kann man es sich auf der heimischen Couch gemütlich machen, vielleicht die Lieblingsserie nebenbei laufen lassen und auch mal ein Ohr im Kinderzimmer haben, damit die Kinder nicht völlig unbeaufsichtigt irgendeinen Blödsinn anstellen. Pausen, so oft man will, am besten mit einer Tasse Kaffee aus der eigenen Maschine – herrlich. Nicht zu vergessen, gerade in NRW: Im Stau dürfen die anderen stehen. So weit die traumhafte Vorstellung. In der Realität sehe die Sache aber in der Regel anders aus, warnt Marc S. Tenbieg. „Gerade in einer häuslichen Atmosphäre ist
Disziplin gefragt.“
Im Idealfall hält man die Zeiten und Pausen ein wie im normalen Büro. Homeoffice heißt demnach eben nicht, sich mal so richtig auszuschlafen und sich anschließend von TV und Radio berieseln zu lassen. „Auch Kindergeschrei und die laufende Spülmaschine können einer konzentrierten Arbeit bekanntlich abträglich sein“, so der DMB-Vorstand. „Nicht zuletzt dann, wenn man telefonisch erreichbar sein muss und auch immer wieder den Hörer am Ohr hat.“ Aus seiner Sicht ist nicht jeder Mitarbeiter fürs Homeoffice geeignet. Und da wird es dann problematisch: Wer „darf“ zu Hause seinen Job erledigen, wer hat jeden Tag im Büro zu erscheinen? Geht man als Geschäftsführung zu blauäugig an die Sache heran, kann das ganz schnell das Betriebsklima stören, vielleicht sogar vergiften.
Bei vielen Arbeitgebern ist Homeoffice genau geregelt. Drei von vier Unternehmen, deren Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten, haben laut Bitkom-Umfrage bestimmte Tage festgelegt, an denen kein Homeoffice erlaubt ist, damit alle Mitarbeiter für gemeinsame Termine zur Verfügung stehen. Sechs von zehn machen die Anwesenheit im Büro zur Regel und Homeoffice eher zur Ausnahme, etwa an nur einem Tag in der Woche. In knapp jedem zweiten Unternehmen muss Homeoffice jeweils im Einzelfall vom Vorgesetzten genehmigt werden. Wie Marc S. Tenbieg sagt auch Dr. Bernhard Rohleder: „Die flexible Heimarbeit erfordert klare Regeln. Auf Seiten der Unternehmen setzt es Vertrauen voraus, auf Seiten der Mitarbeiter Selbstorganisation und Selbstdisziplin.“

Gründe gegen das Modell


Gegen Homeoffice entscheiden sich Unternehmen aus verschiedenen Gründen. Zwei Drittel der Unternehmen, deren Mitarbeiter nicht im Homeoffice arbeiten, geben an, dass Homeoffice nicht für alle Mitarbeiter möglich sei und niemand ungleich behandelt werden dürfe. Mehr als die Hälfte meint, dass ohne direkten Austausch mit Kollegen die Produktivität sinke. Und fast ebenso viele sagen, dass Homeoffice generell nicht vorgesehen sei. Für gut jedes dritte Unternehmen spricht gegen flexible Heimarbeit, dass die Mitarbeiter nicht jederzeit ansprechbar seien. Knapp drei von zehn sagen, die Arbeitszeit sei nicht zu kontrollieren. Für jedes vierte Unternehmen sprechen die gesetzlichen Regelungen zum Arbeitsschutz gegen Homeoffice.
„Antiquiertes Arbeitsrecht“ ist aus Bitkom-Sicht eine „Homeoffice-Hürde“. Der Verband setzt sich für eine Modernisierung der gesetzlichen Vorgaben ein, für eine Anpassung an das „digitale Zeitalter“. „Der selbstbestimmten Arbeitszeitgestaltung stehen gesetzliche Hürden wie der starre Acht-Stunden-Arbeitstag und die elfstündige Mindestruhezeit entgegen. Wer spätabends noch mal die Dienstmails checkt und am nächsten Morgen wieder am Arbeitsplatz ist, verstößt gegen die Gesetze“, sagt Rohleder. „Das Arbeitsrecht ist in diesen Punkten nicht mehr zeitgemäß und setzt Arbeitnehmer massenhaft ins Unrecht. Es ist höchste Zeit, diese aus der Zeit gefallenen
Regeln zu ändern.“
Weitere Gründe, warum Firmen Zurückhaltung zeigen, sind Sorgen um die Datensicherheit und eine zu teure technische Ausstattung. „Denn auch wenn der Arbeitsplatz zu Hause ist, hat das Unternehmen für eine entsprechende Infrastruktur zu sorgen“, sagt Marc S. Tenbieg und nennt Ergonomie und Ausleuchtung als „lediglich zwei Beispiele“. Nicht zuletzt herrscht bei manchen Entscheidern die Furcht vor einer abnehmenden Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. „Das soziale Miteinander ist in der Tat nicht zu vernachlässigen“, findet der DMB-Vorstand. „Aus meiner Sicht ist Homeoffice keine Dauerlösung.“ Für einzelne Tage oder Projekte könne es aber durchaus sinnvoll sein . „Man denke nur an einen Softwareentwickler, der einfach mal ein paar Wochen völlige Ruhe für sein aktuelles Thema
braucht.“ Daniel Boss | redaktion@regiomanager.deDaniel Boss
| redaktion@regiomanager.de

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Fotostrecke

Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Verbands Bitkom (Foto: Bitkom)

Marc S. Tenbieg, geschäftsführender Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bunds (Foto: DMB)

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