Dass sich in jeder Krise immer auch vielfältige Chancen bieten, das mag vielleicht ein Allgemeinplatz sein, doch selten war die Aussage so wahr wie in unserer gegenwärtigen Situation. Wo die drastische Reduzierung von persönlichen Kontakten zur Maxime wird, ist die schnellstmögliche Umstellung auf digitale Anwendungen der naheliegende Schritt zur Rettung wackelnder Geschäftsmodelle durch Transformation. Meetings und Tagungen finden zunehmend per Video-Konferenz statt, E-Learning-Angebote gibt es für bald jedes Thema und verschiedene Altersgruppen, und selbst zuvor konsequent analog lebende Generationen lernen die Segnungen des schnellen Online-Chats mit Kindern und Enkeln zu schätzen.
Digitalisierung in vollem Gange
„Die Zahl der vernetzten Geräte in der Wirtschaft und im Privatleben nimmt immer mehr zu: Bis 2025 sollen weltweit rund 75 Milliarden Geräte angeschlossen sein – eine Verdreifachung gegenüber dem Wert von heute“, prognostiziert der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI), der aber auch anmahnt, dass der flächendeckende Ausbau der digitalen Infrastruktur immer noch viel zu schleppend verläuft: „Um die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen, muss Deutschland Gas geben. Deutschland kann es sich nicht leisten, im Ausbau der Gigabit-Netze länger im Mittelfeld zu spielen.“ Soll die Wirtschaft mit mehr Schwung in der digitalen Transformation an der Realisierung von intelligenten Städten, Industrial IoT, Augmented Reality, autonomen Transportlösungen oder digitaler Gesundheit mitwirken können, ist nun der Turbogang erforderlich, um die schlechte Performance der letzten Jahre mit einem schnellen Wechsel auf die Überholspur zu kompensieren. „Die Bundesregierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag verpflichtet, bis zum Jahr 2025 eine flächendeckende Versorgung mit gigabitfähigen Netzen zu erreichen,“ ruft der Industrieverband dazu in Erinnerung. „Der Ausbau der digitalen Infrastruktur muss endlich vorankommen“, betont BDI-Präsident Dieter Kempf. Zahlreiche Firmen haben noch immer keinen Zugang zu schnellem Internet und sind damit besonders jetzt doppelt gestraft.
Digitale Full-Service-Angebote
Business ohne oder mit langsamem Internet-Anschluss? „Das ist heutzutage für uns Unternehmer eine fremde Welt, in der wir uns nicht mehr wohlfühlen können.“ Business mit dem Internet, das ist hingegen ein boomendes Geschäftsmodell für die kontinuierlich boomenden Internetagenturen in der Republik. „Der Wachstumskurs der Full-Service-Digitalagenturen in Deutschland ist ungebrochen“, berichtet denn auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. mit Blick auf sein aktuelles „Internetagentur-Ranking 2020“. „Wir sind nicht verwundert: Die Digitalagenturen wachsen auch in diesem Jahr. Das Aufgabenfeld wird breiter, die verlangte Expertise tiefer – ein partnerschaftliches Arbeiten zwischen Unternehmen und Digitalagenturen ist Standard, nicht Ausnahme“, fasst Stefan Mohr die gegenwärtige Situation zusammen; er ist der Vorsitzende des Fachkreises Full-Service-Digitalagenturen im BVDW.
Enormes Wachstum
Im Geschäftsjahr 2019 erwirtschafteten die Full-Service-Internetagenturen einen Gesamt-Honorarumsatz von 1,9 Milliarden Euro. Damit wuchs die Branche im Vorjahresvergleich erneut um 12,7 Prozent. Auch die Anzahl der fest angestellten Mitarbeiter stieg weiter an. Die 175 Agenturen, die sich mit Zahlen und Informationen an der Umfrage beteiligten, beschäftigten 2018 insgesamt 17.459 Angestellte. Hinzu kommt wohl noch eine große Zahl freier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere für kreative Aufgaben.
Den größten Umsatzanteil machte bei den am Ranking teilnehmenden Internetagenturen 2019 mit 35 Prozent die technische Umsetzung (Development) der Projekte aus. Erst mit weitem Abstand wurden Strategie/Beratung (13 Prozent), Account/Projektmanagement (12 Prozent), User Experience: Design/Konzeption (10 Prozent) sowie weitere Aufgabenbereiche genannt. Fast die Hälfte der Honorarumsätze (46 Prozent) entfällt in der Branche auf Plattformen, E-Commerce und Services. Digitale Werbung (29 Prozent) sowie Digitale Transformation und Strategie (24 Prozent) liegen bei den Umsätzen deutlich dahinter.
Gleichwohl stimmen 85 Prozent der Agenturen im Ranking mit der These überein, dass das kommende Jahr „ganz sicher im Zeichen der digitalen Transformation stehen“ wird. Stefan Mohr: „Wie in jedem Jahr haben wir auch Meta-Trends abgefragt: Die Entwicklung hin zu agilerem Arbeiten, insbesondere im Team mit Auftraggebern, ist ebenfalls Ausdruck von vertrauensvollen Partnerschaften.“ Von 69 Prozent der Befragten wurde diese Aussage unterstützt.
Den richtigen Partner finden
Die bundesweite Gesamtbranche differenziert sieben Schwerpunkt-Ausrichtungen, die je nach Agentur auch in Mischformen anzutreffen sind. Hat ein Teil der Anbieter seine Kernkompetenz im Bereich „Marketing/Branding“, konzentrieren sich andere Agenturen auf den „E-Commerce“. „Business Transformation“ oder der Bereich „Services/Information/Platforms“ sind ebenso Spezialisierungsrichtungen wie „Online-Plattformen“ oder Anbieter für die Kernaufgabe „Intranet“. Zunehmendes Wachstum ist schließlich auch bei den Internetagenturen zu sehen, die sich dem Branchentrend „Mobile“ verschrieben haben. Bevor also die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit einem relevanten Anbieter fällt, sollten sich Unternehmer klarmachen, welche Erwartungen sie an ihre Präsenz im Internet haben. Mit einem richtigen Agentur-Briefing lässt sich dann die Internetagentur suchen, die in möglichst vielen Kompetenzfeldern die richtige Schnittmenge zwischen Selbstdarstellung, Werbeplattform und Vertriebstool bedient.
Eines der Kernthemen in den Gesprächen zwischen Kunde und Agentur sind dabei immer wieder auch die Vorgaben der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Seit 2018 gelten mit diesem Regelwerk einheitliche Datenschutzregeln für alle europäischen Unternehmen. Und damit muss die digitale Privatheit (E-Privacy) in den Fokus jedes Unternehmers rücken, der sich auch künftig rechtssicher im digitalen Business bewegen will. Hingegen prophezeite Thomas Duhr, Vizepräsident im BVDW, schon 2018, dass mit der E-Privacy-Verordnung das Gegenteil von Datensparsamkeit erreicht werde. „Der aktuelle Entwurf der Verordnung zwingt Nutzer zur Preisgabe von mehr Daten als zuvor und führt zu mehr eindeutiger Identifizierung und weniger Anonymität im Netz“, so die damalige Befürchtung des BVDW. Thomas Duhr: „Brüssel möchte mit dieser Verordnung den Verbraucherdatenschutz stärken – und wird genau das Gegenteil erreichen. Dass diese E-Privacy-Verordnung in irgendeiner Form den Datenschutz verbessern soll, ist eines der größten Missverständnisse in der Geschichte der EU-Gesetzgebung.“ Duhr sah für Unternehmer und Verbraucher zwei Probleme: „Einerseits würde eine solche Regelung die Finanzierungsmodelle der meisten durch Werbung finanzierten und kostenfrei zugänglichen journalistischen Inhalte und Services im Internet untergraben – mit nicht absehbaren Auswirkungen auf die Meinungsvielfalt.“ Andererseits würde sich der Trend hin zu Log-in-basierten Modellen nicht vermeiden lassen, denn für praktisch jede Form der Datenverarbeitung wird eine Einwilligung des Users erfolgen müssen, so der Vizepräsident des BVDW. Emrich Welsing I redaktion@regiomanager.de
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