Es sind die berühmten zwei Seiten der Medaille: Laut Martin Everding beschert der Bauboom der technischen Gebäudeausrüstung, kurz TGA, bereits seit mehreren Jahren eine „Voll- bzw. Überauslastung“. Dies sei auch für die nächsten Jahre absehbar, sagt der Geschäftsführer von ITGA NRW, dem Industrieverband Technische Gebäudeausrüstung. „Neben den selbstverständlichen Vorteilen treten die für unsere Branche typischen Probleme, vor allem der Facharbeitermangel, hervor.“ Manche Aufträge könnten gar nicht mehr angenommen werden, bestehende Aufträge ließen sich manchmal nicht optimal abwickeln. „Letzteres drückt wiederum auf die Margen.“ Ähnlich äußert sich Thomas Terhorst, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik: „Tatsächlich ist die Auftragslage in den Unternehmen sehr gut, viele Unternehmen sind langfristig ausgebucht. Das führt auf der anderen Seite dazu, dass erste Engpässe entstehen und Kunden nicht bedient werden können“, so der Diplom-Ingenieur. Davon sei auch die öffentliche Hand als Auftraggeber betroffen. „Die Branche ist im Wachstum aktuell durch fehlende Fachkräfte auf allen Ebenen, vom Handwerk bis zum Ingenieur, gebremst.“
Megathema Digitalisierung
Diesen Mangel an Fachkräften gebe es in der gesamten Wertschöpfungskette und über alle Ausbildungsniveaus hinweg. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) bemühe sich seit Jahren um die Studierenden und die jungen Ingenieure, aber auch für Schüler gebe es Angebote, die für technische Berufe begeistern sollen. Für Martin Everding gibt es bei der Ausbildung und den Fachkräften „sowohl ein quantitatives wie auch ein qualitatives Manko an Leuten“. Man wünsche sich, „dass Lehrer und Eltern erkennen, dass die Ausbildungsberufe der technischen Gebäudeausrüstung eine viel größere Zukunftsfähigkeit haben, als die vorherigen Wunschberufe wie Bankkaufmann, Versicherungskaufmann und Automechaniker heute bieten können“. Diese würden nämlich, so Everdings Ansicht, durch die Digitalisierung und durch den technischen Fortschritt deutlich stärker beeinflusst, verändert und auch verdrängt, als dies in der TGA der Fall sein werde. Das „Megathema“ mache zwar auch vor der Gebäudetechnik nicht halt. Die „physische Ausführung“ auf der Baustelle wird seinen Ausführungen zufolge zwar leichter und effizienter gemacht, ersetzt werden kann sie aber nicht.
Für Thomas Terhorst hat die Digitalisierung das Potenzial, die Qualität von Gebäuden zu erhöhen. Mit der 3D-Methode BIM (Building Information Modeling) könnten Planungsdetails aufeinander abgestimmt werden. „Es gibt durch die gemeinsame Arbeit der Gewerke am selben Datenmodell keine Informationsverluste zwischen Planung und Ausführung. Mit der Vernetzung von Komponenten zu Systemen entstehen außerdem neue technische Lösungen und Optionen. Für den Betrieb derartig geplanter und errichteter Gebäude stehen dauerhaft Informationen über Bauprodukte, Flächen, Massen, Materialien et cetera zur Verfügung.“ Die Instandhaltung und Dokumentation werde massiv vereinfacht.
Bestandsimmobilien fördern
Der Ingenieur ist sich sicher, dass man zukünftig mehr auf die Umnutzung und Weiterentwicklung von Bestandsimmobilien und vorgenutzten Flächen setzen muss. „Einmal, weil es nachhaltiger ist, und zum anderen, weil damit die Chance besteht, preiswertere Wohnräume für einen angespannten Markt zu schaffen.“ Bedingt durch politische Forderungen sei der Energiebedarf von neuen Gebäuden massiv gesunken, antwortet Terhorst auf die Nachfrage nach den größten Veränderungen in den vergangenen zehn Jahren. „Da wir aber im Jahr weniger als ein Prozent unseres Gebäudebestands ersetzen, hat das auf den Gesamtenergieverbrauch im Gebäudebereich bisher wenig Einfluss.“ Im Bereich der TGA gibt es demnach einen deutlichen Trend zu mehr Gebäudeautomation und zur Einbindung regenerativer Energiesysteme. „Die Versorgung von Gebäuden mit Wasser und Luft unterliegt einer höheren Verantwortung im Bereich der Hygiene.“ Das sei eine gute Entwicklung, die der VDI mit Richtlinien im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit erreicht habe.
„Auf der technischen Seite spielt das Thema energetische Sanierung im Verhältnis zu vor zehn Jahren selbstverständlich eine größere Rolle“, sagt auch ITGA-Chef Martin Everding. „Ansonsten ist auch eine stärkere Konzentration der Betriebe zu beobachten – größere Projekte erfordern auch größere ausführende Unternehmen. In der letzten Zeit ist auch ein Interesse von Finanzinvestoren an Betrieben unserer Branche hinzugekommen, was einen Beweis der Attraktivität des Geschäftsmodells und der Leistungsfähigkeit der Unternehmen darstellt.“
Eine Frage der Rendite
Welche Unterschiede bestehen aus Branchensicht zwischen privaten und gewerblichen Objekten? „Der Unterschied besteht nicht so sehr zwischen Gewerbe- und Wohngebäuden als vielmehr in der Frage, ob der Investor das Gebäude selber nutzt oder eine kurzfristige Rendite angestrebt wird“, so Thomas Terhorst. „Im Wohnbereich gibt es eine breite Spanne vom Mietwohnungsbau bis zu hochindividualisierten Privathäusern. Während beim Mietwohnungsbau aktuell häufig über die hohen Erstellungskosten gesprochen wird, die den Wohnungsmarkt belasten, werden bei individuellen Einfamilienhäusern durchaus innovative technische Lösungen sowohl im Bereich Energie als auch im Bereich Automation realisiert.“ Das Stichwort hier lautet „Smart Home“. Diese Situation sei im Gewerbebau ähnlich. „Ein Bauherr, der für die eigene Nutzung baut, hat die Möglichkeit, bessere Lösungen über die Betrachtung der Lebenszykluskosten zu realisieren.“ Wenn nur der Invest zähle und der Mieter die höheren Folgekosten trage, gebe es oftmals eine schlechtere Qualität.
Wohlbefinden steigern
Ressourceneffizienz sei bei Bauwerken anders zu betrachten als bei Konsumgütern, lautet Terhorsts Meinung mit Blick auf Themen wie Gesundheit und Umweltschutz. Durch die lange Nutzungsdauer von Gebäuden lägen Schwerpunkte der Ressourcenbetrachtung oft im Personal- und Energieaufwand in der Nutzungsphase. Ein Kreislauf, auch im Sinne eines Recyclings, komme nur in sehr langen Zyklen zustande. „Gebäude sollen das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer unterstützen, aber mindestens nicht beeinträchtigen. Wir Menschen halten uns die meiste Zeit in Gebäuden auf; deshalb sind Baumaterialien und andere Stoffe, die während der Nutzung in das Gebäude eingebracht werden, so auszuwählen, dass weder bei der Verarbeitung noch während der Nutzung negative Einflüsse auf die Menschen und die Umwelt entstehen. Die Innenraumluftqualität während der Nutzung ist der wesentliche Parameter zur Erkennung von Belastungen durch Baustoffe und Materialien.“ Daniel Boss | redaktion@regio-manager.de
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