In nie erlebtem Tempo hat der Staat in diesem Jahr Corona-Hilfsprogramme aus dem Boden gestampft, um die Wirtschaft zu stützen. Dass vor allem viele der Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2020 mit heißer Nadel gestrickt wurden, um niedrigschwellig und schnell zu helfen, zog Probleme nach sich: Betrüger gaben sich als Unternehmer aus, um die 9.000, 15.000 oder 25.000 Euro – je nach Betriebsgröße – zu erhalten, oder Antragsteller wurden auf gefälschte Websites geleitet. Diese Machenschaften führten zeitweise zum Stopp der Auszahlungen in NRW. Sie hätten aber verhindert werden können, wenn die Zuschüsse ausschließlich auf ein Konto hätten gehen können, das beim Finanzamt hinterlegt war, meint Reinhard Verholen, Präsident der Steuerberaterkammer Düsseldorf und stellvertretender Vorsitzender des Steuerberaterverbands Düsseldorf. Inzwischen wurden die Banken dazu verpflichtet, Geld zurückzuzahlen, das auf Konten landet, die nicht zum Betrieb gehören.
Warnung vor Fake-Mails
Gerade läuft die Kontrolle an, inwieweit Zuschüsse berechtigt gezahlt wurden – und schon wieder warten Betrüger. Verholen warnt vor gefälschten, aber gut aufgemachten E-Mails, die zu Unrecht gezahlte Zuschüsse zurückfordern – wiederum auf ein Betrügerkonto. In Wirklichkeit läuft die Aufarbeitung jedoch anders, und zwar per Fragebogen, den die Bezirksregierungen per Post an die Hilfeempfänger verschicken. Diese müssen dann die „fortlaufenden erwerbsmäßigen Sach- und Finanzausgaben“ den „fortlaufenden Einnahmen aus dem Gewerbebetrieb“ für drei Monate gegenüberstellen. Daran zeigt sich, ob die Hilfen möglicherweise ganz oder teilweise wieder an den Staat zurückgezahlt werden müssen. „Es werden auch Unternehmer die Hilfen zurückzahlen müssen, die sie nur sicherheitshalber beantragt haben“, glaubt Verholen. „Und es werden Unternehmer die Fragebögen erhalten, die die Hilfe gar nicht bekommen haben, deren guten Namen sich aber Betrüger im Frühjahr zunutze gemacht haben.“ Verholen wendet sich dem Eindruck entgegen, dass die 2.000 Euro, die im Land NRW für die Lebenshaltung im ersten Monat aufgewendet werden dürfen, in keinem Fall zurückgezahlt werden müssen. „Die 2.000 Euro können bei den Ausgaben einmalig mit angesetzt werden. Sollte der Saldo dann immer noch positiv sein, muss der übersteigende Betrag bis zur gewährten Gesamthilfe zurückgezahlt werden. Aber nicht mehr!“
Rücklagen bilden
Ein „Geschenk“ stellen auch die Überbrückungshilfen im Konjunkturprogramm des Bundes über 130 Milliarden Euro dar, das Anfang Juni verkündet wurde. Steuerlich sind sie aber als Einnahmen zu verbuchen, sagt Fördermittelberaterin Katja Theunissen (Die KMU-Berater). „Und hinterher wird geprüft, ob eine ‚Überkompensation‘ vorliegt. Die entsprechenden Richtlinien sehen durchgängig vor, dass zurückzahlen muss, wer Mittel erhält, auch wenn er nicht hilfsbedürftig ist“, warnt sie. „Dies sollte man beizeiten prüfen und Rücklagen bilden für eine eventuelle (Teil-)Rückzahlung.“
Andere bedeutende Bausteine der Corona-Hilfen sind neben Zuschüssen das Kurzarbeitergeld, steuerliche Maßnahmen wie der Verlustrücktrag, Steuer-, Miet- und sogar Leasingratenstundungen, vor allem aber: Kredite. Oft kann mit Tilgungsaussetzung bei bestehenden Krediten geholfen werden, erklärt Roland Krebs, Vorstand der Volksbank in Südwestfalen mit den Hauptstellen Siegen und Lüdenscheid. „Die Bankenaufsicht fordert, dass Kunden mit einem Malus ‚gekennzeichnet‘ werden, die mehr als 90 Tage die Tilgung aussetzen möchten. Dieser Malus durch coronabedingte Tilgungsaussetzungen wurde für dieses Jahr ausgesetzt.“ Bei Neukrediten hatte die Volksbank in Südwestfalen etwa dreimal mehr Anträge zu bearbeiten als normal. Allerdings zeigt sich Krebs überrascht, dass nur fünf bis acht Prozent aller seiner Geschäftskunden Kredite in Anspruch genommen hätten. „Dies dürfte daran liegen, dass die Unternehmen ihre Eigenkapitalquote von 15 bis 20 Prozent vor der Finanzkrise fast verdoppelt haben: auf 25 bis 40 Prozent.“ Die durchschnittliche Kreditinanspruchnahme in seinem Institut liegt bei 35 Prozent – es gibt also noch Reserven. Für die Zurückhaltung dürfte auch verantwortlich sein, dass bei KfW-Krediten das Geschäftsführergehalt gedeckelt ist und Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter nicht möglich sind.
Besonders attraktiv unter den Corona-Krediten sind diejenigen mit hoher Haftungsfreistellung, insbesondere der KfW-Schnellkredit mit 100 Prozent Haftungsfreistellung und dem nicht gerade sensationell günstigen Zinssatz von drei Prozent. Allerdings verteidigt Krebs ihn, da bei einer verfrühten Rückzahlung z.B. keine Vorfälligkeitsentschädigung fällig würde. Fördermittelberaterin Theunissen allerdings ist vom Gesamtangebot der Corona-Kredite nicht wirklich überzeugt. „Die meisten meiner Kunden wären mit regulären Förderprogrammen gut bedient. Oft ist es außerdem so, dass die Landesbanken vergleichbare Kredite zu den Bundesprogrammen anbieten, jedoch zu günstigeren Konditionen.“ Viele hätten auch nicht im Blick, dass es für Investitionen, die etwa die Energieeffizienz erhöhen, ganz unabhängig von Corona-Hilfen außerordentlich gute Darlehensformen gebe, z.T. mit attraktiven Tilgungszuschüssen. Insgesamt empfiehlt sie: „Ich würde alles mitnehmen, um durch die Krise zu kommen.“ Vor allem sollte absehbarer Liquiditätsbedarf für das kommende Jahr schon in diesem Jahr berücksichtigt werden: „Mit einem schlechten Geschäftsabschluss für das Corona-Jahr 2020 bei einer Bank vorstellig zu werden, um zum Beispiel Betriebsmittel zu finanzieren, wird nächstes Jahr noch einmal deutlich schwieriger werden.“
Haftungsfreistellung? Ätsch!
„Trotz 100-prozentiger Haftungsfreistellung verhalten sich viele Hausbanken bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend, da in der Regel schon ‚alte‘ Geschäftsbedingungen mit den Kunden vorliegen“, ist die Erfahrung von Reinhard Verholen, dem Präsidenten der Steuerberaterkammer Düsseldorf. Eine 100-prozentige Haftungsfreistellung bedeute noch lange nicht, dass die Hausbank dieses Angebot der KfW eins zu eins an den Kunden weiterreicht, so der Unternehmensberater Wilhelm Heidbrede (KfU Bielefeld). „Wenn Unternehmen, die bisher einigermaßen gelaufen sind, einen solchen KfW-Kredit haben möchten, sagt die Hausbank oft ‚Wir sehen bei euch die Kapitaldienstfähigkeit nicht gegeben‘ und fordert zusätzliche Sicherheiten. Ich habe einige Kunden, die vollkommen frustriert und erschüttert sind, wie ihre Banken da agieren“, so Heidbrede.
„Die Banken lehnen sich ganz entspannt zurück und sagen: ‚Wir geben kein Geld raus, wenn wir wissen, dass das Unternehmen in einer kritischen Lage ist.‘ Wichtig ist immer, dass das Unternehmen am 31.12.2019 gesund war.“ Die Banken bewerten Sicherheiten nach dem „Zerschlagungsgesichtspunkt“: Maschinen würden vielfach mit nur 20 oder 30 Prozent des Werts angesetzt; Bürgschaften nur insoweit, wie tatsächlich verwertbares Vermögen dahintersteht. Heidbredes Erfahrung ist, dass Banken heute keine Branche für krisenfest halten. Er empfiehlt Unternehmern auch, sich bei Kreditvolumina von sechs- bis siebenstelligen Beträgen bis zu 3,25 Millionen Euro direkt an die Bürgschaftsbank zu wenden, um eine eventuelle Bürgschaft vorab zu klären. Dies ist möglich im Gegensatz zu den Förderbanken, zu denen der Kontakt wegen des in Deutschland geltenden Hausbankprinzips nur über die Hausbank möglich ist. Reinhard Verholen hat Mandanten, die mit ihrem Kreditwunsch zu einer neuen Bank gehen, mit der sie bisher keine Geschäftsbeziehung hatten – und Erfolg haben.
REGIO MANAGER-Umfrage
Fördermittelberaterin Katja Theunissen sieht das dicke Ende noch kommen, denn die Krise beginnt bei vielen Unternehmen mit Projektgeschäft erst noch. Bisher arbeiteten sie bestehende Aufträge ab – neue fehlen aber. Sie befürchtet, dass letzten Endes vor allem die Großen gerettet werden, die kleinen Mittelständler aber im Regen stehen bleiben. Sie verweist auf ein Programm zur Fördermittelberatung. Dieser 4.000-Euro-Zuschuss für KMU wurde nach kürzester Zeit wieder gestrichen. Angesichts der Riesenschuldenlast, die die Unternehmen derzeit anhäufen, will sie nicht ausschließen, dass am Ende Tilgungszuschüsse kommen werden oder dass der Kredit mit einer Steuerlast verrechnet werden kann. Sonst besteht die Gefahr, dass die Unternehmen letztlich doch vom Markt verschwinden.
Fast 30 Prozent der Unternehmen sehen sich in akuter oder mittelbarer Existenzgefahr, ergab eine Blitz-Umfrage des REGIO MANAGER von Mitte Juni. Gut 35 Prozent sehen sich nicht gefährdet, ebenso viele Unternehmen sind unentschieden. Die staatlichen Corona-Unterstützungsmaßnahmen bewerten unsere Leserinnen und Leser im Ergebnis neutral bis negativ, wie die (nicht repräsentative) Online-Umfrage zeigte. Wir stellten online außerdem die Frage „Kommt die Hilfe beim Mittelstand an?“ und boten eine Antwortskala in fünf Stufen an. Insgesamt klickten 32,3 Prozent die Kategorie „nein, überhaupt nicht!“ und die nächstbessere Kategorie an – gegenüber nur 24,2 Prozent, die die besten beiden Noten vergaben. Unentschieden lauteten 43,5 Prozent der Antworten. Bestürzend ist allerdings, dass auf die Frage „Wie hart ist Ihr Unternehmen von der Corona-Krise betroffen?“ 15,4 Prozent der Unternehmer angaben, dass von der Krise eine akute Existenzgefährdung ausgeht.
Am meisten wurden laut Umfrage die Soforthilfen (56,9 Prozent) in Anspruch genommen, gefolgt von Kurzarbeit und Steuerstundung. Bei dieser Frage waren auch mehrere Antworten möglich. Keine Staatshilfen beantragt hat immerhin ein knappes Viertel (23,1 Prozent). Mehrere Einsender lobten, dass die Soforthilfen schnell ausgezahlt wurden. Allerdings wurde auch moniert, dass die genauen Konditionen für die Soforthilfe auch Monate nach Auszahlung noch unklar sind. Aus vielen der anonym eingesandten Zuschriften spricht die Befürchtung, dass die Soforthilfen später wieder zurückgezahlt werden müssen. Mehrfach wird die Sorge geäußert, dass den Unternehmen dann die Liquidität zur Rückzahlung fehlen wird. In der Umfrage halten sich positive und negative Erwartungen zur Aufarbeitung in etwa die Waage.
Unternehmen reagieren unterschiedlich
Insgesamt sind die Hilfen noch zu wenig auf die Branchen zugeschnitten, wird etwa für die Veranstaltungsbranche bemängelt. Es wird auch die Forderung erhoben, weitere Soforthilfen zu gewähren, denn „bei 90 Prozent Umsatzverlust und Stornierungen bis in den Herbst reichen die Hilfen nicht“. Vielfach werden Befürchtungen laut, dass ein zweiter Lockdown die Wirtschaft erneut und dauerhafter in die Knie zwingt. Aus den Antworten auf die Frage „Was macht Ihnen am meisten Sorgen?“ spricht tiefe Verunsicherung – z.B., „dass es noch mal einen großen Auftragseinbruch für uns gibt, wenn bei unseren Maschinenbaukunden erst noch die richtige Delle kommt. Bislang arbeiten sie ja noch an Aufträgen, die vor Corona erteilt wurden.“ Insgesamt herrscht Angst, dass viele Unternehmen bald nicht mehr auf dem Markt sind, der Wirtschaftskreislauf somit erheblich leidet und die Krise noch sehr lange dauern wird.
Abgesehen von Hilfsmaßnahmen reagierten die Firmen unternehmerisch: etwa mit dem „Versuch der Kundenneugewinnung“ und „mehr Marketing“. Auch die Generierung von Ersatzumsätzen und die Sortimentserweiterung wurden mehrfach genannt, außerdem der Sortimentswechsel während des Lockdowns. Firmen nutzen zum Krisenmanagement insbesondere Kostenreduktion und Rücklagenbildung. Neben Maßnahmen wie Homeoffice sowie Flexibilisierung und Umstrukturierung der Arbeitszeit reagierten sie teilweise mit Investitions- und Einstellungsstopps. Mehrfach taucht in den Einträgen auf, dass der Kontakt zu den Kunden und die Kommunikation mit den Mitarbeitern verstärkt wurden. Durchgängig spricht aus der Umfrage jedoch die Sorge, dass der Staat die großen Unternehmen retten wird und den Mittelstand im Regen stehen lässt.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
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