Das Thema Elektromobilität steht schon lange auf der Agenda der deutschen Politik und Automobilindustrie. In der Öffentlichkeit herrschte dabei zuweilen der Eindruck, dass auf dem Gebiet nicht wirklich etwas passiert. Seit dem Dieselskandal und der viel beschworenen Abgasproblematik ist jedoch neuer Schwung in die Debatte gekommen. Auf der diesjährigen Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) hat sich gezeigt, dass die Zukunft der Branche eng mit der E-Mobilität verknüpft ist. „Wir haben die Erforschung und Entwicklung alternativer Antriebe in den letzten Jahren mit knapp zwei Milliarden Euro gefördert. Wir legen ein besonderes Augenmerk auf die Elektromobilität“, gab Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer Eröffnungsrede die Marschrichtung vor. Und auch die Zahlen deuten auf eine Trendwende hin: Der Elektroanteil an allen neuen Pkw ist aktuell mit 1,3 Prozent zwar noch auf niedrigem Niveau, die Neuzulassungen von Elektro-Pkw haben im ersten Halbjahr 2017 aber deutlich zugelegt: um 113 Prozent. „Es kommt Schwung in den deutschen Elektromarkt. Immer mehr Kunden entscheiden sich für ein E-Modell. Die jüngsten Wachstumsraten sind deutlich höher als vor einem Jahr“, sagt Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA).
Keine Region in Deutschland ist von dieser Entwicklung so stark betroffen wie Südwestfalen. In den fünf Kreisen Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Olpe, Soest und Siegen-Wittgenstein sind zahlreiche kleine und mittlere Industrieunternehmen beheimatet. Der sekundäre Wirtschaftssektor ist in der Region besonders stark ausgeprägt: 38 Prozent aller Erwerbstätigen in Südwestfalen arbeiten im Produktionsbereich, NRW-weit sind es nur rund 23 Prozent. Dies geht aus dem „Wirtschaftsbericht 2016“ der nordrhein-westfälischen Landesregierung hervor. Die südwestfälischen Unternehmen sind vor allem auf die Herstellung von Metallerzeugnissen, die Metallerzeugung und -bearbeitung sowie auf die Produktion von elektrischer Ausrüstung spezialisiert.
Aushängeschild Automotive-Industrie
Südwestfalens Automotive-Industrie besitzt dabei einen herausragenden Stellenwert. Mit über 52.000 Beschäftigten und einem Umsatz von rund neun Milliarden Euro gehört die Region zu den bedeutendsten Zuliefer-Regionen Deutschlands. Von den rund 530 Unternehmen in diesem Industriezweig ist die Mehrheit im Automobilsegment tätig. Dies zeigt die Studie „Die Automotive-Industrie in Südwestfalen“ der Industrie- und Handelskammern Arnsberg, Hagen und Siegen, die die Verbände im vergangenen Jahr vorgestellt haben.
Dass die Zukunftsfähigkeit des Verbrennungsmotors infrage steht und das Zeitalter der E-Mobilität eingeläutet wird, stellt die südwestfälischen Automobilzulieferer vor große Herausforderungen. „Der Strukturwandel ist gleichermaßen Chance und Risiko für die Zulieferer. Einerseits sind hiesige Unternehmen bei technischen Lösungen ganz vorne mit dabei, etwa bei der Ladetechnik, der Energieumwandlung und -verteilung oder im Leichtbau. Andererseits fallen Experten zufolge etwa 30 Prozent der Teile weg, die am Verbrennungsmotor hängen, also neben dem Motor und seiner Steuerung auch Getriebe, Abgassysteme, Tank und Leitungen. Das trifft insbesondere viele Metall verarbeitende Betriebe, die ganz überwiegend Einzelteile zu diesen Komponenten fertigen. Diese Unternehmen werden sich also neue Anwendungen und neue Märke für ihre Produkte suchen müssen“, sagt Thomas Frye, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik, Innovation und Umwelt bei der IHK Arnsberg, der die oben genannte Studie mitverfasst hat.
Bei den südwestfälischen Automotive-Zulieferern zeigt sich ein differenziertes Bild: 36 Prozent der in der Studie befragten Automotive-Zulieferer sehen in der Entwicklung zur Elektromobilität eher Chancen für ihr Unternehmen, 15 Prozent eher Risiken. Mit 48 Prozent erkennt allerdings rund die Hälfte der befragten Unternehmen in der Elektromobilität noch kein Potenzial. Die Meinungen gehen also auseinander, dennoch ist Südwestfalens Schlüsselindustrie nicht untätig.
In den vergangenen Jahren haben Politik und Wirtschaft in der Region verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, um die Branche auf die zukünftigen Herausforderungen vorzubereiten und Expertisen im Bereich Elektromobilität aufzubauen. „Die südwestfälischen Automobilzulieferer setzen sich mit den Anforderungen der Elektromobilität auseinander und entwickeln – ausgehend von ihren Kernkompetenzen – neue Produkte für die Mobilität der Zukunft. Teilweise arbeiten die Unternehmen dabei mit Hochschulen und Entwicklungsdienstleistern zusammen. Zum Teil kooperieren Unternehmen aber auch untereinander, um Know-how zu bündeln und komplexere Produkte anbieten zu können“, sagt Frye.
Netzwerke stehen hoch im Kurs
Die Bildung von Netzwerken und Kooperationen ist in der Region in der Tat sehr ausgeprägt. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Südwestfalen bündeln ihre Kräfte, um dem strukturellen Wandel zu begegnen und wettbewerbsfähig zu bleiben. Vorreiter ist das Automotive Netzwerk Südwestfalen, in dem 254 produzierende und 91 Dienstleistungsunternehmen mitwirken. „Das Netzwerk wurde von den IHKs Arnsberg, Hagen und Siegen vor rund zehn Jahren gegründet, um regionale Kooperationen anzustoßen oder zu vertiefen. Dazu gibt es u.a. eine Kompetenz- und Produkt-Datenbank, regelmäßige Erfahrungsaustausch-Treffen und ein Online-Kommunikationsportal. Außerdem nimmt das Automotive Netzwerk Südwestfalen aktuelle Trends auf und bietet dazu der Branche Informations- und Diskussionsveranstaltungen an“, erklärt Frye die Idee hinter dem Zusammenschluss.
Ein weiteres Beispiel für die intensive Zusammenarbeit in der Region ist das 2011 gegründete Kompetenzzentrum Fahrzeug-Elektronik (KFE) in Lippstadt. Das Zentrum wird von zehn Gesellschaftern getragen und unterstützt Unternehmen der Automobilbranche dabei, „Forschungen im Verbund zu nutzen und sich damit neue Potenziale in der Elektromobilität zu erschließen“. Wesentliches Ziel ist es, Unternehmen und Wissenschaft zusammenzubringen und die industrielle Forschung voranzutreiben.
Im zweiten Teil der Serie werden weitere Projekte vorgestellt, mit denen sich die Region für den strukturellen Wandel rüstet. Alexander Kirschbaum | redaktion@regio-manger.de
INFO
Vier Fragen an Tobias Möller vom KFE
SWM: Was ist die Idee hinter dem Kompetenzzentrum Fahrzeug-Elektronik, KFE?
Tobias Möller: Die Idee hinter dem Kompetenzzentrum ist die industrielle Forschung im Bereich der Elektromobilität. Wir untersuchen und qualifizieren Elektronikkomponenten für die Elektromobilität hinsichtlich Lebensdauer und Einsatzbereich.
SWM: Welche Projekte im Bereich Elektromobilität forciert das KFE derzeit?
Tobias Möller: Kürzlich hatten wir eine Bachelorarbeit, die sich mit einer elektrischen Flächenheizung im Fahrzeug beschäftigt hat. Da ein Elektrofahrzeug keine Abwärme mehr produziert, muss die Fahrgastzelle elektrisch aufgeheizt werden. Um einen optimalen Wirkungsgrad zu erreichen, gibt es die Idee, dass man die körpernahen Flächen aufheizt.
SWM: Was sind die größten Herausforderungen für die industrielle Forschung im Bereich E-Mobilität?
Tobias Möller: Die größte Herausforderung zurzeit ist die geringe Akzeptanz in der Bevölkerung hinsichtlich der Elektromobilität. Geringe Reichweite und enorme gskosten machen für den Normalverbraucher im Moment das Thema wenig attraktiv. Die fehlende Infrastruktur, die eine Kaufentscheidung gegen ein Elektrofahrzeug noch beeinflusst, ist ein Thema, das gerade in unserer Region schnell angegangen werden sollte.
SWM: Wie können die südwestfälischen Automobilzulieferer von der Entwicklung zur Elektromobilität profitieren?
Tobias Möller: Die Automobilzulieferer in Südwestfalen stellen sich für gewöhnlich sehr intensiv und zielgerichtet neuen Herausforderungen. Nicht nur eine Ausrichtung auf Elektromobilität, sondern auch auf autonomes Fahren spüren wir aktuell und freuen uns sehr über die Innovationsfreude, die in Südwestfalen herrscht.
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