Die Anzahl der Inanspruchnahmen von Managern wegen tatsächlicher oder behaupteter Pflichtverletzungen hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen, wobei in der Presse meistens spektakuläre Beispiele aus dem Bereich börsennotierter Unternehmen dargestellt werden. Die Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 führte in Deutschland zu einer Verschärfung der Haftung der Vorstände von Aktiengesellschaften. Die Verjährungsfrist für Ansprüche wurde auf zehn Jahre erhöht; ferner wurde eine obligatorische Selbstbeteiligung der Vorstandsmitglieder an Versicherungsleistungen einer D&O-Versicherung eingeführt. Hierdurch soll der Corporate Governance-Kodex gestärkt werden. Nicht zuletzt durch diese Entwicklungen hat sich die D&O-Versicherung auch in Deutschland als eine Versicherungssparte etabliert, die nicht mehr wegzudenken ist. Aber ist sie auch ein ernst zu nehmendes Thema für den – häufig inhabergeführten – Mittelstand?
Was ist eine D&O-Versicherung?
Die D&O-Versicherung ist eine spezielle Haftpflichtversicherung, welche die persönliche Haftung der Unternehmensleiter ( „directors and officers“) abdeckt. Die Haftung ergibt sich je nach Rechtsform des Unternehmens aus verschiedenen Gesetzen. Beispielhaft sei hier das GmbH-Gesetz genannt. In §43 heißt es dort, dass die Geschäftsführer als Repräsentanten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden haben und bei Verletzung dieser Pflicht der Gesellschaft für den entstandenen Schaden haften. Der Geschäftsführer haftet somit unbegrenzt mit seinem Privatvermögen. Die D&O-Versicherung ist sozusagen die Berufshaftpflichtversicherung des Unternehmensleiters im Falle von Schadenersatzansprüchen Dritter (Außenansprüche) oder des Unternehmens (Innenansprüche).
D&O-Versicherung als Haftpflichtversicherung
Wenn Deckung gegeben ist, besteht wie in jeder Haftpflichtversicherung der Versicherungsschutz in der Prüfung der Haftung, der Abwehr eines unberechtigten Anspruchs (notfalls vor Gericht) und der Befriedigung eines berechtigten Anspruchs durch (auch außergerichtlichen) Vergleich oder nach rechtskräftigem Urteil. Die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegen den Unternehmensleiter ist die spezielle Versicherungsfall-Definition der D&O-Versicherung, unabhängig davon, wann der Schaden eingetreten ist oder wann der Schaden durch eine Handlung oder Unterlassung verursacht wurde (Anspruchserhebungsprinzip; „claims made“-Prinzip).
Die vereinbarte Deckungssumme steht in der Regel als Höchstgrenze je Versicherungsfall und zugleich als Höchstgrenze je Versicherungsjahr zur Verfügung. Kosten für die Rechtsverteidigung werden auf die Deckungssumme angerechnet und „fressen“ somit Kapital auf, das dann für die Befriedigung eines im Nachhinein berechtigten Schadenersatzanspruchs nicht mehr zur Verfügung steht.
Versicherung für fremde Rechnung
Die klassische D&O-Versicherung ist als betriebliche Versicherung des Unternehmens konzipiert. Das Unternehmen als Versicherungsnehmer schließt die Versicherung zum Schutz der Geschäftsführer und weiterer versicherter Personen ab.
Neben den geschäftsführenden Personen sind – soweit vorhanden – auch aufsichtsführende Organe (Aufsichtsräte, Beiräte) in den Versicherungsschutz einbezogen, die ihrerseits dem Unternehmen gegenüber zur Sorgfalt verpflichtet sind und ein persönliches Haftungsrisiko tragen. Ferner gehören zu den versicherten Personen auch leitende Angestellte und Personen mit Sonderaufgaben (z. B. Compliance Officer, Fachkräfte für Arbeitssicherheit), soweit diese organschaftliche Aufgaben und Verantwortung mit übernehmen, auch wenn sie bedingt durch ihren Arbeitnehmerstatus nur begrenzt haften.
Die Unternehmens-D&O-Versicherung ist üblicherweise eine globale Versicherung mit der Holding-Gesellschaft als Versicherungsnehmer, die sämtliche Tochterunternehmen (Mehrheitsbeteiligungen) und deren Organe einschließt. Eine namentliche Nennung der versicherten Personen ist nicht vorgesehen. Der Versicherungsschutz wird automatisch mit der Bestellung in die jeweilige Funktion aktiviert. Man kann sich das so vorstellen wie ein „Hop-on-hop-off“-Touristenbus. Die D&O-Versicherung ist der Unternehmens-Bus, der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers oder der Handelsregistereintrag ist das Ticket für den Bus. Während der Busreise besteht Versicherungsschutz für sämtliche Handlungen und Unterlassungen der jeweiligen Person, die zu einem Vermögensschaden führen und für den die versicherte Person in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsschutz für Tun und Unterlassen während der Reise bleibt auch nach Beendigung, also nach Ausscheiden aus dem Amt, erhalten.
Schutz des Unternehmens oder Schutz der Person?
Das Unternehmen als Versicherungsnehmer zahlt die Versicherungsprämie. Versichert, also Nutznießer des Versicherungsschutzes, sind die versicherten Personen, primär die Unternehmensleiter. Im Falle von Schäden, die das Unternehmen erleidet und die es als Innenanspruch geltend macht, verteidigt die D&O-Versicherung den Schadenverursacher. Das Unternehmen hat somit mit der D&O-Versicherung die Munition bereitgestellt (und bezahlt), mit dem sich der Geschäftsführer gegen das Unternehmen verteidigen kann. Verkehrte Welt? Wie kann das im Sinne des Unternehmens sein?
Zugegeben, die D&O-Versicherung schützt die versicherte Person. Aber: Ohne eine D&O-Versicherung wäre deren Privatvermögen unmittelbar der Schadenersatzforderung des Unternehmens ausgesetzt, was je nach Größenordnung des eingetretenen Schadens in die Privatinsolvenz führen kann. In diesem Falle ginge das Unternehmen leer aus bzw. der Schadenersatzanspruch würde nicht in voller Höhe befriedigt. Eine angemessene D&O-Versicherung verhindert ein derartiges Szenario, sodass das Privatvermögen des Geschäftsführers geschont wird und der Schaden des Unternehmens ausgeglichen wird. Auf diese Weise funktioniert die D&O-Versicherung indirekt dann wie eine Eigenschadenversicherung des Unternehmens. In dieses Bild passt, dass die versicherte Person ihre Versicherungsansprüche an das Unternehmen abtreten darf und Beiträge zu Unternehmens-D&O-Versicherungen von den versicherten Personen nicht als geldwerter Vorteil versteuert werden.
D&O-Versicherung – sorglos statt Sorgfalt?
Wird nun durch das Bestehen einer D&O-Versicherung die Sorgfaltspflicht der handelnden Organe gelockert? Unternehmensleiter tragen eine hohe Verantwortung und müssen tagtäglich eine Vielzahl von Entscheidungen treffen. Dabei geht es nicht nur um Leitungsaufgaben, sondern gerade im Mittelstand agieren die Unternehmensleiter im Zentrum des operativen Geschäfts. Bei der Vielzahl von Entscheidungen in einem komplexen wirtschaftlichen Umfeld sind Fehlentscheidungen nie auszuschließen.
Die D&O-Versicherung spricht nicht von Fehlern oder Fehlentscheidungen, sondern verwendet den Begriff „Pflichtverletzung“. Jede Haftpflichtversicherung schließt Vorsatz aus, wobei in der Regel auf die vorsätzliche Herbeiführung des Schadens, also Handeln in schädigender Absicht, abgestellt wird. Hiervon abweichend stellt die D&O-Versicherung auf die vorsätzliche oder auch wissentliche Pflichtverletzung ab. Was aber ist eine Pflichtverletzung? Und ist der betroffenen Person zum Zeitpunkt des Handels bewusst, dass eine Pflichtverletzung vorliegt? Oder ist erst nach eingetretenem Schaden nachträglich begründbar, dass eine Pflichtverletzung vorgelegen hat oder haben muss? Glücklicherweise trägt eine gute D&O-Versicherung diesem Spannungsfeld dadurch Rechnung, dass ein gegebenes Handeln oder Unterlassen (z. B. Verstoß gegen unternehmensinternes Recht wie Satzung, Geschäftsordnung) dann keine Pflichtverletzung darstellt, wenn die versicherte Person davon ausgehen durfte, zum Wohl des Unternehmens zu handeln.
Als Fazit bleibt somit festzuhalten, dass die D&O-Versicherung die wirtschaftlichen Folgen aus dem persönlichen Haftungsrisiko des Geschäftsführers auffängt, ohne ihn jedoch aus der Verantwortung zu entlassen, die ihm das GmbH-Gesetz auferlegt. Vor diesem Hintergrund hat die D&O-Versicherung auch für den Mittelstand ihre Berechtigung.
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