Kolumne

KOLUMNE Parallelwelten: Ein Hoch auf die Statistik?

Wer mit Statistiken argumentiert, muss genau hinschauen, meint Simone Harland.

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von Simone Harland 17.11.2022
© doidam10 – stock.adobe.com

Ich bin ein Fan von Statistiken. Sie zeigen auf einen Blick die wichtigsten Ergebnisse von Studien, Umfragen, Erhebungen, die man herrlich zur Untermauerung der eigenen Position in Gespräche einflechten kann. Denn Zahlen lügen nicht, oder? Na ja, wie man es nimmt …
Statistiken können tatsächlich großartige Informationsquellen sein. Vorausgesetzt, man ist in der Lage, ihre Aussagen einzuordnen. Denn mit Statistiken lässt sich natürlich auch lügen. Doch davon auszugehen, dass alle Statistiken lügen und man nur der Statistik trauen sollte, die man selbst gefälscht hat, ist auch Murks. Es lohnt sich, genau hinzusehen, wenn in den Medien mit Zahlen gearbeitet wird. Ein Blick in die zugrunde liegenden Daten ist in vielen Fällen durchaus aufschlussreich.
So stellt sich z.B. die Frage: Wer steckt hinter einer Umfrage? Wer hat sie in Auftrag gegeben? Wie sehen die Fragen aus? Je nach Auftraggeber können bei einer ähnlichen Fragestellung unter Umständen unterschiedliche Ergebnisse herauskommen. Das kann daran liegen, dass nur eine bestimmte Gruppe Menschen befragt wurde, verantwortlich kann aber auch die Fragestellung selbst sein. Werden z.B. überzeugte Bahnfahrer nach einem Tempolimit auf den Autobahnen befragt, werden sich diese voraussichtlich eher für ein Tempolimit aussprechen als überzeugte Autofahrer. Auch mit Suggestivfragen lassen sich Ergebnisse manipulieren. So werden die Antworten auf die Frage, ob jemand aus bestimmten Gründen ein Tempolimit befürwortet, bei den folgenden Fragestellungen sehr wahrscheinlich unterschiedlich ausfallen:
1. Sind Sie für ein Tempolimit von 120 km/h, wenn sich dadurch die CO2-Emissionen deutschlandweit um XX Prozent senken ließen?
2. Sind Sie für ein Tempolimit von 120 km/h, wenn sich die CO2-Emissionen dadurch NUR um XX Prozent senken ließen?
Allein das Wörtchen „nur“ in Frage 2 kann die Antwort auf die Frage beeinflussen. Warum, ist klar, oder?
Eine repräsentative Umfrage zum Tempolimit müsste daher a) wenigstens 1.000 Teilnehmer haben, b) zufällig ausgewählte Personen und nicht nur Bahn- oder Autofahrer befragen und c) eine eindeutige Frage wie „Sind Sie für ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen?“ stellen.
Werden Zahlen in Grafiken „übersetzt“, muss man ebenfalls ganz genau hinschauen. Vor Kurzem stand in den sozialen Medien eine Grafik unter Beschuss, die die Entwicklung der Mindestlohnhöhe zeigte. Bei dieser Grafik, die eine Partei aus der Ampelkoalition veröffentlicht hatte, war der Sprung auf den neuen Mindestlohn von 12 Euro/Stunde völlig überzeichnet dargestellt. Die Mindestlohnhöhe fing in dieser Grafik auf der y-Achse nicht bei 0 Euro, sondern erst bei 8 Euro an, um den Unterschied zwischen 9,60 Euro und 12 Euro grafisch größer und damit die eigenen „Wohltaten“ in einem wesentlich positiveren Licht darzustellen.
Spannend sind auch Aussagen wie „Im Jahr 2020 haben sich die tödlichen Haiangriffe gegenüber dem Vorjahr verfünffacht“. Klingt gewaltig! Da stellen sich doch sofort Fragen wie: Warum sind die Haie in diesem Jahr so aggressiv gewesen? Oder: Wie sicher ist es überhaupt noch, in den Meeren zu schwimmen? Schaut man sich jedoch die absoluten Zahlen an, erkennt man, dass es 2020 zehn Haiangriffe mit tödlichem Ausgang gab, 2019 nur zwei. Beide Male eine verschwindend geringe Zahl. Und vergleicht man wiederum diese Zahlen mit denen aus den Vorjahren, erkennt man, dass es ähnliche Schwankungen schon gab.
Werden also nur Anstiege genannt oder nur Prozentangaben gemacht, sollte man daher immer auch einen Blick auf die absoluten Zahlen werfen. Diese rücken so manche Statistik ins rechte Licht. Das gilt z.B. auch für die Ergebnisse von medizinischen Studien. Nahmen – sagen wir – nur 49 Probanden an einer Untersuchung teil, ist in den meisten Fällen davon auszugehen, dass die Ergebnisse nur eine geringe Aussagekraft haben und durch weitere Studien untermauert werden müssen.
Dennoch: Statistiken haben ihren Wert. Ihre Aussagen ungeprüft zu übernehmen kann jedoch fahrlässig sein. Problematisch wird es oft, wenn es zahlreiche Studien zum gleichen Thema mit zum Teil unterschiedlichen Aussagen gibt. Dann können eigentlich nur Fachleute, die sich mit dem Thema intensiv beschäftigt und diese Untersuchungen auch hinsichtlich aller statistischen Kriterien ausgewertet haben, die Aussagen einordnen. Ich jedenfalls weiß dann, dass ich eigentlich nichts weiß – und bin ausgesprochen vorsichtig damit, Einordnungen zu treffen.

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