RM: Was unterscheidet digitale Vorreiter im Mittelstand konkret von Nachzüglern?
Professor Dr. Buehler: Vorreiter haben in ihren Unternehmen erfolgreich ein Bewusstsein für den digitalen Wandel in der Belegschaft eingeführt und verfolgen eine klar umrissene Digitalstrategie, deren Erfolge sie dokumentieren. Nachzügler haben erste Prozesse eingeführt, verfolgen diese aber nicht so stringent. Bei den befragten mittelständischen Unternehmen in unserer Studie „Digitale Vorreiter im Mittelstand“ gab es eine klare Korrelation zwischen dem digitalen Reifegrad und dem wirtschaftlichen Erfolg.
RM: Die Studie hat als Haupttreiber für digitale Veränderungen digitale Kundenerlebnisse, Produkte & Services und Geschäftsprozesse identifiziert. Welcher der drei Bereiche ist am wichtigsten und woran liegt das?
Professor Dr. Buehler: Digitale Vorreiter schaffen digitale Kundenerlebnisse, indem sie beispielsweise analoge Produkte über einen digitalen Kanal zu besonderen Konditionen anbieten oder komplett neue digitale Services anbieten. So können Kunden eines Gummibärchen-Herstellers im Handel nur Tüten mit farblich gemischten Gummibärchen kaufen. Im Online-Shop können Kunden die Farben speziell auswählen.
Digitale Vorreiter verfolgen für die digitale Transformation eine Tandem-Strategie mit Fokus auf digitale Kundenerlebnisse und gleichzeitiger operativer Exzellenz. Das bestätigen 86 Prozent der digitalen Vorreiter. Die Nachzügler fangen meist damit an, ihre Prozesse zu optimieren. Produkte und Dienstleistungen zu digitalisieren ist der zweite Schritt.
RM: Was sind typische Missverständnisse bei Mittelständlern, wenn es darum geht, die eigene Digitalisierung voranzutreiben?
Professor Dr. Buehler: Über die Kommunikation im Unternehmen Mitarbeiter für die Digitalisierung zu begeistern ist mit das größte Thema. In der Regel teilt sich bei allen Innovationen die Belegschaft je zu einem Drittel auf in Enthusiasten, Indifferente und Skeptiker. Daher ist ein regelmäßiger Austausch so wichtig. Unternehmen können dafür interdisziplinäre und fachbereichsübergreifende Teams schaffen, in denen sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Fachbereichen mindestens einmal wöchentlich austauschen. Die obere Führungsriege sollte sich aktiv mit den digitalen Themen beschäftigen und diese im Unternehmen bekannt machen. Town Hall Meetings mit der Führungsebene sind beispielsweise gut dafür geeignet, um die Belegschaft über mögliche digitale Neuerungen zu informieren.
RM: Wie ist der aktuelle Digitalisierungsstand im Mittelstand von kleinen Betrieben bis hin zu Großbetrieben?
Professor Dr. Buehler: Großbetriebe haben aufgrund der Ressourcenlage oftmals Vorteile. Viele haben auf der Führungsebene einen sogenannten Chief Digital Officer eingeführt, der zentral für die Digitalisierungsaktivitäten verantwortlich ist. Oftmals sind diese Posten aber auch noch nicht mit genügend Entscheidungskompetenzen ausgestattet, sodass der tatsächliche Einfluss auf die Innovationen begrenzt ist und die digitalen Prozesse nicht in Schwung kommen. Insgesamt sind die meisten Großbetriebe bei diesem Thema allerdings weiter als kleine Firmen, da sie dem Thema mehr Priorität einräumen. Bei Großbetrieben fordern oftmals auch Kunden digitale Innovationen ein.
Es gibt aber auch sehr viele innovative kleine Mittelständler, die aufgrund der geringeren Anzahl der Stakeholder digitale Innovationen schneller umsetzen können. Gerade bei kleinen Betrieben hängt es sehr stark vom Willen des CEOs ab, wie schnell digitale Neuerungen umgesetzt werden.
RM: Welche Prozesse und Arbeitsschritte in welchen Abteilungen lassen sich am besten digitalisieren?
Professor Dr. Buehler: Gerade im administrativen Bereich, z.B. bei Personalthemen, funktionieren diese Effizienzgewinne bei Bewerbungsprozessen und deren automatischer Erfassung und Dokumentation sehr gut. Auch in primären Wertschöpfungsbereichen wie dem Vertrieb können digitale Tools und vertriebsunterstützende Software für Effizienzgewinne sorgen.
RM: Wie treiben Mittelständler Innovationen am besten voran?
Professor Dr. Buehler: Firmen nutzen dafür vor allem drei Innovationsmodelle. Zum einen das Intrapreneurship-Modell, bei dem interne Innovation Labs und Arbeitsgruppen zum Thema Digitalisierung zentral im Unternehmen das Thema agil vorantreiben. Das war unter den Befragten die meistverbreitete Methode. Andere Firmen gründen sogenannte Innovation Hubs, bei dem Corporate-Start-ups gegründet oder auch Inkubatoren für externe Start-ups aufgebaut werden, die digitale Innovationen für das Unternehmen entwickeln. Die dritte Möglichkeit ist das Corporate Venturing. Gerade größere Firmen nutzen oftmals diese Möglichkeit und besorgen sich über Unternehmensanteile oder strategische Partnerschaften Zugang zu digitalem Know-how. Wir haben beobachtet, dass Unternehmen, die sich für digitale Innovationen nach außen öffnen und aktiv mit externen Stakeholdern arbeiten, erfolgreicher digitale Innovationen umsetzen als Firmen, die nur auf das eigene Know-how setzen. Die Wahl der Methode ist natürlich auch eine Ressourcenfrage. Der größte Killer von digitalen Innovationen ist das Tagesgeschäft.
RM: Welche Rolle hat der Corona-Virus für die Digitalisierungsaktivitäten gespielt und als wie nachhaltig schätzen Sie diese Veränderungen ein?
Professor Dr. Buehler: Zu Beginn der Corona-Pandemie haben viele Mittelständler ihre Innovationsbudgets erst einmal gekürzt. Einige Unternehmen haben die Budgets schnell wieder hochgefahren. Am Ende des Tages haben alle ihre Innovationsbudgets hochgefahren. Die Corona-Pandemie war daher ein Akzelerator für die Digitalisierung im Mittelstand für neue interne Prozesse und digitale Dienstleistungen.
RM: In der Studie sprechen Sie von einem Mindestinvestment von 1 Million Euro pro Jahr bzw. 30 Prozent des Innovationsbudgets. Welche Investitionen haben hier die höchste Priorität und warum?
Professor Dr. Buehler: Neue digitale Services, die digitale Vermarktung und digitales Scouting sind Maßnahmen, die derzeit den größten Teil der Innovationsbudgets ausmachen. Über die Hälfte des Budgets planen die Befragten der Studie für Ziele in den kommenden zwölf Monaten ein. 30 Prozent verfolgen mit ihrem Budget Ziele, die in einem bis drei Jahren erreicht werden können. Die restlichen 16 Prozent planen ihr Investitionsbudget für Ziele mit einem Horizont über drei Jahren, wozu auch insbesondere die Entwicklung von neuen smarten Produkten gehört.
Info
Professor Dr. Kai Buehler
ist seit 2016 Professor im Fachbereich Medien, „Digital Business Management“ mit Schwerpunkt Digital Entrepreneurship an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Von 2004 bis 2016 arbeitete er u.a. in New York und Los Angeles, wo er als CEO und Gründer verschiedene Start-ups im Technologie- und Medien-Bereich erfolgreich aufgebaut, gemergt und verkauft hat. Die Studie „Digitale Vorreiter im Mittelstand“ hat die Rheinische Fachhochschule Köln im Jahr 2020 in Zusammenarbeit mit den Beratungsunternehmen Convidera und Mind Digital durchgeführt.
Barbara Bocks | redaktion@regiomanager.de
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