SWM: Wie einfach lassen sich Erfolge von Digitalisierungsmaßnahmen messen?
Gérard Richter: Unterschiedlich, je nach Bereich. Nehmen wir den angestammten Verkaufsprozess durch einen Verkaufsagenten, der nun digitalisiert werden soll. Hier ist der Erfolg mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen einfach zu messen: Man vergleicht den Verkaufsagenten mit dem elektronischen Kanal anhand der Anzahl der verkauften Produkte, des Umsatzes, der Marge oder Kundenzufriedenheit; ähnlich einfach lässt sich vergleichen, wie schnell die Abwicklung des Produktverkaufs beim Agenten und über den elektronischen Kanal abgelaufen ist. Wichtig ist immer, vorher in der Digitalisierungsstrategie festzulegen, welche Veränderung gemessen werden soll. Tut man das nicht, wird die Erfolgskontrolle wegen Überlagerungseffekten extrem schwer. Am konkreten Verkaufsprozess erklärt, könnte ein Überlagerungseffekt durch eine Ausweitung des Produktsortiments eintreten, der es am Ende schwer macht zu vergleichen, wie sich die definierten Kennzahlen im Vergleich zum ursprünglichen Produktsortiment entwickelt haben.
SWM: In welchen Fällen ist die Erfolgskontrolle schwieriger?
Gérard Richter: Etwa bei halbautomatischen Qualitätskontrollprozessen: Ein Mensch kontrolliert, wie Schrauben halbautomatisch in Schraublöcher hineingeschraubt werden. Vollautomatisiert könnte der Prozess so aussehen: Der automatische Schraubdreher misst den Widerstand beim Hereindrehen der Schraube, es werden Geräusche aufgenommen, eine Kamera beobachtet das Schraubverhalten und die Aufnahmen werden abgeglichen mit hinterlegten Bildern. Jede Schraube, die innerhalb der Toleranzen ist, gilt nun als qualitätsgesichert. Es stellt sich aber die Frage, was Digitalisierung ist und was nicht. Da würde ich immer sagen: Wie sah der Prozess vorher und nachher aus?
SWM: Und welche Digitalisierungsmaßnahmen sind besonders schwer auf Erfolg zu kontrollieren?
Gérard Richter: Wir sehen viele Unternehmen, die mit Technologietransformationen vor größere Probleme gestellt werden. Die massiven Investitionen haben häufig nur einen geringen positiven Effekt auf die Geschäftsergebnisse. Wir haben zahlreiche Analysen von Wirkungshebeln durchgeführt, die im Zuge von Technologietransformationen wichtig sind. Die vielleicht wichtigste Erkenntnis ist: Die „weichen“ Hebel wie Kultur und Talent sind viel wichtiger und lohnender als die reine Technologieänderung. Das gilt auch für das Thema agile Arbeitsweisen, die zwar häufig propagiert, aber zu wenig wirklich gelebt werden. Die Effekte von weichen Hebeln sind häufig schwieriger zu messen als früher. Aber wenn die Ziele im Vorhinein klar benannt und die korrespondierenden Erfolgskriterien und Messinstrumente klar definiert wurden, lassen sich auch die weichen Faktoren belegen.
SWM: Wie könnten solche kulturellen und strukturellen Veränderungen im Zuge der Digitalisierung aussehen?
Gérard Richter: Beispiel agile Arbeitsweise: Sie bedeutet nicht – wie der Begriff nahelegen könnte – Chaos, sondern im Gegenteil, unterschiedliche Expertisen im Unternehmen zusammenzubringen, um Probleme gemeinsam verantwortlich auf Teamebene zu lösen. Vereinfacht gesagt war es früher so, dass bei der Entwicklung eines Produkts der Entwicklungsleiter sagte: Ich entwickle das Produkt so, wie ich denke, dass es für den Markt richtig ist. Dann ging es an den Produktions-/Arbeitsvorbereiter, der sagte: Das können wir überhaupt nicht produzieren, das ist viel zu kompliziert, wird zu teuer und die Qualität ist nicht nachhaltig lieferbar. Wir müssen hier und dort die Spezifikation ändern. Heute sitzen alle zusammen und sind für ein Produkt verantwortlich. Da ist der Lead Engineer, also derjenige, der das Produkt einschließlich der Spezifikationen designt. Mit am Tisch sitzt jemand aus der Produktion, der sagt: Wenn du das Design etwas änderst, können wir das viel einfacher und schneller produzieren. Der Materialwissenschaftler sagt: Wenn wir hier eine Nut machen, dann könnten wir sogar ein anderes Material nehmen; das wäre stabiler, leichter und vielleicht auch billiger. Und der Verkäufer sagt: Meine Daten zeigen mir, dass sich die Kunden ein anderes Produktdesign wünschen; lasst uns das Design bitte mit Blick an die Kundenbedürfnisse anpassen. Heute hat man eine ganz andere Art zusammenzuarbeiten. Das ins Verhältnis zu früher zu setzen ist extrem schwierig.
SWM: Sollten Unternehmen sich angesichts der Fülle möglicher D-Maßnahmen auf „Quick Wins“ konzentrieren?
Gérard Richter: Maßnahmen, die sich schnell und einfach umsetzen lassen und die zählbare Effekte bringen, sollten am Anfang einer digitalen Transformation stehen, etwa der Aufbau eines Webshops zum Produktverkauf direkt an den Kunden, die Umstellung in der Finanzbuchhaltung oder die Digitalisierung im Einkauf. Fährt man mit einem Analysetool über die Lieferantenlandschaft, findet man leicht Dubletten und kann dann die Anzahl der Lieferanten reduzieren. Ich warne allerdings davor, zu viele Quick-Win-Maßnahmen aufzusetzen. Ich würde die oben genannten acht Bereiche nehmen und in jedem jeweils ein oder zwei Pilotprojekte starten – allerdings nicht vor der Formulierung der Digitalstrategie und der Status-quo-Analyse, denn die Ergebnisse sollen ja messbar sein.
SWM: Raten Sie bei der Status-quo-Analyse zu einem externen Dienstleister?
Gérard Richter: Eine solche Ist-Ermittlung – also Feststellung, wo man im Vergleich zu anderen im Bereich Digitalisierung steht – würde ich immer von einem Externen machen lassen. Hierfür gibt es verschiedene Analysetools. Das ist wie ein Fitnesscheck beim Arzt: Sie gehen hin, den machen Sie auch nicht selbst.
Info
Acht Bereiche der Digitalisierung
Die Digitalisierung im Unternehmen sollte unbedingt einer „Digitalstrategie“ oder „Digitalvision“ folgen, so Richter. Das Unternehmen muss also für sich transparent darlegen, was Digitalisierung bedeutet und in welchen Bereichen sie stattfindet. Erst die gesonderte Betrachtung acht solcher gesonderter Bereiche ermöglicht auch die Erfolgskontrolle:
1. Die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens: Ein Finanzdienstleister zum Beispiel, der seine Produkte über eine Onlineplattform vertreibt, hat bereits einen sehr hohen
Digitalisierungsgrad.
2. Die Geschäftsprozesse: Wie hoch ist der Anteil der Digitalisierung der Geschäftsprozesse über die Wertschöpfungskette hinweg von der Innovation bei der Produktentwicklung bis hin zum Service nach dem Verkauf des Produktes? Es leuchtet ein, dass etwa eine Firma, die mit dem Standardformat „Electronic Data Interchange“ Geschäftsinformationen mit Kunden und Lieferanten austauscht, digitalisierter ist als eine, in der dies per Fax und Brief stattfindet.
3. Die Domänen oder Fachbereiche: Jeder Fachbereich muss definieren, was Digitalisierung für ihn bedeutet – Beispiel Pharma-Forschungs- und Entwicklungsbereich: So wird ein Medikament getestet, indem Patienten über eine App eingeben, wie sie sich fühlen und welche Nebenwirkungen sie haben.
4. Die Struktur und Steuerung des Unternehmens sind auf ihren Digitalisierungsgrad hin zu untersuchen. Also: Gibt es einen hohen Anteil an Digitalprojekten im Unternehmen? Arbeitet man im hohen Maß virtuell zusammen?
5. Die Architektur und Technologie: die IT-Architektur und der Grad der Vernetzung im Unternehmen und nach außen hin – etwa im Datenverkehr mit Kunden.
6. Data and Analytics: In den heutigen Unternehmen werden bereits Trilliarden von Daten produziert, die aber noch nicht genutzt werden können, etwa weil die Datenqualität nicht gesichert werden kann, zum Beispiel durch Datendubletten infolge unterschiedlicher Eingabe gleicher Informationen. All diese Probleme sind zu lösen, bevor diese Daten wirklich effektiv genutzt werden können.
7. Ecosysteme und Partnerschaften: Hier müssen Unternehmen zum Beispiel analysieren, wie schnell sie Standardprodukte schnell über eine eigene Plattform verkaufen können oder beispielsweise über eine Drittanbieterplattform.
8. Fähigkeiten und Kultur im Unternehmen, also das Maß der Bereitschaft und Kompetenz, an der Digitalisierung des Unternehmens zu arbeiten und entsprechende Fähigkeiten aufzubauen.
Claas Möller | redaktion@regiomanager.de
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