Medizintechnik – vom Pflaster bis zum voll ausgestatteten Operationssaal – unter diesem Begriff werden die unterschiedlichsten Produkte zusammengefasst.Seit einigen Monaten hat ein jeder von uns mehrmals täglich ein Beispiel für Medizintechnik im Gesicht, den mittlerweile unvermeidlichen Mund-Nasen-Schutz. Der Aufschrei war im vergangenen März groß, als Mediziner und Politiker feststellen mussten, dass die bundesdeutschen Vorräte nicht ausreichten, um die ganze Bevölkerung in der COVID-19-Pandemie mit Atemschutzmasken, Desinfektionsmitteln oder Schutzanzügen zu versorgen. Noch nicht einmal für die notwendige mittelfristige Grundausrüstung von Kliniken, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen war ausreichend Vorsorge getroffen, geschweige denn kurzfristig an Nachbestellungen zu denken. Denn die Produktion dieser urplötzlich so wichtigen Klein- und Kleinstprodukte war schon vor Jahren komplett in Billiglohnländer ausgelagert, die nun aber durch nationale Produktionsbeschränkungen nicht mehr liefern konnten. Das aktuelle Beispiel machte deutlich, wie sehr die Produktion von Medizinprodukten bereits Teil der weltweit globalisierten Wirtschaftsentwicklung geworden ist. Aktuell wird gegengesteuert und Hersteller werden zu mehr Inlandsproduktion motiviert.
„Medizintechnik ist eine ingenieurwissenschaftliche Fachrichtung. Die Medizintechnik entwickelt und fertigt Produkte, Geräte und Verfahren zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten“, liefert das Online-Portal DeviceMed.de eine griffige Definition. Dabei wird der Bereich der Medizintechnik als eine stetig wachsende Branche beschrieben, die jedoch starken staatlichen Regulierungen unterliegt. Bezogen auf die Zahl der insgesamt im Gesundheitswesen beschäftigten Menschen handelt es sich jedoch um eine vergleichsweise kleine Teilbranche. Wuchs in den Jahren von 2014 bis 2017 die gesamte Gesundheitsbranche von 5,26 Millionen auf 5,58 Millionen Beschäftigte kontinuierlich, blieb die Zahl der Mitarbeitenden in Berufen der Medizin-, Orthopädie- und Rehatechnik zwischen 151.000 und 156.000 eher stabil, informiert das Statistische Bundesamt im zuletzt 2019 erschienenen Qualitätsbericht Gesundheitspersonal. Der Bundesverband Medizintechnik e.V. (BVMed) mit Sitz in Berlin geht in einer aktuellen Statistik jedoch von sogar 215.000 Arbeitsplätzen aus.
Medizintechnik wuchs moderat
Die Gesundheitsbranche wächst insbesondere im personellen Bereich. Dazu zeigen die bundesweiten Gesundheitsausgaben ein vergleichbares Bild. Wurden im Jahr 2000 noch insgesamt 214,305 Milliarden Euro im Gesundheitswesen ausgegeben, stieg die Summe bis 2017 auf 375,651 Milliarden Euro um mehr als die Hälfte der jährlichen Kosten an. Im gleichen Zeitraum wuchsen die Ausgaben im Bereich der verschiedenen Leistungsarten der Medizintechnik eher moderat von 25,369 auf 42,049 Milliarden Euro, wobei sie relativ gleichmäßig unterhalb der jährlichen Kosten für Arzneimittel blieben, die analog von 31,092 auf 57,255 Milliarden Euro anstiegen.
Eine genaue Festlegung, was als Medizinprodukt zu gelten hat und wie damit umgegangen werden darf, liefert das bundesweit gültige „Gesetz über Medizinprodukte“ aus dem Jahr 1994, das zuletzt im Juni 2020 aktualisiert und an die neuen Gegebenheiten angepasst wurde. Hier ist in der Abgrenzung auch genau beschrieben, was nicht als Medizinprodukt zu gelten hat, nämlich alle Arzneimittel und kosmetischen Produkte sowie Produkte aus menschlichem Blut (z.B. Blutplasma) oder Transplantate, die einem Spender entnommen werden, um sie einem Empfänger einzusetzen. Auf der positiven Seite der Beschreibung stehen alle Dinge, die in der medizinischen Diagnostik oder Therapie dazu dienen, Krankheiten, Verletzungen oder Behinderungen zu erkennen, zu verhüten sowie die Behandlung zu überwachen und für Linderung zu sorgen. Auch Produkte der Empfängnisregelung zählt das Gesetz zu den Medizinprodukten sowie einen Trendbereich, der im Zuge der zunehmenden Digitalisierung auch in der Gesundheitsbranche immer wichtiger wird: IT- und Software-Produkte.
93 Prozent KMUs
Über 400.000 verschiedene Medizinprodukte zählt der Branchenverband BVMed zum Leistungsspektrum des Wirtschaftszweigs, der mit 1.380 Unternehmen über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie rund 13.000 Kleinstunternehmen und einer Quote von 93 Prozent kleinen und mittelständischen Unternehmen sehr differenziert zu betrachten ist, so die Ergebnisse der aktuellen Herbstumfrage des Verbandes. Die wichtigsten Erkenntnisse kommen nicht überraschend: „Die COVID-19-Pandemie hat auch auf die Medizintechnik-Branche dramatische Auswirkungen“, berichtet der BVMed und erwartet „einen Umsatzrückgang von durchschnittlich 4,9 Prozent – nach einem Umsatzplus von 3,3 Prozent im Vorjahr“. Leidtragende werden in erster Linie die kleinen und mittleren Unternehmen sein. „Hinzu kommen starke Rückgänge beim für die Branche so lebenswichtigen Export“, erläutert BVMed-Geschäftsführer Dr. Marc-Pierre Möll.
Für die aktuelle Herbstumfrage wurden die Verbandsmitglieder auch nach den besonderen „Stärken des MedTech-Standorts Deutschland“ gefragt – mit dem herausragenden Ergebnis, dass 76 Prozent der Befragten die „gut ausgebildeten Fachkräfte“ sowie eine „gute Infrastruktur“ als große Stärke herausstellten. Ein „hohes Versorgungsniveau der Patienten“ nannten immerhin noch 64 Prozent als besondere Stärke, während die gute Ausbildung von Ärzten und Wissenschaftlern nur noch für 45 Prozent bzw. 36 Prozent erwähnenswert waren. Trotz einer hohen Exportquote der Branche von 65 Prozent sind nur 27 Prozent der Branchenvertreter der Meinung, dass in Deutschland „gute Rahmenbedingungen für den Export“ herrschen. Die letzten Plätze im aktuellen Meinungsranking belegen die Punkte „schnelle Marktzulassung (CE)“ mit nur 16 Prozent, das „Fast-Track-Verfahren für digitale Gesundheitsanwendungen“ (12 Prozent) sowie als Schlusslicht eine „gute Forschungsförderung“, die nur einen Zustimmungswert von sieben Prozentpunkten erhielt.
Moderne Medizintechnologie
Das Fazit des BVMed-Geschäftsführers Dr. Marc-Pierre Möll: „Unsere Branche setzt sich dafür ein, den Produktions- und Forschungsstandort Deutschland zu stärken, indem die mittelständisch geprägte Medizinprodukte-Branche als Leitmarkt und starker Wirtschaftsfaktor anerkannt wird. Wir wollen einen schnellen Innovationszugang für moderne Medizintechnologien sicherstellen, insbesondere auch für digitale Gesundheitsanwendungen. Moderne medizintechnologische Lösungen sind faszinierend. Wir müssen sie noch besser wertschätzen und Ergebnisse aus Forschung und Entwicklung künftig schneller in die Versorgungspraxis überführen und qualitätsorientiert vergüten.“ Emrich Welsing | redaktion@regiomanager.de
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