Kolumne

Ich melde, also bin ich

Es gibt wieder Meldestellen in Deutschland. Während manche diese Entwicklung begrüßen, sieht Simone Harland sie kritisch.

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von Simone Harland 16.01.2024
(© ­­­master1305 − stock.adobe.com)

Musste auch Ihr Unternehmen eine interne Meldestelle nach dem Hinweisgeberschutzgesetz einrichten? Eine Stelle bei der sogenannte Whistleblower Verstöße im Betrieb gegen Strafvorschriften, Ordnungswidrigkeiten oder EU-Recht melden können, ohne im Nachhinein Repressalien wie einer Kündigung ausgesetzt zu sein? Wenn ihr Unternehmen mehr als 49 Beschäftigte hat, bestimmt. Denn dann sind Sie nach dem Gesetz dazu verpflichtet. Ja, es ist nicht ausschließlich schlecht, dass durch das Gesetz Verstöße nun frühzeitig intern ans Licht kommen können. Das kann ein Unternehmen unter Umständen vor einem öffentlichen Skandal bewahren. Doch der Verband „Die Familienunternehmer“ hatte bereits kritisiert, dass das Gesetz zu hohen Bürokratielasten für die Unternehmen führe, weil es über die EU-Richtlinie, auf der das Gesetz basiert, hinausgeht. Hinzukommt: „Die Familienunternehmer“ befürchten einen Missbrauch des Gesetzes. Denn fühlt sich ein Hinweisgeber nach der Meldung eines Verstoßes in irgendeiner Form benachteiligt, muss das Unternehmen beweisen, dass die vermeintliche Benachteiligung nicht auf die Meldung zurückzuführen ist. Das sei eine Form der Beweislastumkehr.
Zwar war es eine EU-Vorgabe, interne betriebliche Meldestellen einzurichten. Trotzdem schwingt bei dem Begriff „Meldestelle“ in Deutschland immer ein gewisses G’schmäckle mit. Nicht zuletzt, weil Meldestellen in letzter Zeit scheinbar wie Pilze aus dem Boden schießen. Da gibt es in Nordrhein-Westfalen seit Kurzem von der Landesregierung aufgebaute Meldestellen gegen Rassismus und Queerfeindlichkeit. Sie sollen rassistische oder sogenannte queerfeindliche Vorfälle unter der Strafbarkeitsgrenze dokumentieren sollen. Auch das „Berliner Register“ mit Meldestellen für jeden Berliner Bezirk dokumentiert derartige Vorfälle. Träger der Koordinierungsstelle der Berliner Register ist eine gemeinnützige Firma, deren Tätigkeit unter anderem mit Mitteln des Landes gefördert wird. Melden kann jeder anonym.
Viele Einträge in der „Vorfallschronik“ auf der Website des Berliner Registers irritieren jedoch. Da werden etwa als „verschwörungsideologisch“ eingestufte Aufkleber mit der Aufschrift „Chemtrails – nein danke“ gemeldet. Ebenso ein vermeintlich „antifeministischer“ Aufkleber mit der Botschaft: „Gendern? Nicht mit mir!“ Auch belauschte, vom Lauschenden als rassistisch eingestufte Gespräche zwischen Privatpersonen im ÖPNV erhalten einen eigenen Eintrag.
Diese Form der Dokumentation erinnert mich an Zeiten, zu denen Denunziation zum Tagesgeschäft gehörte. Denn viele der gemeldeten Vorfälle fallen unter das Recht der freien Meinungsäußerung. Deshalb sind sie auch nicht strafbewehrt oder verboten. Jeder Mensch in Deutschland darf zum Beispiel an „Chemtrails“ – vermeintlich chemikalienhaltige Kondensstreifen – glauben oder sich gegen das Gendern aussprechen. Stellen die Meldestellen die verletzten Gefühle Einzelner über die Meinungsfreiheit?
Auch ist die Einordnung der „Vorfälle“ willkürlich. Ob etwa ein Aufkleber gegen das Gendern als „antifeministisch“ eingestuft wird, ist Ansichtssache. Insbesondere das Belauschen und Melden privater Gespräche ist meiner Ansicht nach nicht nur eine Verletzung der Privatsphäre, sondern gleichzusetzen mit Denunziation. Hier werden durch die Meinungsfreiheit gedeckte, manchen jedoch nicht genehme Äußerungen ohne Wissen der sprechenden Personen aufgezeichnet. Die Dokumentation aller vermeintlichen Vorfälle könnte in der Folge dazu genutzt werden, politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Und ist nicht auch der Missbrauch vorprogrammiert? „Vorfälle“ lassen sich bei Bedarf erfinden. Vor allem aber: Wo fängt die Dokumentation an, wo hört sie auf? Falls Namen in der Meldung genannt werden, werden diese gespeichert, selbst wenn sie nicht veröffentlicht werden? Selbst wenn sie gelöscht werden, sie wurden ja gelesen. Es wäre somit ein Leichtes, inoffizielle Namenslisten anzulegen. Auch dass eine Firma Träger der Koordinierungsstelle ist, ist bedenklich, denn sie hat ein Interesse, sich selbst zu erhalten. Schließlich hängen an ihrer Existenz Arbeitsplätze.
Der Unterschied zwischen diesen Meldestellen und denen des Hinweisgeberschutzgesetzes besteht darin, dass es im Betrieb ums Melden strafbewehrter Vorfälle geht. Dennoch: Die Normalisierung von Meldestellen, auch durch das Gesetz, ist meiner Meinung nach ein Schritt auf dem Weg zur erneuten Salonfähigkeit von Denunziation. Die Frage ist: Wollen wir diese Entwicklung?

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