Produktion

Automotive-Zulieferer (Elektro): Innovationsmotor reloaded

Automotive und Elektrobranche: 90 Prozent der Innovationen im Automobilbereich entstehen schon heute durch den Bereich Elektrik/Elektronik

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von Regiomanager 01.08.2018
Herz der Kraftfahrzeug-Elektrotechnik: Das Steuergerät (Foto: ©Yvonne Weis – stock.adobe.com) | Reinhold Häken

1478 zeichnete Leonardo da Vinci einen Entwurf für ein sich selbst bewegendes Fahrzeug. Seine Visionen ließen sich technisch noch nicht umsetzen. 1769 stellte der Franzose Nicolas Cugnot in Paris den Prototyp eines Dampfwagens vor. Der „Fardier“ sollte Kriegsgerät für das Militär transportieren und inspirierte andere Tüftler. Fahrzeuge mit Dampfantrieb breiteten sich in Frankreich und England rasch aus. 1825 rollten in England 100 selbstfahrende Dampfkutschen. Dampfbetriebene Busse chauffierten wohlhabende Fahrgäste durch London, auch wenn denen die qualmenden Stahlkolosse nicht ganz geheuer waren.
Carl Benz kam zu spät
Dann kam das Jahr 1881. Geblieben sind zwei Kupferstiche und technische Beschreibungen. Aus diesen kargen Hinterlassenschaften wird aber eines deutlich: Carl Benz und sein Patent-Motorwagen aus dem Jahre 1886 standen nicht am Beginn des automobilen Zeitalters: Das erste „Automobil“ war ein Elektroauto und rollte als Dreirad, angetrieben von einer halben Pferdestärke. Das Gefährt der Wissenschaftler William Ayrton und John Perry hatte aber das gleiche Problem wie seine modernen Nachfolger: Die geringe Reichweite war schon damals ein Knackpunkt. Das Aufladen war kompliziert und erforderte stationäre Generatoren. Die Antriebs-technik entzweite die Konstrukteure. Im Jahre 1900 fuhren 40 Prozent der wenigen Automobile mit Dampf, 38 Prozent mit Elektroantrieb und nur 22 Prozent mit Benzin. Wie würde die Welt heute aussehen, wenn man damals auf den Elektroantrieb gesetzt hätte?
„90 Prozent der Innovationen im Automobilbereich entstehen schon heute durch den Bereich Elektrik/Elektronik (E/E). Aktuelle Markttrends forcieren die Entwicklung der Car-IT und stellen die Automobilindustrie vor neue Herausforderungen“, ist F. Rainer Bechtold vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) überzeugt. Er verweist auf die Bedeutung der Kfz-Elektrik in der Vergangenheit und ist überzeugt, dass dem Bereich „Elektrik“ künftig weit größere Bedeutung zukommt.
„Auto der Zukunft ist elektrisch“
„Das Auto der Zukunft ist automatisiert, vernetzt und elektrisch“, formuliert Matthias Wissmann, ehemals Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Stolz verweist er auf Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen von mehr als 30 Milliarden Euro pro Jahr, mit der die deutschen Automobilunternehmen weltweit einzigartige Innovationskraft beweise. Deutlich werde, dass die Mobilität derzeit vor einem massiven Umbruch steht: Ob rein elektrisch, mit Hybridantrieb oder mit Brennstoffzelle – die Technik schreitet voran. Wohin der Weg führt, ist aber noch offen.
Die Autoindustrie ist nach dem Maschinenbau in Deutschland die Industriebranche, die die meisten Menschen beschäftigt. Dabei erlebt „Automotive“ derzeit einen fundamentalen Wandel in neuer Dimension. Eine beschleunigte Internationalisierung, neue Fertigungsmethoden im Zuge von Industrie 4.0 und vielfältige technische Innovationen insbesondere für E-Mobilität und autonomes Fahren stellen die Unternehmen vor neue Herausforderungen. Dies betrifft nicht nur die Hersteller, sondern vor allem auch die Zulieferer. „Südwestfalen gehört zu den stärksten Automotive-Zuliefer-Regionen Deutschlands. Mehr als 500 Unternehmen sind in der Automotive-Industrie tätig. Die Automobilzulieferunternehmen in Südwestfalen profitieren derzeit von der guten Automobilkonjunktur weltweit und sind größtenteils sehr gut ausgelastet“, weiß Dirk Hackenberg von der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen. „Der Wandel zur Elektromobilität und die Entwicklung zum autonomen Fahren erfordern in vielen Unternehmen eine Anpassung des Produkt- und Dienstleistungsspektrums. Zulieferunternehmen sind gut beraten, wenn sie sich frühzeitig mit alternativen Fahrzeugkonzepten auseinandersetzen und analysieren, welche Produkte und Dienstleistungen für die Mobilität von morgen gebraucht werden. Hier gibt es interessante Marktperspektiven für südwestfälische Automobilzulieferer“, ist Hackenberg überzeugt.
Risiko Strukturwandel
„Der Strukturwandel ist gleichermaßen Chance und Risiko für die Zulieferer. Einerseits sind hiesige Unternehmen bei technischen Lösungen ganz vorne mit dabei, etwa bei der Ladetechnik, der Energieumwandlung und -verteilung. Andererseits fallen Experten zufolge etwa 30 Prozent der Teile weg, die am Verbrennungsmotor hängen, also neben dem Motor und seiner Steuerung auch Getriebe, Abgassysteme, Tank und Leitungen. Das trifft insbesondere viele metallverarbeitende Betriebe, die ganz überwiegend Einzelteile zu diesen Komponenten fertigen. Diese Unternehmen werden sich also neue Anwendungen und neue Märkte für ihre Produkte suchen müssen“, zeichnet Thomas Frye, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik, Innovation und Umwelt, bei der IHK Arnsberg an Veränderungen auf. Hilfestellung beim Wandel sei etwa durch das 2011 gegründete Kompetenzzentrum Fahrzeug-Elektronik (KFE) in Lippstadt möglich, zeigt Frye auf. Das Zentrum wird von zehn Gesellschaftern getragen und unterstützt Unternehmen der Automobilbranche dabei, „Forschungen im Verbund zu nutzen und sich damit neue Potenziale in der Elektromobilität zu erschließen.“ Wesentliches Ziel ist es, Unternehmen und Wissenschaft zusammenzubringen und die industrielle Forschung voranzutreiben. Frye hat auch an einer von den südwestfälischen Industrie- und Handelskammern initiierte Befragung der südwestfälischen Automotive-Zulieferer mitgewirkt, die deutlich macht, dass viele Unternehmen besonders im Segment Hybridtechnik Chancen für die Zukunft sehen. Auch in der Entwicklung der Elektromobilität sehen 36 Prozent der befragten Automotive-Zulieferer eher Chancen für ihr Unternehmen. Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen sieht hingegen weder bei der Hybridtechnik noch in der Elektromobilität besondere Potenziale.
Wandel trifft Zulieferer
Klar ist dabei, dass der Wandel zur Elektromobilität vor allem auch die Autozulieferer betrifft – und damit einen der wichtigsten deutschen und südwestfälischen Wirtschaftszweige. Rund zwei Drittel der Technik in einem Fahrzeug stammen laut dem Verband der Automobilindustrie von Zulieferern; rund 300.000 Menschen haben bei den überwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen Arbeit. Der Gesamtumsatz der Branche belief sich laut Verband der Automobilindustrie 2016 auf gut 76 Milliarden Euro.
Viele Zulieferer haben sich auf einige wenige Bauteile spezialisiert: Sie entwickeln Kolben, Spezialdichtungen oder Ventile auf technisch höchstem Niveau. Jahrzehntelang hat ihnen das gute Geschäfte beschert. Künftig aber könnte ein Großteil dieser Bauteile schlichtweg nicht mehr gebraucht werden. Vor allem Getriebe und Motor, bisher die technisch anspruchsvollsten Teile eines Autos, seien bei Elektrofahrzeugen weniger komplex, sagt Daniel Duwe, Mobilitätsexperte am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart: „Während Sie bei einem konventionellen Verbrennungsmotor von über 1.000 Bauteilen ausgehen müssen, reduziert sich diese Anzahl signifikant bei Elektromotoren.“
Ausweichfelder vorhanden
Die meisten aktuellen Studien sind sich daher einig: Der Branche der Zulieferer stehen harte Zeiten bevor. Vor gut einem Jahr warnte der Deutsche Anwaltverein, zehn Prozent der Unternehmen, die vom Verbrennungsmotor abhängen, seien von einer Pleite bedroht.
Gut, dass sich neben der Elektromobilität mit der Digitalisierung des Alltags ein weiteres Betätigungsfeld öffnet. Fahrzeuge werden immer stärker miteinander digital vernetzt und in Zukunft untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur (Ampeln oder Straßenschilder) kommunizieren. Digitale Dienste und Anwendungen in Fahrzeugen sollen Autofahrer unterstützen, um das Fahren komfortabler, sicherer und effizienter zu gestalten. Die so genannten Connected-Car-Dienste bieten ein großes wirtschaftliches Potenzial: Was heute noch bei 30 Milliarden Euro „dümpelt“, ist im Jahre 2020 stattliche 170 Milliarden Euro wert. Reinhold Häken
| redaktion@regiomanager.de

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