Der weltberühmte italienische Tenor Andrea Bocelli hatte ernsthafte Konkurrenz um seine prominente Stellung, als der Roboter YuMi gemeinsam mit ihm auf der Bühne des voll besetzten Teatro Verdi von Pisa auftrat, um das Lucca Philharmonic Orchestra zu dirigieren. „Heute schreiben wir Geschichte – und wir beschreiben die Zukunft der Roboteranwendungen“, sagte Ulrich Spiesshofer von ABB: „YuMi beweist, wie intuitiv und lernfähig eine Maschine sein kann, und wie schnell sich eine solche Technik einrichten lässt – innerhalb weniger Tage ist der Roboter in der Lage, ein Orchester zu dirigieren“. Deutlich wurde, dass unglaubliche Fortschritte gerade im Bereich der Bedienbarkeit gemacht wurden. Robotersysteme lassen sich nun erheblich einfacher in vorhandene Teams, Warenlager und sogar in ein Orchester einfügen.
Noch bleibt die Dirigententätigkeit ein Clou, aber in der Logistik, der Landwirtschaft, der Medizin, im Einzelhandel oder in der Kundeninformation arbeiten Mensch und Maschine zunehmend Hand in Hand. Der digitalen Transformation mit Robotik und Automation kommt eine Schlüsselrolle zu: „Demographie und Digitalisierung bieten in den nächsten Jahrzehnten für Deutschland die einmalige Chance, Innovation, Qualifikation und Wettbewerbsfähigkeit zu einer positiven Allianz von wirtschaftlicher Stärke und sozialer Solidarität zu verbinden“, sagt Dr. Horst Neumann vom Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit (IGZA). „Eine beschleunigte Digitalisierung und daraus folgende Produktivitätssteigerungen sind zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig und bilden die Basis der Finanzierung von Infrastruktur, Bildungs- und Rentensystem“, ist er überzeugt.
Hochkonjunktur durch internationale Nachfrage
Auch Norbert Stein, Vorstandsvorsitzender des VDMA-Fachverbands Robotik und Automation, sieht die Automation innerhalb der Maschinenbauindustrie überproportional wachsen. Ursache für die Hochkonjunktur der Branche sei das international steigende Interesse an der Robotik und Automation, das sich auf Industrie- und Servicerobotik, Montageanlagen, industrielle Bildverarbeitungssysteme und Komponenten fokussiere. Zentral für die Modernisierung der im harten Wettbewerb um die Weltmärkte stehenden Industrie seien die digitale Transformation in der Fertigung, die Mensch-Roboter-Kollaboration und die Servicerobotik, so Stein. Die deutschen Unternehmen sieht er auf diesen Feldern gut aufgestellt: „Im weltweiten Wettlauf, die Industrie zu modernisieren, profitieren die Marktteilnehmer aus Deutschland von einer robusten Konjunktur. Unsere Branche schaut mit Optimismus in die Zukunft.“ Der Exportanteil der deutschen Robotik und Automation steige kontinuierlich und habe 57 Prozent im Jahr 2016 erreicht. „Serviceroboter erobern gerade die Welt der Logistik, die den größten Wachstumsbereich der Branche und damit mehr als die Hälfte des Gesamtmarktes ausmacht“. Die Zahl der verkauften Serviceroboter in der Logistik hat allein 2016 um mehr als 30 Prozent zugenommen.
Basis für wirtschaftliche Produktion
Automatisierung ist die Basis für eine wirtschaftliche und sichere Produktion gerade in Hochlohnländern wie Deutschland. Sowohl der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) als auch der Fachverband Robotik und Automation im Deutschen Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) präsentieren optimistische Entwicklungszahlen. Der Weltmarkt Automation legte 2015 ein Ergebnis von 453 Milliarden Euro vor, was einem Wachstum von vier Prozent entspricht, bilanziert ZVEI.
Am deutlichsten stiegen der chinesische und der US-amerikanische Markt mit jeweils fünf Prozent. Dabei stellt der chinesische Markt weiter den Mammutanteil am Weltmarktvolumen, etwa 40 Prozent entfallen auf den asiatischen Protagonisten. Nach einem sehr guten Jahr 2017 mit Wachstumsraten von 7,2 Prozent im Umsatz und von 2,3 Prozent im Auftragseingang blickt auch die deutsche Automationsbranche optimistisch in die Zukunft.
„Mechanicus“: der Blick zurück
Ein Blick zurück: Als Edmund Lee 1745 eine Konstruktion schuf, die dafür sorgte, dass sich Windmühlen in den Wind drehen konnten, sei das Zeitalter der Automation eingeläutet worden, sind einige Historiker überzeugt. Andere sehen das Jahr 1785 mit der Erfindung des vollmechanisierten Webstuhls durch Edmond Cartwright als Auftakt. Vielleicht begann es aber auch drei Jahre später, als James Watt die Dampfmaschine mit Fliehkraftregler und Sicherheitsventil entwickelte, oder 1833, als Samuel Morse den elektromagnetischen Schreibtelegrafen baute. Nicht zu vergessen das Jahr 1941, in dem Konrad Zuse seinen Z3-Rechner und damit den ersten „Computer“ präsentierte.
Andere Automatisierungs-Theorien sind viel älter, führen in die Antike. Schon damals beschäftigen sich die Menschen mit der Frage, wie sich Abläufe automatisieren lassen. Als einer der Pioniere der frühen Automation gilt Heron von Alexandria. Berühmt wurde der als „Mechanicus“ bezeichnete Erfinder durch seine Konstruktion eines Türöffnungsmechanismus in einem alexandrinischen Tempel. Während die Gläubigen voller Ehrfurcht dachten, Wunderwerke der Götter zu erleben, war es intelligente menschliche Kunst, nämlich das Zusammenspiel von Feuer und Wasser und die damit verbundene Ausdehnung von Luft, die dafür sorgte, dass die Tempeltüren sich „automatisch“ öffneten und schlossen.
Natürlich steht auch die Dampfmaschine als echte Revolution in der industriellen Produktion. Die Kraft von Menschen oder Tieren war kein begrenzender Faktor mehr. In der zweiten industriellen Revolution kam der Einsatz des Fließbandes hinzu. Speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) läuteten die dritte Phase ein. Letztlich ist auch die derzeitige Stufe der Automation – Industrie 4.0 – die bemerkenswerte Weiterentwicklung einer Grundidee, die zu den Anfängen der europäischen Zivilisation zurückführt. Während früher die einzelne Maschine im Fokus stand, ist es nun die Vernetzung, auf die alles ankommt. „Die Automatisierungstechnik ist die Triebfeder für innovative und effiziente Produktionsprozesse in allen Bereichen der industriellen Fertigung und Prozessautomatisierung. Sie ist das zentrale Nervensystem aller Industrie- und Infrastrukturanlagen und vernetzt Augen und Ohren, Gehirn und Muskeln moderner Produktionsanlagen“, ist ZVEI-Vizepräsident Gunther Kegel überzeugt.
Wachstumsplus
Auch er sieht die Chancen für Unternehmen in der Automation; nachhaltigen Erfolg mit dem Angebot neuer Produkte und Systeme zu erzielen, sollte jedoch ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden. Klar ist: Bei einem Jahresumsatz von 47 Milliarden Euro repräsentiert die Automatisierungsindustrie mehr als ein Viertel der deutschen Elektroindustrie. Für das laufende Geschäftsjahr prognostiziert der VDMA ein Wachstumsplus von elf Prozent. Das Umsatzvolumen der drei Segmente – Robotik, Integrated Assembly Solutions und industrielle Bildverarbeitung – stieg allein auf 13,7 Milliarden Euro. Das Deutschlandgeschäft bleibt mit einem Umsatzanteil von 43 Prozent größter Einzelmarkt, beim internationalen Absatz sind Europa mit einem Anteil von 30 Prozent, China mit zehn Prozent und Nordamerika mit neun Prozent die größten Wachstumstreiber. Der Exportanteil der deutschen Robotik und Automation steigt auf 57 Prozent. Die Automobilindustrie bleibt der größte und wichtigste Kunde von Robotik und Automation. Weitere Wachstumschancen werden auch in der Metallindustrie, der Kunststoffindustrie, der Medizintechnik und der Nahrungsmittel- und Verpackungsindustrie gesehen.
Nach den jüngsten Zahlen des Weltroboterverbands, International Federation of Robotics, liegt Deutschland mit einem Bestand von 189.400 Industrierobotern weltweit auf Rang 5. In Stückzahlbetrachtung legte die Produktion um 21 Prozent zu.
Zwischen 2011 und 2016 erhöhte sich die Anzahl der in Deutschland produzierten Roboter um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr. Der Export erhöhte sich im gleichen Zeitraum um acht Prozent pro Jahr. „Unsere Branche schaut mit Optimismus in die Zukunft“, sagt Dr. Norbert Stein.
Das nimmt auch die Musikbranche für sich in Anspruch: „In den nächsten 40 bis 50 Jahren sehe ich keine Chance, dass ein Roboter die Arbeit eines Dirigenten ersetzen könnte“, ist Professor Harald Jers von der Musikhochschule Mannheim überzeugt. Ein Dirigent gehe auf das Spiel des Orchesters ein und denke dann die nächsten Schritte voraus. Mit diesen menschlichen Vorteilen könnte es jedoch eng werden: „YuMi“ musste für seinen Einsatz nur 17 Stunden lang programmiert werden. Der Weg zu mehr ist frei. Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de
Teilen: