Mit gutem Recht könnte man Familienunternehmen als das Rückgrat der deutschen Wirtschaft bezeichnen: Rund 90 Prozent aller Firmen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen werden von Familien geführt oder kontrolliert – und das oft schon Jahrzehnte, manchmal sogar Jahrhunderte. Sie machen fast 50 Prozent des Umsatzes aller deutschen Unternehmen aus und stellen weit über 50 Prozent aller Beschäftigten. Dem Begriff „Familienunternehmen“ haftet automatisch etwas Bodenständiges, Überschaubares – ja Mittelständisches – an. Stimmt aber nur bedingt. Sicher, der größte Teil von ihnen ist per definitionem Mittelständler, denn sie knacken die 50-Millionen-Euro-Umsatzgrenze nicht. Auf der anderen Seite gibt es laut Stiftung Familienunternehmen in Deutschland mehr als 170 Umsatzmilliardäre unter ihnen – so viele wie in kaum einer anderen Industrienation. Die Superlative lassen sich fortsetzen: Nimmt man die 500 größten deutschen Firmen in Familienhand zusammen, erwirtschaften sie weltweit mehr als 1 Billion (!) Euro. Ganz vorne dabei sind Giganten wie Volkswagen, BMW oder Aldi. Dazu passt auch diese – vielleicht etwas überraschende – Tatsache: Fast die Hälfte aller börsennotierter Unternehmen gehört Familien! Was wiederum für eine eher bodenständige Denke spricht: Im Vergleich mit Nicht-Familienunternehmen sind diese Firmen weitaus weniger verschuldet und haben eine viel höhere Eigenkapitalquote. Zumindest die größeren Familienbetriebe scheinen zudem ein wahrer Jobmotor zu sein: Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass diese ihre Belegschaft in den letzten Jahren kontinuierlich ausbauten, während die gesamte Wirtschaft Arbeitsplätze abbaute – besonders in der Finanzkrise zeigte sich hier große Solidität. Die Stiftung Familienunternehmen kommt zum Beispiel zu folgendem Resultat: Im Vergleich mit den DAX-27-Unternehmen (ohne Familienunternehmen) haben die 500 mitarbeiterstärksten deutschen Familienunternehmen im Zeitraum 2006 bis 2012 ihre Stellen um elf Prozent ausgebaut, während die DAX27-Unternehmen (ohne Familienunternehmen) ihre Inlandsbeschäftigung um mehr als sieben Prozent reduzierten.
Eigentum verpflichtet?
Das Charakteristische, das alle Familienunternehmen – egal ob Drei-Mann-Betrieb oder internationaler Konzern – verbindet: Eigentum verpflichtet. Gerne wird dieser Umstand in Fachliteratur und Medien angeführt, um Familienfirmen eine längerfristige Management-Denke zu unterstellen. Entscheidungen, die nur kurzfristig den Gewinn erhöhen, werden demnach seltener getroffen. Und es gibt nicht die Interessenskonflikte eines externen Managers, der bei Entscheidungen möglicherweise sein eigenes Wohl dem des Unternehmens vorzieht. Dem kann man entgegenhalten, dass familiäre Traditionen die Managementbeschlüsse zu stark beeinflussen können: Aus Pflichtgefühl gegenüber früheren Generationen reagiert der Lenker eines Familienunternehmens womöglich zu unflexibel oder langsam auf ein neues Marktumfeld. Wenn das Management zudem über Generationen hinweg ausschließlich aus Familienmitgliedern besteht, kann dies auch das Know-how einschränken – vor allem, wenn der Nachwuchs keine vernünftige betriebswirtschaftliche Ausbildung hat. Der milliardenschwere US-Investor Warren Buffett hat das mal so ausgedrückt: „Das ist so, als würde man die Olympia-Mannschaft für 2020 aus den ältesten Söhnen der Goldmedaillengewinner des Jahres 2000 zusammenstellen.“ Ökonomen, die die Performance von inhabergeführten Unternehmen untersuchen, zeichnen ein sehr differenziertes Bild. Pauschal kann man jedenfalls nicht sagen, dass Familienunternehmen generell leistungsstärker sind. Die Performance hängt zum Beispiel davon ab, ob die Gründergeneration noch im Boot ist, welche Marktphase man betrachtet oder ob das Unternehmen börsennotiert ist.
Spannendes Forschungsfeld
Es gibt zahlreiche Institutionen in Deutschland, die das Phänomen Familienunternehmen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Als politische Interessenvertretungen machen das neben den großen Wirtschaftsverbänden die Stiftung Familienunternehmen und der Verband Die Familienunternehmer – ASU. Wissenschaftlich setzen sich (neben der Stiftung Familienunternehmen) u.a. damit auseinander das IFF Institut in Stuttgart, das INTES Institut für Familienunternehmen in Vallendar, das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn und das Wittener Institut für Familienunternehmen an der Universität Witten/Herdecke. Das Forschungsspektrum dieser Einrichtungen ist riesig. Sie untersuchen zum Beispiel, wie Führungsstrategien in Familienunternehmen aussehen, wie die Nachfolge geregelt wird oder wie Konflikte gemanaged werden. Eine der wichtigsten Fragestellungen ist, wie sich Familienbetriebe global aufstellen bzw. welche Internationalisierungsstrategien sie fahren. Dass es speziell hier noch große Unterschiede zu Nicht-Familienunternehmen gibt, zeigen allein folgende Zahlen: Während über 70 Prozent der Beschäftigten in Familienunternehmen in Deutschland arbeiten, sind es in DAX-Unternehmen lediglich 38 Prozent. Es lohnt sich also, den Mythos Familienunternehmen noch genauer unter die Lupe zu nehmen.
Thomas Corrinth I redaktion@regiomanager.de
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