Bei voller Fahrt komplett ausgebremst. Das Corona-Virus mitsamt dem damit einhergehenden Shutdown hat viele Unternehmen ungewollt in einen Ruhezustand versetzt: Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit oder ins Homeoffice geschickt, die Produktion stand teilweise ganz still. Unsere Welt, die sich vormals immer schneller gedreht hat, immer überfordernder wurde, hat auf einmal komplett an Tempo verloren. „So eine rasende Entschleunigung ist ganz und gar einzigartig“, sagt der Soziologe Hartmut Rosa, der bekannt ist für seine Studien zur Beschleunigung der Arbeits- und Lebenswelt. Es käme einem so vor, als hätte jemand von außen Bremsen an ein Hamsterrad gelegt.
Ohne die Probleme, welche die Pandemie mit sich bringt, kleinzureden, betrachten nicht wenige Menschen die Corona-Krise daher auch als Chance. Zwingt das Virus uns doch zu etwas, was sich viele im Wahn des Business- und gesellschaftlichen Geschehens, der ständigen Erreichbarkeit, des Immer-Schneller, Immer-Weiter vielfach gewünscht haben: zu entschleunigen. Denn viele fühlen sich überfordert vom Tempo der heutigen Arbeitswelt. „Die Erwartungen an Leistung und ständige Erreichbarkeit sind enorm“, bestätigt Ulrike Reiche, Expertin für Entschleunigung und Autorin des Buches „Slow Work | Slow Life“. Sogar Entspannung sei heutzutage auf maximale Leistung ausgelegt. „Powernaps sollen schnell wieder fit machen, und selbst in der Freizeit herrscht ein sozialer Druck, dynamisch und aktiv zu sein“, so Reiche. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr Menschen einem Burnout erliegen. Psychische Diagnosen zählen mit zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit.
Zeit für Reflexion
Doch fängt das Hamsterrad nicht an, sich erneut rasend schnell zu drehen, sobald die Bremsen wieder weg sind? Und wie ist Entschleunigung möglich, wenn das Business wieder in vollem Gange ist? Die Chance der Corona-Krise liegt wohl darin, dass wir ganz auf uns zurückgeworfen wurden und vieles überdenken konnten. Denn letztlich bedeutet Entschleunigung auch, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, ob die Abläufe im eigenen Lebens- und Berufsalltag einem auch guttun. Folglich sollte Zeit für Reflexion auf jeden Fall auch abseits von Krisen eine Rolle spielen.
Für Volkmar Helfrecht, Vorstand der HelfRecht Unternehmerische Planungsmethoden AG, sind regelmäßige Auszeiten, um darüber nachzudenken, was war, vorauszuschauen, was kommt, und zu entscheiden, was einem wirklich wichtig ist, eng mit einem guten Zeitmanagement verbunden. Er empfiehlt verschiedene Planungs-Auszeiten: täglich ein- oder zweimal fünf Minuten, monatlich drei bis vier Stunden sowie jährlich ein bis zwei Tage.
„Solche Routinen geben uns Kraft und Sicherheit. Wir behalten unsere persönlichen Ziele im Fokus und erkennen wieder das Wesentliche. Gerade in schweren Phasen, die einem schon mal das Gefühl der Aussichtslosigkeit vermitteln können, sind es solche kurzen Reflexionen, die einem dabei helfen, wieder klar zu denken und souverän zu entscheiden“, sagt Helfrecht.
Auszeiten im Alltag
Doch oftmals sind es auch nur kleine Dinge, die dabei helfen, zu entschleunigen. Laut Helfrecht ist es zum Beispiel wichtig, jedem Tag den richtigen Anfang zu geben. „Wer morgens schon vor dem Aufstehen zum ersten Mal den Maileingang abruft, braucht sich über Hektik und atemlose Taktung seiner Tage nicht zu wundern“, sagt er. Seine Empfehlung: den Tag mit Aktivitäten zu beginnen, die einem guttun. „Erzwingen Sie das Tempo nicht, steigen Sie angemessen in Ihren Tag ein“, so sein Plädoyer.
Auch im Laufe des Tages kommt es darauf an, das Tempo immer wieder zu drosseln. Hierfür ist es wichtig, regelmäßig Pausen zu machen (siehe Kasten). Zudem ist es sinnvoll, gemeinsam mit dem Team zwischendurch innezuhalten. Die HR-Pioneers, ein Beratungskollektiv für agiles Personalmanagement mit Sitz in Köln, das selbst auch agil arbeitet, geht da vorbildlich voran: Die Mitarbeiter haben es sich u. a. zur Regel gemacht, am Ende eines jeden morgendlichen Stand-ups kurz innezuhalten. „Ein Mitarbeiter stellt eine Frage, welche die Aufmerksamkeit aller Teilnehmer jeweils auf sich selbst lenken soll. Zum Beispiel: ‚Was kann ich mir heute Gutes tun?‘ Danach folgt eine Minute Stille“, erzählt Agile Management Consultant Michael Terstesse. Auch in längere Meetings bauen die HR-Pioneers kleine Achtsamkeitsübungen ein: „Wir starten die Zusammenkunft mit einer Check-in-Frage, die jeder beantwortet, etwa ‚Was ist mir in den letzten Tagen besonders gut gelungen?‘ Beendet wird das Meeting mit einem Check-out à la ‚Was habe ich heute gelernt?‘“ Diese vermeintlich kleinen Dinge bewirken nach Überzeugung von Michael Terstesse am Ende Großes: Neben einer spürbaren Entschleunigung wird der Weg zu einer gesundheitsförderlichen Kultur
geebnet.
Petra Walther | redaktion@regiomanager.de
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