„So werden die Straßen der Zukunft aussehen“, prophezeite Konrad Adenauer. Der Autofan und Oberbürgermeister der Stadt Köln, sein Bonner Pendant Wilhelm Lürken und Landeshauptmann Horion feierten am 6. August 1932 die Fertigstellung der 20 Kilometer langen Kraftwagenstraße zwischen Köln und Bonn. Die heutige A555 sollte die „volle Entfaltung der raumüberwindenden Kraft des Kraftfahrzeugs“ möglich machen, war exklusiv für Kraftwagen und hatte eine kreuzungsfreie Führung sowie Richtungsfahrbahnen mit Überholmöglichkeit. Diesen Sommer feierte sie ihren 90. Geburtstag, Teile der „Diplomatenrennbahn“ stehen unter Denkmalschutz. Der „Methusalem“ bereitet die gleichen Sorgen wie seine Nachfolger: Immer wieder müssen Fahrbahnen und insbesondere Brückenbauwerke „ertüchtigt“ werden; nur so können sie der wachsenden Verkehrsbelastung weiter standhalten. Jede zehnte Autobahnbrücke im Autobauerland Deutschland ist laut Bundesverkehrsministerium sanierungsbedürftig.
Rosig auf die lange Bank
Dafür zuständig ist seit dem 1. Januar 2021 die Autobahngesellschaft des Bundes. Zuvor lagen der Betrieb, der Erhalt, der Ausbau und die Finanzierung der Autobahnen im Zuständigkeitsbereich der Länder – eine klassische Fehlbesetzung, meinen viele. Der Zustand der Straßen und Brückenbauwerke wurde jahrelang sehr viel rosiger dargestellt, als er tatsächlich war. Mit diesem Trick konnte die Sanierung immer wieder auf die lange Bank und insbesondere in die kommenden Legislaturperioden verschoben werden.
28.000 Autobahnbrücken
Allerdings sind die Aufgaben auch immens: 830.000 Kilometer umfasst das deutsche Straßennetz, mehr als 51.000 Kilometer davon zählen zum Bundesfernstraßennetz. In dieser Klassifikation gibt es rund 28.000 Autobahnbrücken. Sie bereiten die meisten und teuersten Probleme. Erbaut wurden die meisten Straßen und insbesondere die Brücken zwischen 1965 und 1985. Viele dieser Bauwerke erreichen in den kommenden Jahren das Ende ihrer Lebensdauer, die eigentlich auf etwa 100 Jahre ausgelegt ist. Doch bei der Planung und beim Bau ahnte niemand die Entwicklung auf Deutschlands Straßen: 2010 wurden 3,12 Milliarden Tonnen Güter auf ihnen bewegt, 2030 sollen es 3,63 Milliarden Tonnen sein. Seit 1956 hat das Gesamtgewicht der Lkw von 24 auf 40 beziehungsweise 44 Tonnen im kombinierten Verkehr zugenommen, die Achslasten stiegen von 8,0 im Jahr 1956 auf nunmehr 11,5 Tonnen.
Größte Verkehrsströme in NRW
Nordrhein-Westfalen hat wohl das größte Problem mit maroder Verkehrsinfrastruktur, denn hier wurden seit dem Wirtschaftswunder besonders viele Straßen gebaut. Die durchschnittliche Verkehrsbelastung liegt mit mehr als 61.000 Fahrzeugen täglich 22 Prozent über dem Bundesdurchschnitt (50.000). An Rhein und Ruhr werden 20 Prozent der gesamten Fahrleistung Deutschlands erbracht. Doch machen nicht nur die Autobahnen Sorgen, auch der Zustand der Bundesstraßen erinnert an kranke Patienten. Dort wird jeder dritte Kilometer als „schlecht“ oder „sehr schlecht“ eingestuft. Im Landesstraßennetz gilt diese Einschätzung für mehr als die Hälfte der Straßen. Die Wertverluste infolge starker Beanspruchung der Straßen, Alterungsprozessen und Extremwetters wie Hitze und Starkregen beziffert das statische Bundesamt auf 14,8 Milliarden. „Wir müssen die Anzahl der jährlich zu erneuernden Brücken von 200 auf 400 verdoppeln”, resümierte Stephan Krenz, Vorsitzender der Geschäftsführung der Autobahn GmbH, nach einer ersten Inventur. Schritt zwei war die Bildung einer „Brücken-Task-Force”, der dritte der Ruf nach vielen Neubaumilliarden.
Rahmede-Verkehrschaos
Die werden dringend nötig sein, denn immer deutlicher wird der Investitionsstau, der quasi über Nacht auch greifbar wurde, als am 2. Dezember 2021 das Flüsschen „Rahmede“ im Sauerland zum Synonym für Verkehrschaos werden sollte. Die Sauerlandlinie ist seit diesem Tag zwischen Lüdenscheid und Lüdenscheid-Nord komplett gesperrt, Verformungen im Stahlüberbau der Talbrücke sind nicht zu reparieren. Die Brücke soll noch in diesem Jahr gesprengt werden und Platz machen für ihren Nachfolger. Zunächst hatte die Autobahn GmbH die Dauer des Neubaus auf fünf Jahre geschätzt. Mittlerweile gehen die beteiligten Behörden jedoch davon aus, dass die Planungsverfahren für den sechsspurigen Neubau mithilfe einer funktionalen Ausschreibung beschleunigt werden können: Bauplanung und Umsetzung sollen in einer Hand liegen, um Synergieeffekte zu erzeugen. Vorbild für den Neubau soll die Morandi-Brücke in Genua sein, die nach zwei Jahren fertiggestellt wurde.
Das ist für die betroffene Region eine lange Zeit: Ein halbes Jahr nach der Sperrung der Brücke beläuft sich der volkswirtschaftliche Schaden nach Berechnungen des Institutes der Deutschen Wirtschaft auf mindestens 180 Millionen Euro. In dieser Zeit quälen sich 1,8 Millionen Pkw und 770.000 Lkw über die Umleitungsstrecke quer durch die Straßen Lüdenscheids, sorgen für Stau, Lärm, Gestank. „Der Schaden für die Region wächst mit jedem einzelnen Tag, an dem die Brücke nicht befahren werden kann. Das schwächt schon jetzt die Wettbewerbsfähigkeit des gesamten südwestfälischen Wirtschaftsraumes, der so völlig unverschuldet in eine kritische Situation geraten ist“, unterstreicht der Präsident der IHK Siegen, Walter Viegener.
Zügig neue Brücke bauen
„Unser Ziel ist es, so schnell wie möglich eine neue Brücke zu bauen. Dafür arbeiten wir mit Hochdruck parallel auf allen Ebenen. Dabei müssen wir uns im gesetzlichen Rahmen bewegen und mit allen Betroffenen Einvernehmen erzielen“, hat Stephan Krenz die Nachricht verstanden. Aber er weiß, dass an der A45 zwischen Dortmund und der hessischen Landesgrenze in den kommenden Jahren bereits 38 Talbrücken neu gebaut werden. Hinzu kommen fünf Rheinbrücken von Duisburg bis Bonn, die ebenfalls komplett neu errichtet werden müssen. Der ADAC drängt auf zügige Realisierung und verweist darauf, dass Prognosen der Vergangenheit nicht mehr gelten. „Der Zustand der Brücken aus den 60er- und 70er-Jahren verschlechtert sich offenbar noch schneller, als man bisher gedacht hat.“ Rahmede habe 2017 noch die Note drei bekommen und sei jetzt „absoluter Problemfall“. Beim ADAC fordert man deshalb engmaschigere Brückenprüfungen sowie massive Investitionen. „Es darf jetzt nicht zu einem Domino-Effekt kommen, wo in NRW eine Brücke nach der anderen gesperrt werden muss.“ Doch NRW ist nicht das einzige Bundesland, das es als eine gute Strategie erachtet hat, sich vor langwierigen Sanierungen zu drücken. Die neue Autobahngesellschaft ist auch von den Untersuchungsergebnissen aus Hessen überrascht. Dort dürfte in den kommenden Jahren insbesondere die Rhönlinie A7, die sich über viele Mittelgebirgstäler spannt, erheblichen Ärger bereiten.Reinhold Häken
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