Zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in den globalen Märkten ist neben der Rationalisierung der Produktion unter einem Dach die Verringerung der Fertigungstiefe, also die Verlagerung betrieblicher Prozesse auf externe Zulieferer und Dienstleister, ein maßgebliches Instrument der Unternehmensorganisation in unserer Zeit.
Die Nutzung solch interner als auch externer Spezialisierungs- und Rationalisierungsoptionen erschließt dem Betrieb oftmals deutliche Kosteneinsparungspotenziale, was jedoch zugleich mit Risiken verbunden sein kann. Im zunehmend arbeitsteiligen Umfeld rückt die notwendige Identifizierung und Bewertung solcher Risiken verstärkt in den Fokus.
Analyse von internen und externen Abhängigkeiten
Eine Analyse von Unterbrechungsrisiken basiert zunächst auf der Erhebung der technischen Zusammenhänge innerhalb der Produktion. Zur hierfür notwendigen Bestimmung der internen Vernetzungen bedarf es einer Untersuchung der Liefer- und Abnahmebeziehungen zwischen den jeweiligen Betriebsstätten bzw. den Betriebsbereichen der leistungsrelevanten Betriebsstätten. Die sich hieraus herleitende strukturelle Darstellung der internen Abhängigkeiten bietet die Grundlage der sich anschließenden Bewertung einzelner Ausfallszenarien. Ein Beispiel aus einem metallverarbeitenden Betrieb: Während der Ausfall im Werk 1 (Weiterverarbeitung von vorgepressten Schrauben in der betriebseigenen Dreherei) sich nur auf das Geschäftsfeld 1 (Schrauben) auswirken kann, zöge eine Störung im Werk 2 (Pressen) eine Beeinträchtigung beider Geschäftsfelder (Schrauben und sonstige Befestigungselemente) nach sich.
Werden Randkompetenzen des Betriebs hingegen an externe Zulieferer outgesourct, so ist auch dieses mit Risiken für den Produktionsprozess verbunden:
– Die verstärkte Nutzung externer Produktionskapazitäten erhöht die Abhängigkeiten von den Lieferanten und deren oftmals kaum beeinflussbare Risikopolitik – exponiert im Falle des sogenannten Single Sourcing, das heißt der Konzentration auf nur einen Zulieferer
– Infolge der Verringerung der eigenen Lagerbestände wirken sich Lieferprobleme der Zulieferer schneller auf die vermehrt gesteuerte Produktion aus, wodurch das Risiko eigener Betriebsstörungen zunimmt
– Die sich ausdehnende Komplexität des Beschaffungsnetzwerkes verstärkt die Anforderungen an das Beschaffungs- und Beziehungsmanagement
Wie bei der Betrachtung der internen Produktionsstruktur bedarf auch die Untersuchung von Zuliefererrisiken zunächst einer umfänglichen Erhebung der Lieferanten und der mit diesen verbundenen eigenen Geschäftsfeldern. Hierbei stehen üblicherweise zunächst kaum ausreichende Daten zu den Produktions- und Risikogegebenheiten des Lieferanten zu Verfügung, sodass diese im Falle erkennbarer maßgeblicher Abhängigkeiten zusätzlich beleuchtet werden sollten. Ein Beispiel aus dem Risikoumfeld eines Molkereibetriebes: Eine Störung des Zuliefererbetriebs für Kunststoffbehälter zieht im Molkereibetrieb Beeinträchtigungen in beiden Geschäftsfeldern (Joghurt und Sahneproduktlinien) nach sich, da sämtliche Produktlinien elementar von der Zulieferung der unterschiedlichsten Behälter abhängen.
Maßgebliche Auslöser von Betriebsstörungen
– Feuer-/ Explosionsgefahren: Im Sinne des „worst-case-Gedanken“ sollten hierbei sowohl mögliche Erfolge von Brandbekämpfungsmaßnahmen (z. B. Feuerwehreinsatz und das Auslösen von Sprinkleranlagen) als auch die Wirksamkeit von baulichen Maßnahmen (Brandwände etc.) außer Acht gelassen werden.
– Elementargefahren wie Sturm- und Überschwemmungsereignisse oder Erdbeben: Zur Einschätzung der Gefahrenpotenziale für einzelne Standorte lassen sich Analysen von Rückversicherern heranziehen, deren statistische Aussagekraft jedoch potenzielle Restrisiken letztlich nicht ausschließt.
– Menschliches Versagen, z. B. Fehlbedienung von Engpassmaschinen
– Streik, politische Unruhen
– Insolvenzen sowohl auf Zulieferer- als auch auf Abnehmerseite
– Behinderungen innerhalb der Zulieferer-Logistik (zum Beispiel witterungsbedingte Einschränkungen oder Beeinträchtigungen des Grenzverkehrs als möglicher Auslöser von Ausfallschäden)
Bewertung der Ausfallpotenziale
Aufgrund nicht zur Verfügung stehender Wahrscheinlichkeitsaussagen zum möglichen Eintritt von Betriebsstörungen empfiehlt sich bei der Ermittlung des denkbaren Schadenausmaßes eine Maximalschaden-Betrachtung. Grundlage hierfür ist die Annahme von Szenarien, wie der schadenbedingten vollständigen Zerstörung interner Produktionskomplexe bzw. Zuliefererkapazitäten, die einen maximalen Ertragsschaden (Umsätze abzüglich variabler Kosten) nach sich ziehen. Bei der Einschätzung des zu erwartenden Unterbrechungsschadens nach Eintritt eines solchen Extremereignisses sind insbesondere folgende Fragestellungen von Bedeutung:
– Bestehen z. B. interne oder externe Ausweichmöglichkeiten, mit deren Hilfe sich die ausgefallene Produktion ganz oder zum Teil kompensieren lässt?
– Welche Auswirkungen hat die eingetretene Betriebsstörung auf andere, zunächst originär nicht vom Ereignis betroffene Betriebsteile?
– Bestehen saisonale Einflussfaktoren auf Produktion und Absatz, die bei der Bewertung zu berücksichtigen sind?
– Von welchen technischen und zeitlichen Wiederaufbauszenarien ist auszugehen? Sind ggf. behördliche Genehmigungsverfahren und eventuellen Auflagen zu berücksichtigen, die den Wiederaufbau zeitlich verzögern?
– Von welchem Verhalten der Abnehmer ist bei Lieferstörungen auszugehen? (U. U. ist mit einer Abwanderung und ggf. längerfristigen Bindungen an den Wettbewerber zu rechnen, wodurch sich der Verlust – über die Wiederherstellung der Produktionsstätte hinaus – verlängert.)
Die Auswirkungen der relevanten Einflussfaktoren sind insgesamt für den gesamten Unterbrechungszeitraum zu betrachten. Dabei endet die Unterbrechung mit der Wiedererreichung der Absatzleistung des Betriebes entsprechend der Planung vor Eintritt des Schadenfalls. Aus dieser Untersuchung leiten sich letztlich Schadenpotenziale je untersuchtem Szenario ab, wobei die gewonnenen Erkenntnisse dem Unternehmen als Basis für existenzielle risikopolitische Maßnahmen dienen sollten.
Risikopolitische Maßnahmen
Zur Minimierung erkannter Ausfallpotenziale leiten sich sowohl organisatorische als auch technische Maßnahmen ab, die zur Sicherung der Fortführung der Geschäftstätigkeit unter Krisenbedingungen im Rahmen eines betrieblichen Kontinuitätsmanagement-Plans dokumentiert und nachfolgend fortlaufend aktualisiert werden sollten (Business Continuity Plan). Ein solcher Maßnahmenkatalog beinhaltet beispielhaft:
– den Aufbau von in- oder externen Ausweichmöglichkeiten zur Sicherung der Produktion
– die Auditierung der maßgeblichen Zulieferer (sowohl z. B. durch technische als auch – zur Vermeidung von Insolvenzrisiken Bonitätsbeurteilungen)
– den Auf- bzw. Ausbau räumlicher Trennung wichtiger eigener Betriebsbereiche sowie ggf. Einbringung von Branderkennungs- bzw. Bekämpfungseinrichtungen in besonders sensiblen Bereichen)
– Schutzmaßnahmen zur Minimierung des Elementarschadenpotenzials
– ausreichende Ersatzteilbevorratung als Bestandteil des eigenen Instandhaltungs-Managements
Trotz des Einsatzes solcher Instrumente der Risikominderung verbleibt dem Betrieb ein elementares Restrisiko, welches möglichst weitgehend und entsprechend dem bewerteten Umfang in einer angemessenen Versicherungslösung abgesichert werden sollte (Betriebsunterbrechungs- und „Supply Chain“- Versicherungen). Hierbei bleibt zu beachten, dass Versicherer ihren Kunden verbleibende Restrisiken nicht vollständig abnehmen (zum Beispiel Zulieferinsolvenzen). Insofern gilt: „Nicht alles, jedoch Entscheidendes kann man versichern!“
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