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Plattformökonomie: Amazon als Blaupause?

Die Marktmacht von digitalen Plattformen wächst und wächst. Wie können insbesondere kleine und mittelständische Betriebe an dieser rasanten Entwicklung teilhaben?

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von Regiomanager 02.10.2019
(Foto: ©Africa Studio– stock.adobe.com)

Von sozialen Netzwerken über Vergleichsportale und Suchmaschinen bis hin zu Sharing-Anbietern – digitale Plattformen haben heutzutage viele Gesichter und ihre wirtschaftliche Bedeutung wächst unfassbar schnell: Allein die vier großen Plattformen Google, Apple, Facebook und Amazon (GAFA) haben mittlerweile zusammengenommen eine Marktkapitalisierung, die ungefähr dem deutschen Bruttoinlandsprodukt entspricht. Ihr rasantes Wachstum ist vor allem deshalb möglich, weil sie auf jegliche Produktionskapazitäten verzichten können. Ihr Gut sind schließlich digitale Daten, mit denen sie üppig bei jeder abgewickelten Transaktion verdienen. Hinzu kommen Werbeeinnahmen. Gut gemanagte Plattformen profitieren zudem sehr stark von Netzwerkeffekten. Bei Problemen können Modelle wesentlich schneller angepasst werden als bei traditionellen „Pipeline-Unternehmen“ mit einer linearen Wertschöpfungskette. Letztere müssen bei einem strategischen Wechsel in der Regel auch mehr investieren.

Deutsche Plattformökonomie hat Nachholbedarf

Auch wenn es etwa mit Zalando, Check24 oder Wirecard durchaus bekannte und große Anbieter aus Deutschland gibt – im internationalen Vergleich spielen sie (noch) eine untergeordnete Rolle. Das hat vielschichtige Gründe: „Zunächst einmal sind die großen internationalen Plattformen recht früh gegründet worden, Amazon.com etwa bereits 1994. In dieser Zeit war das Internet bei uns noch gar nicht richtig flächendeckend verfügbar“, erklärt Nils Herda, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen zum digitalen Transformationsprozess in der Wirtschaft herausgebracht. „Als wir dann mit der „New Economy“ die Bedeutung des Internets für Geschäftsmodelle erkannten, wurde die Umsetzbarkeit vieler Ideen enorm überschätzt, die langfristige Bedeutung aber grandios unterschätzt.“ Viele Unternehmen hätten seit dem Platzen der Dotcom-Blase nicht konsequent weiter an ihren Ideen gearbeitet und ihre Geschäftsmodelle an die technologischen Herausforderungen sowie das zu erwartende, veränderte Nachfrageverhalten angepasst. „Auf der anderen Seite haben die USA u. a. mit dem Silicon Valley ein enorm technologiefreundliches Umfeld, gepaart mit hoher Finanzkraft und Umsetzungsexpertise. Das ist bei uns erst so richtig in den letzten zehn Jahren in Gang gekommen“, so Herda.

Mittelständler oft noch orientierungslos

Viele Manager, vor allem von kleinen und mittelständischen Firmen, wissen nicht genau, wie sie mit der Plattformökonomie umgehen sollen. „Vielmehr werden die meisten Unternehmen digitale Plattformen einfach als einen weiteren Absatzkanaltyp begreifen. Aber bereits die vertriebliche Vorgehensweise, wie man die Interessen der eigenen Vertriebsorganisation mit der Partizipation auf konkurrierenden Plattformen wie etwa Amazon Business abzustimmen hat und wie man die Konflikte mit den belieferten Händlern löst, die ebenfalls vermehrt digitale Kanäle nutzen, ist nicht einfach und muss unternehmensspezifisch beantwortet werden“, heißt es dazu im Fachartikel „Plattformökonomie als Game-Changer“, der im Heft 03/18 des „Strategie Journal“ erschienen ist. Die eigene Beteiligung auf den großen digitalen Plattformen hängt unter anderem von den Zielmärkten, dem Grad der Digitalisierung in der jeweiligen Branche und natürlich von den Kundenpräferenzen ab. Einer Präsenz dort könne man sich kaum noch entziehen, glaubt Professor Herda. „Aber die deutschen mittelständischen Unternehmen können etwa selbst digitale Kompetenz aufbauen. Durch eigene Shops als Hersteller können sie den aktuellen Preissenkungstendenzen der Handelsstrukturen begegnen.“ Oder sie schaffen selbst digitale Innovationen: So verkauft die Heidelberger Druckmaschinen AG aus Wiesloch zum Beispiel keine Druckmaschinen mehr, sondern lässt sich von ihren Kunden nach Maschinennutzung bezahlen. „Da sie zudem ihre Kunden bei der Maschinenauslastung technologisch unterstützen, profitieren sie am Ende von der neuen Abrechnungsform“, erklärt Herda.
Nach Ansicht des Experten solle sich ein klassisches mittelständisches Unternehmen, das sich mit der Digitalisierung noch schwertut, einem Strategieprozess stellen und erproben, wie es weiter am Markt erfolgreich sein kann. „Es gibt keine Patentrezepte oder Algorithmen, die ein Unternehmen in die Digitalisierung führen. Viele Erfolgsbeispiele zeigen aber mögliche Wege auf, an denen man sich durchaus orientieren kann. Idealerweise vertraut man hier einem externen Strategieexperten, der sich nachweislich mit den Themen der Digitalisierung auskennt und neue Impulse in das Unternehmen tragen kann“, so Herda. Ganz wichtig dabei sei, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Unternehmensbereichen zusammenzuführen und eine neue digitale Kultur zuzulassen.

Wie sieht die Zukunft der Plattformen aus?

„Die Plattform-Revolution“ gilt als eines der wichtigsten internationalen Bücher zum Thema Plattformökonomie. Die drei US-Amerikaner Parker, Van Alstyne und Sangeet beschäftigen sich in diesem Bestseller aus 2017 auch mit der möglichen Zukunft dieses Geschäftsmodells. Dabei geht es ihnen unter anderem um die Fragen, welche Branchen sich dem Wandel bisher noch relativ erfolgreich entgegenstellen und warum das so ist. Die Autoren stellen fest: Das Bank-, Gesundheits- und Bildungswesen etwa sind sehr stark reguliert, was Start-ups bisher noch abhält. Auch Branchen, in denen die Marktteilnehmer auf Ressourcen und weniger auf Informationen angewiesen sind, erscheinen resistenter – Bergbau und Erdölförderung etwa. Sie konstatieren aber ebenso: „Die Auswirkungen dieser Faktoren werden sich im Laufe der Zeit ändern. Immer mehr Vorgänge und Tätigkeiten werden über das Internet erledigt, daher besitzt jede Branche das Potenzial, zu einer informationsintensiven Branche zu werden.“ Eben auch die bisher weniger plattformaffinen.
„Man denke hier nur an die Recyclingbranche, in der es mit PreZero.com des Discounters Lidl bereits eine eigene digitale Plattform gibt“, nennt Professor Herda als konkretes Beispiel. Oder in der Bankenbranche: Hochspezialisierte Anbieter wie Auxmoney.com (Online-Kreditmarktplatz) oder quirion.de (automatisierte Vermögensanlagen) sprechen vor allem die jüngere Generation an. Eine hinsichtlich der Digitalisierung besonders interessante Branche sei auch die Luxusbranche. „Man könnte meinen, dass für hochwertige und hochpreisige Luxusgüter, wie etwa mechanische Uhren, ein stationäres Ladengeschäft erforderlich sei. Das Gegenteil ist der Fall, wie das Erfolgsbeispiel chronext.com zeigt. Diese digitale Plattform für Luxusuhren aus dem Schweizer Zug verkauft neue Uhren, gebrauchte Uhren bis hin zu hochwertigen Sammlerstücken und überzeugt mit einem breiten Sortiment sowie vorbildlichen Dienstleistungen, sodass sich das Risiko, über das Internet hochpreisige Produkte zu erwerben, minimiert“, so Herda.
Die Plattform-Revolution ist bereits in vollem Gange. Unternehmen sind jetzt gefragt, kreative und humane Lösungen für die gravierenden Veränderungen zu finden, die damit einhergehen. Thomas Corrinth | redaktion@regiomanager.de

INFO

Die Plattform als Geschäftsmodell

Plattformen gewinnen eine immense Marktmacht, ohne, dass die Betreiber selbst mit Waren oder Dienstleistungen handeln. Vielmehr sind Plattformen (reine) Online-Marktplätze. So werden in den App-Stores von Google und Apple Milliardenumsätze mit Apps gemacht, ohne dass die Konzerne selbst als bedeutende App-Anbieter in Erscheinung träten. Amazon handelt zwar auch selbst mit Waren; inzwischen wird ein Großteil des Umsatzes jedoch von Händlern generiert, die Amazon nur als Katalog benutzen, um online besser gefunden zu werden. Die Plattform selbst lebt von Provisionen oder angeschlossenen Dienstleistungen wie etwa Versicherungen, Werbung oder Fullfillment.

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