Kolumne

Parallelwelten: Mit nacktem Oberkörper durch die Tundra

Nur wenige können es sich leisten, den Dresscode im Unternehmen zu ignorieren, weiß Simone Harland.

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von Regiomanager 01.06.2018
Foto: ©Coloures-Pic – stock.adobe.com | Simone Harland

Die Temperaturen steigen, im Freien und auch in den vielen nicht klimatisierten Büros. Manche Mitarbeiter sehen das als Freibrief, sich nach und nach ihrer Kleidung zu entledigen. Erst verschwinden die Jacken, dann werden die Ärmel kürzer, danach die Hosen oder Röcke. Männer, die schweißtreibenden Tätigkeiten im Freien nachgehen, entblößen bei der Arbeit zudem gerne den Oberkörper und zeigen, abhängig vom individuellen Trainingszustand, Waschbrett- oder Waschbärbauch.

Während es auf dem Bau keinen Dresscode im eigentlichen Sinn gibt (Sicherheitskleidung einmal ausgenommen, der Helm bleibt auch bei nacktem Oberkörper auf dem Kopf!), ist das in vielen Betrieben anders. Vor allem in eher konservativen Branchen mit Kundenkontakt oder Publikumsverkehr besteht für Männer Anzugpflicht. Langärmelige Hemden sind ebenfalls ein Muss. Frauen haben es etwas leichter, doch auch ihre Kleidung muss zu den Gepflogenheiten der Branche passen.

An Tagen jedoch, an denen es schon morgens so heiß ist, dass sogar die Vögel anfangen zu hecheln (ja, das können Vögel), lockern auch konservative Unternehmen ihre Kleidungsvorschriften. Das bedeutet in der Regel: Die Herren dürfen ihre Sakkos ablegen und kurzärmelige Hemden tragen, bei den Frauen sind kurzärmelige Blusen oder elegante Shirts ohne zusätzliche Jacke in Ordnung. Kurze Hosen bleiben jedoch verpönt, bei Männern wie bei Frauen. Und Röcke sollten wenigstens so lang sein, dass sie die Knie umspielen. Sandalen sind im Allgemeinen unerwünscht. Eine gewisse Haltung muss schließlich gewahrt werden.

Das gefällt nicht allen. Manche Mitarbeiter entwickeln deshalb kreative Ideen, um den Dresscode zu unterlaufen, machen die Temperaturen am Arbeitsplatz denen einer finnischen Blocksauna Konkurrenz. So erschien 2017 ein junger Brite im Büro in einem Kleid, das eine Handbreit über den Knien endete. Aus Protest darüber, dass sein Arbeitgeber ihm verboten hatte, kurze Hosen zu tragen, die Kolleginnen jedoch Kleider und Röcke anziehen durften. Der Protest hatte Erfolg. Der Arbeitgeber des Mannes, ein Callcenter, erlaubte fortan das Tragen von dreiviertellangen Hosen in gedeckten Farben. Ob der Brite trotzdem weiterhin Frauenkleider bei der Arbeit trug, ist nicht bekannt.

In anderen Bereichen der Arbeitswelt, zum Beispiel der Werbung, sind die Kleidungsvorschriften seit jeher weniger streng. Kreativen Köpfen wird legere Kleidung eher nachgesehen als den Außendienstmitarbeitern einer Versicherung. Zum Kundentermin erscheinen jedoch auch die wenigsten Kreativen in Shorts – schon aus Respekt vorm Gegenüber.

Doch keine Regel ohne Ausnahme. Menschen aus Branchen, in denen klassische Kleidung dominiert, können es sich dann leisten, kleidungstechnisch aus der Reihe zu fallen, wenn sie großen Erfolg haben. Sie beweisen damit, dass Konventionen für sie nicht (mehr) gelten und sie es nicht länger nötig haben, durch ihre Kleidung zu beeindrucken. Stattdessen zählen Leistung, Auftreten, Durchsetzungsvermögen, Prestige. Zudem zeigen sie, dass sie dürfen, was anderen verwehrt bleibt, weil sie es sind, die die Regeln bestimmen. Manche Manager wählen daher bewusst rote Schuhe zum dunklen Anzug. Andere wiederum entscheiden sich, einen Rollkragenpullover anstelle eines Hemdes zu tragen. Es gibt sogar Anwälte, die bei hohen Außentemperaturen in kurzen Hosen Mandanten empfangen. Frauen hingegen wählen eher Accessoires, die auffallen, im Einzelfall vielleicht auch noch farbenfrohe Kleidung. Denn zu auffällig sollte es dann doch nicht sein, da bei Frauen im Management noch lange nicht akzeptiert wird, was bei Männern toleriert oder gar mit Hochachtung betrachtet wird. Stattdessen untergräbt es bei Frauen nur zu leicht ihre Autorität, wenn sie mit ihrer Kleidung aus dem Rahmen fallen.

Trotzdem gilt grundsätzlich: Wer sich kleiden möchte, wie er oder sie will, muss nur die Karriereleiter weit genug hinaufklettern. Oder sich bei der eigenen Klientel so unentbehrlich machen, dass diese förmlich darum bettelt, am Erfolg teilzuhaben. Wirklich erfolgreiche Menschen kennen jedoch den Unterschied zwischen gezielter Provokation und dem Überspannen des Bogens. Mit freiem Oberkörper würde deshalb vermutlich kein Manager seinen Kunden gegenübertreten, es sei denn beim gemeinsamen Saunabesuch zur Stärkung der Geschäftsbeziehung. Doch es gibt Menschen, die bewusst auch diese Grenzen überschreiten. Weil sie es können. Der wohl Bekannteste lässt sich mit Vorliebe mit nackter Brust ablichten – beim Angeln, beim Ritt durch die sibirische Tundra, beim Jagen. Sein Name: Wladimir Putin. Ob ein solches Verhalten jedoch im Management zur Regel werden sollte, sei schon aus ästhetischen Gründen dahingestellt. Simone Harland | redaktion@regiomanager.de

Simone Harland
| redaktion@regiomanager.de

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