Büro & Arbeitswelt

NEW WORK: Wirklich, wirklich wollen

Arbeiten, was wir „wirklich, wirklich wollen“. Das ist der Kern des New Work-Konzepts. Für Unternehmer bedeutet dies gigantische Chancen, aber auch erhebliche Risiken.

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von Regiomanager 12.08.2021
(© s4svisuals – stock.adobe.com) | Dr. Maximilian Lange

Bereits in den 1970er-Jahren schuf der deutschstämmige Philosoph Frithjof Bergmann das Konzept „New Work“, der neuen Arbeit. Was damals im US-amerikanischen Städtchen Flint mit Interviews von Fließbandarbeitern begann, ist heute ein wichtiger philosophischer Unterbau für all die großen Tech-Giganten des Silicon Valley. Und auch hierzulande erfreut sich das Konzept zunehmender Beliebtheit.

„Für die meisten Menschen ist Arbeit wie eine leichte Erkältung: Bis Freitag hält man es noch aus.“
Dieses Bergmann-Zitat kann jeder, der einmal abhängig beschäftigt gearbeitet hat, gut nachvollziehen. Es ist eine schreckliche Vorstellung: 40 Jahre lang etwas tun, was man eigentlich gar nicht will, nur um dann bei Renteneintritt festzustellen, dass danach auch nicht mehr viel kommt. „Was ist es, was ich wirklich, wirklich auf dieser Erde will?“ – Diese Frage müsse immer wieder aufs Neue gestellt und dann umgesetzt werden, so Bergmann: Tue ich das, was ich tue, weil ich es wirklich, wirklich will, oder tue ich es aus Faulheit, aus Trägheit oder Feigheit? Wenn es uns gelingt, eine Kultur zu schaffen, in der jeder Mensch einen beträchtlichen Teil seiner Zeit mit einer Arbeit verbringt, die er/sie erfüllend und faszinierend findet, kommen wir auch zu einer Gesellschaft, in der „alles alles stärkt“. Eine paradiesische Vorstellung.


Ihre Rolle als Arbeitgeber


Als Empfänger dieses Magazins sind Sie Unternehmer und mithin in einer herausgehobenen Position mit einer hohen Verantwortung. Denn Sie bieten als Arbeitgeber einen Rahmen, innerhalb dessen sich Ihre Mitarbeiter überhaupt erst entfalten können.
Zudem werden Sie als Unternehmer sich die Frage, was Sie persönlich „wirklich, wirklich wollen“, vermutlich schon öfter gestellt haben. Schließlich ist Ihr Unternehmen ja der Ausdruck dessen, was Sie „wirklich, wirklich wollen“.
Warum aber sollten Sie Ihre Mitarbeiter dazu befähigen, das Gleiche zu tun? Rennen die nicht weg? Ist das nicht viel zu teuer? „Die sollen arbeiten und den Rand halten …“ Ganz so einfach sollten Sie es sich nicht machen. Schließlich ist die neue Arbeit nicht nur für Ihre Angestellten eine Chance, ein sinnerfülltes Leben zu führen, sondern auch für Sie, ein noch besserer Unternehmer zu werden. Und, nebenbei bemerkt, nicht nur aus rein menschlichen Motiven, sondern auch aus ökonomischen.
Denn mit dem Lohn, den Sie zahlen, bilden Sie nicht nur die Existenzgrundlage Ihrer Angestellten, sondern leisten auch eine Kompensation für erlittenen Schmerz. Und je höher der Schmerz, desto höher die erforderliche Kompensation. Je größer hingegen das Vergnügen, desto niedriger die notwendige Kompensation. Das geht sogar so weit, dass Menschen vollkommen unentgeltlich arbeiten: als Trainer im Verein, an Schulen oder im Katastrophenschutz.
Und dass das „Glück“ von Mitarbeitern und Kunden stark mit dem Gewinn korreliert, ist ja allgemein bekannt. Stellen Sie sich vor, bei Ihnen würden nur Menschen arbeiten, die ihren Job „wirklich, wirklich wollen“. Wie stünde es um deren Engagement? Das Mit- und Vorausdenken? Die volle Ladung entfesselter Kreativität, um Ihre Produkte weiterzuentwickeln?


„Alles nur Marketing?“


Das Aufstellen von Kickertischen ist noch keine neue Arbeit. Das ist Kosmetik. Zunächst einmal braucht es auch vonseiten der Geschäftsführung das gemeinsame Menschenbild, dass wir uns miteinander weiterentwickeln wollen. Und dann natürlich das Gespräch – und immer wieder das Gespräch über die Fragen aller Fragen, über das, was wir wirklich, wirklich wollen. Aber bedenken Sie: Neue Arbeit ist kein Freifahrschein für Müßiggang. Im Gegenteil! Anstrengungen und Misserfolge sind elementarer Bestandteil auch von neuer Arbeit, so Bergmann. Selbst bei Google – einem der erfolgreichsten Vorreiter der neuen Arbeit –
arbeiten die Mitarbeiter nicht ausschließlich an Projekten, die sie wirklich, wirklich wollen, sondern vier Tage die Woche an ihren regulären Projekten; freitagnachmittags dürfen sie dann an eigenen Projekten werkeln. Genau diese Kreativität sieht Bergmann denn auch als den Schlüssel, der ihm als Berater für neue Arbeit den Zugang zu all den großen Konzernen verschafft hat, sei es nun im Silicon Valley oder anderswo.


Der Tsunami kommt noch


Ein wichtiger Grund, warum wir uns im REGIO MANAGER Themen wie der neuen Arbeit widmen, ist die Überzeugung, dass uns als Unternehmern in den kommenden Jahren ganz massive Umwälzungen bevorstehen. Jede Branche hat ihre eigenen Herausforderungen. Doch New Work betrifft alle Branchen und kann ein wichtiger Baustein sein, um aus dem, was da kommt, das Beste zu machen. „Wenn wir nicht sehr fantasievoll sind, wird uns die Woge der Veränderung ersäufen“, mahnt Bergmann. Doch wir könnten diesen Tsunami umgestalten und daraus etwas sehr, sehr Positives machen.
Hier eine kleine Zusammenstellung von Trends, die diese These stützen:

1. Alles wird VUCA: Das Akronym steht für volatility (Volatilität), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity (Mehrdeutigkeit). Genau diese Trends werden von vielen Experten beobachtet und setzen Unternehmer und Manager immer mehr unter Zugzwang, sich immer schneller und immer flexibler an ihre Umwelt anzupassen.

2. Mangelware Fachkraft: Wie viel wurde schon geschrieben über die Unterschiede zwischen den Arbeitnehmer-Generationen x, y und z!? Sicherlich ist vieles Spekulation. Fest steht aber, dass die Alterspyramide immer mehr einem Sektkorken ähnelt: Die jungen Menschen können sich zunehmend aussuchen, wo sie arbeiten.

3. Digitalisierung nimmt Fahrt auf: Wenn sich die Prozessorleistung alle zwei Jahre verdoppelt (Mooresches Gesetz), dann kommen wir schon bald in eine Situation, die der Schachbrettlegende ähnelt, in der ein chinesischer Herrscher versprach, pro Feld des Schachspiels die Zahl der Körner zu verdoppeln. Hierbei handelt es sich um exponentielles Wachstum, und nicht um ein lineares. Ein Phänomen, das übrigens auch die Corona-Pandemie so schwer begreiflich macht. Bei den 64 Feldern des Schachspiels kommen wir übrigens auf 730 Milliarden Tonnen Weizen, etwa die 1.000-fache Weltproduktion des Jahres 2014/2015.

4. Automatisierung: Wenn sich Digitalisierung, künstliche Intelligenz und 3D-Druck miteinander vermählen, werden sehr schnell neue Player sehr mächtig werden. Auch wenn das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, Tesla hat bewiesen, wie schnell Wachstum gehen kann. Am 22.1.2020 überholte das 2003 gegründete Unternehmen aus Palo Alto mit 100 Milliarden Dollar den Börsenwert von VW, dem zahlenmäßig größten Automobilhersteller der Welt.

5. Corona: Auch wenn wir es jetzt vielleicht noch nicht merken, die Corona-Krise hat viel verändert. Die Art, wie wir kommunizieren, wie wir arbeiten und leben möchten. Wie wir uns Neuem gegenüber öffnen. Corona ist ein wesentlicher Brandbeschleuniger der oben genannten Punkte.

Dies führt dazu, dass Unternehmen sich immer schneller dem Wandel anpassen müssen. Aber auch, dass sie die Menschen, die in ihrem Unternehmen arbeiten, immer stärker mitnehmen und ihnen mehr und mehr die Möglichkeit geben müssen, das zu tun, was sie wirklich, wirklich wollen. New Work sieht Bergmann denn auch als „notwendige Antwort auf Digitalisierung und Automatisierung“. „Wir werden die Automatisierung schlecht überleben ohne die neue Arbeit“, warnt Bergmann.

Glossar der neuen Arbeit

Neue Arbeit/New Work basiert zwar auf der Frage, was wir „wirklich, wirklich wollen“, aber drum herum haben sich ganz viele verschiedene Methoden und Ansätze entwickelt, die immer wieder unter dem Begriff subsumiert werden, auch wenn die Beziehung vielleicht nur locker ist – weil ihnen allen gemeinsam ist, dass sie die Art und Weise, wie wir arbeiten, verändern. Hier ein kleiner Überblick über die wichtigsten Konzepte:

Agilität

Was wir heute unter dem Begriff „agiles Arbeiten“ verstehen, basiert auf dem „Agilen Manifest“ von 2001.
Darin wird beschrieben, wie Software oder auch jedes beliebige andere Projekt –
anstatt dem bis dahin vorherrschenden Wasserfallmodell – agil entwickelt werden kann, der Plan sich also immer wieder flexibel den Wünschen des Kunden anpasst.

Scrum

Scrum basiert auf dem Agilen Manifest und bietet ein einheitliches Framework mit fester Rollenverteilung in agilen Teams. 2010 wurde der erste Scrum Guide (scrumguides.org) veröffentlicht. Im Scrum pflegt der Product Owner das Backlog mit allen Ideen, die das Produkt können soll.
Das Scrum-Team (gegebenenfalls mit Scrum Master) setzt in einem festen Zeitraum einen Teil hiervon um (Increment). Anschließend prüft der Product Owner das Erreichte und der nächste Sprint beginnt.

Design Thinking

Beim Design Thinking stehen die Wünsche der Kunden im Mittelpunkt. In Workshops werden Customer Journeys entwickelt, also alle Touchpoints (Momente, in denen Kunde und Unternehmen interagieren) entsprechend einer typischen Kaufentscheidung und -abwicklung analysiert, um das echte Kunden-Interesse zu erarbeiten.

Jobsharing

Wenn Jobs gut durchdacht sind, können sich mehrere Personen einzelne Job-Positionen teilen. Dies funktioniert übrigens auch für Führungsaufgaben. Chef in Teilzeit.

Remote Work

Den Großteil aller Bürojobs kann man auch remote, also von außerhalb des Büros, ausführen. Das muss nicht das Homeoffice sein. Ein Strandkorb an der Ostsee, ein Hotel auf den Malediven oder das Café um die Ecke funktionieren oft genauso gut.

Crowdworking

Beim Crowdworking werden Jobs in teils winzig kleine Arbeitspakete unterteilt und von vielen freien Mitarbeitern in der Cloud erledigt. Gerade im IT-Bereich sind Freelancer-Börsen beliebt, über die Teilprojekte weltweit vergeben werden können.

New Leadership

Das Modell des Chefs alter Schule hat beim New Leadership ausgedient.
Hier zählt Führung durch Mentoring und Leitbilder, nicht durch Kontrolle im klassischen Sinne (im Extremfall: Micromanagement).

Selbstorganisierende Teams

Im Idealfall organisieren sich die Teams selbst, ohne dass der Verantwortliche (Chef) eingreifen müsste. Sobald die Mitarbeiter einmal wissen, was sie tun sollen, geschieht alles von ganz allein.

Objectives and Key Results (OKR)

Auch wenn selbstorganisierende Teams keine Führung im klassischen Sinne benötigen, so müssen doch alle Aktivitäten aller Mitarbeiter auf das gemeinsame Ziel hin ausgerichtet werden.
Dies geschieht mittels sogenannter OKRs. Zwei bis vier abstrakten Zielen (Objectives) sind jeweils zwei bis vier messbare Einheiten (Key Results) zugeordnet. Die Entwicklung der OKRs erfolgt Bottom-up, nicht Top-down.Dr. Maximilian Lange
| redaktion@regiomanager.de

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