Mobilität & Logistik

E-Mobilität: Revolution mit Chancen und Risiken

Fast schleichend haben sich E-Autos in den vergangenen fünf Jahren in den Automarkt vorgearbeitet. Mehr und mehr werden sie auch im Straßenbild sichtbar.

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von Regiomanager 20.07.2021
| Dr. Martin Steffan

Tausende von Vorbestellungen von E-Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden sind ein klares Zeichen dafür, dass ein fundamentaler Wechsel im Markt ansteht. Den Käufern von Verbrennerfahrzeugen dagegen wird es zunehmend schwerer gemacht. Höhere Kfz-Steuern, steigende Benzin- und Dieselpreise zu Beginn des Jahres und immer strengere Abgasvorschriften, die sich möglicherweise noch weiter verschärfen werden – all das sich Hürden, die den Kauf von Autos mit der alten, fast 100 Jahre dominierenden Verbrennertechnik zunehmend erschweren.


Mitten in der Umbruchphase

Wo also geht es lang mit der Elektromobilität? Welche Chancen und Risiken ergeben sich im Autohandel, der sich in einer enormen Umbruchphase befindet? Mehrere Trends im Markt deuten auf einen gewaltigen Umbruch hin, der durch die Digitalisierung der Autogeschäfte noch weiter verschärft wird.
Das sollte aber weder Endverbrauchern, Autoherstellern noch Zulieferern oder Händlern Angst machen, denn Umbrüche hat es immer gegeben. Von den Webstühlen in den Spinnereien des frühen 18. Jahrhunderts, die durch Webmaschinen ersetzt wurden, bis hin zu digitalen Fotoapparaten, die die alten analogen mit einzulegendem Film innerhalb weniger Jahre ersetzt haben. Erkennen, begleiten und sich mit neuen, ergänzenden Produkten oder Dienstleistungen auf diesen Wandel einstellen, heißt das Gebot der Stunde. Denn warnende Beispiele, wie so ein Wandel verschlafen oder gar komplett von Firmenlenkern ignoriert wurde, gibt es viele. Fotoapparate-Weltmarktführer Kodak hat sich lange gegen die Produktion und den Verkauf von digitalen Fotokameras gewehrt und bekam die Quittung dafür über den Markt. Ein anderes, oft zitiertes Beispiel ist Nokia. Der finnische Handy-Konzern beharrte auf dem Verkauf seiner marktführenden Produkte und verlor das Gespür für eine andere Marktentwicklung, nämlich die Ablösung der Handys durch Smartphones.


Solide E-Autotechnik
„made in Germany“

Auch in der deutschen Automobilindustrie gab es lange Zeit die Neigung, auch weiterhin nur Verbrenner zu verkaufen. Warum, so fragte man sich in den Chefetagen, sollte man ein erfolgreiches Geschäftsmodell mit weltweit hoch angesehenen Benziner- und vor allem Dieselfahrzeugen plötzlich ändern? Diese Frage muss man sich heute nicht mehr stellen; die Chefetagen haben sozusagen noch rechtzeitig „die Kurve gekriegt“ und bieten mittlerweile sehr gute wettbewerbsfähige E-Fahrzeuge an. Befördert wurde diese Entwicklung natürlich auch durch den Abgasskandal, der zeigte, dass es unter Kostengesichtspunkten immer schwieriger wird, günstige Abgastechnik in Verbrenner zu verbauen, wenn verschärfende Umweltstandards eingehalten werden müssen.
Vor diesem Hintergrund ist die derzeitige Entwicklung, wonach immer mehr solide gebaute Elektrofahrzeuge eine immer größere Reichweite haben, erfreulich. Tausende Arbeitsplätze können hierdurch in Deutschland in den Werksproduktionen erhalten bleiben. Arbeitsplätze, die auf Verbrennertechnologie ausgerichtet sind, dürften verstärkt wegfallen.
Bisher haben noch Forschung, Entwicklung und der Aufbau neuer Produktionsketten für E-Autos die Beschäftigung in diesem Sektor gestützt. Es wurden neue Kapazitäten für E-Autos aufgebaut, während die Produktionshallen für die Verbrenner weitgehend noch erhalten blieben. Allerdings hat der Stellenabbau bei den Autobauern und Zulieferern schon schleichend begonnen und wird sich weiter beschleunigen, laut Aussage des Ifo Instituts München.


Jeder dritte Job gefährdet

Durch die Umstellung auf E-Mobile könnte schon in wenigen Monaten fast ein Drittel der Jobs in der Benzin- und Diesel-Autoproduktion auf der Kippe stehen. Noch rund 613.000 Arbeitsplätze in Deutschland hängen an diesen Fahrzeugen. Mit dem Hochlauf der Elektromobilität stünden 2025, so die Instituts-Studie, die im Auftrag des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) erstellt wurde, „zwischen 29 Prozent und 36 Prozent der betroffenen Beschäftigten zur Disposition“. Konkret bedeutet das: Bis zu 221.000 Beschäftigte könnten also schon in weniger als fünf Jahren wegfallen. Auch wenn etwa 86.000 von ihnen bis dahin in Rente gehen könnten, bliebe eine große Menge an freigesetzten Arbeitnehmern, die sich einen neuen Job suchen müssten.
Alle, die aber in Beschäftigung bleiben würden, könnten auf die mittlerweile sehr soliden E-Fahrzeuge, die hierzulande gebaut werden, vertrauen. Technisch ansprechende Fahrzeuge wie der BMW i3 oder i8 oder ganz neue Modelle wie der VW ID.3 oder ID.4 erzielen Reichweiten von 450 bis 530 Kilometer mit einer Ladung und kommen damit in Bereiche, die auch für Langstreckenfahrer interessant sind. Andere Leuchtturmmodelle wie der VW e-up, der in Deutschland äußerst beliebte Renault ZOE, der Opel Mokka oder der reichweitenstarke Hyundai KONA befördern die Kauflaune eines immer größer werdenden Publikums, das die von der Bundesregierung eingeleitete Verkehrswende hin zu immer CO2-ärmerer Mobilitiät mitträgt.


BMW setzt weiterhin
auf Verbrenner

Trotzdem will nicht jeder Hersteller gleich sofort voll aufs „Elektro-Pferd“ setzen. So möchte BMW noch lange Benzin- und Dieselautos herstellen. Firmenchef Oliver Zipse begründete das in einem Interview mit den Wünschen der Kunden. „Die wahren Entscheider in unserer Industrie sind die Kunden. Und die sollte man nie aus den Augen verlieren“, sagte er der Passauer Neuen Presse und dem Donaukurier. Zipse verwies auf die Pläne von BMW, 2030 die Hälfte der Autos mit rein batterieelektrischem Antrieb verkaufen zu wollen. „Wenn ein Hersteller dann kein Verbrennerangebot mehr hat, dann geht ihm das halbe Marktvolumen verloren und er befindet sich auf einem unternehmerischen Schrumpfungskurs.“ Zwar werde es in den kommenden 15 Jahren Städte, Regionen und Länder geben, in denen sich der Transformationsprozess zur Elektromobilität vollständig vollziehe. Aber in der Summe der weltweit 140 BMW-Märkte werde das nicht der Fall sein.


Umbruch ja, Einbruch nein

Was aber bedeutet das nun für die Autohäuser in unseren Städten, die produzierte Autos verkaufen? Eine Menge. Chancen und Risiken halten sich die Waage. Zum einen ergibt sich für die Häuser die Chance, völlig neue Käuferschichten zu erreichen, z.B. umweltbewusste Fahrer mit einer Affinität zu neuen Technologien. Wer das hier schlummernde Potenzial erkennt, kann sich möglicherweise einen völlig neuen Kundenstamm aufbauen, während die Verbrennerliebhaber nicht unbedingt verschwinden. Es lohnt sich also für die Autohäuser, genau hinzusehen, wie die Konzernstrategie der jeweiligen Marke aussieht. Entsprechend können die Händler dann selbst sehen, wie sie ihre eigene Verkaufsstrategie in Zukunft kreieren wollen.
Beim Ausstieg sind viele Branchen negativ betroffen. Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen, die durch den Umstieg auf E-Fahrzeuge ausgelöst werden. Ein gutes Beispiel ist hier der deutsche Maschinen- und Anlagenbau. Bis 2030 werden die Investitionen in Werkzeugmaschinen, die zur Herstellung von Motoren und Getrieben benötigt werden, weltweit von heute 6,8 Milliarden US-Dollar auf 5,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 zurückgehen – umgerechnet ein Viertel des Marktes oder 2,9 Prozent pro Jahr. Besonders betroffen sein werden Maschinen, die für die Produktion von Verbrennungsmotoren genutzt werden. Minus 65 Prozent bis 2030 schlagen hier laut einer Studie von McKinsey & Company zu Buche.


Maschinenbau spürt Anpassung

Im gleichen Zeitraum werden die Investitionen in Maschinen für die E-Auto-Herstellung um 10,5 Prozent jährlich wachsen. Dieser Markt wird 2030 mit 3,1 Milliarden US-Dollar größer sein als der Werkzeugmaschinenmarkt für konventionelle Antriebe, der auf circa 2 Milliarden US-Dollar zurückgehen wird.
„Die Autoindustrie fährt ihre Investitionen in Maschinen für konventionelle Antriebe zurück – gleichzeitig kann die E-Mobilität dies heute noch nicht kompensieren“, erläutert Markus Simon, Partner im Kölner Büro von McKinsey. „Schon jetzt werden bestehende Maschinen von der Autoindustrie länger genutzt; gleichzeitig streichen viele Autobauer die Motorenvarianten für konventionelle Antriebe zusammen.“ Zugleich ändere sich die Zusammensetzung des Antriebsstrangs im Elektroauto. Die Zahl der wichtigsten Komponenten sinke von über 30 in einem Auto mit Verbrennungsmotor auf weniger als zehn für ein batterieelektrisches Fahrzeug. Darüber hinaus führe auch die weitere Konsolidierung der Automobilindustrie in Europa zu sinkenden Investitionen. „Der schrumpfende Markt sollte ein Weckruf für den Maschinenbau sein – denn Investitionsentscheidungen für Maschinen werden mit zwei bis drei Jahren Vorlauf getroffen. Deshalb haben Unternehmen, die sich jetzt anpassen, eine gute Chance, auch langfristig erfolgreich zu sein“, sagt Markus Simon. So sei denkbar, das bestehende Geschäft mit konventionellen Antrieben noch so lange wie möglich – bei großer Kostendisziplin – profitabel zu betreiben.


Zuschüsse wirken

Aus Endverbrauchersicht ist es vor allem die politisch induzierte Kaufprämie, die den E-Auto-Markt in Deutschland befördert und damit technik- und umweltschutzaffinen Fahrern in die Karten spielt. E-Fahrzeuge, Plug-in-Hybride und seit wenigen Monaten auch Wallboxen werden stark gefördert. Die Förderprogramme erfreuen sich so großer Beliebtheit, dass es laut Auskunft des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) bei der Bearbeitung der Anträge zu starken Verzögerungen kommt. Kein Wunder, denn die Zuschüsse sind beachtlich. So gewährt der Bund beim Kauf eines reinen Batterieelektro- oder Brennstoffzellenfahrzeugs unter einem Nettolistenpreis von 40.000 Euro einen Betrag von 6.000 Euro, mit weiteren bis zu 3.000 Euro fördert der Hersteller den Kauf eines E-Fahrzeugs.
Ist der Nettolistenpreis des Fahrzeugs höher als 40.000 Euro, gibt es noch Prämien von insgesamt 7.500 Euro. Einige Hersteller wie Hyundai oder Renault legen noch eine Schippe drauf beim Kauf ihrer E-Autos und sponsern on top weitere 1.000 bis 2.000 Euro. Bei Plug-in-Hybriden gibt es immerhin noch eine Förderung von maximal 6.750 Euro. Hinzu kommen Zuschüsse zur Wall-Box in der eigenen Garage sowie massive Vorteile bei der Dienstwagenbesteuerung. Ganz nach dem Motto: Viel hilft viel.

Dr. Martin Steffan | redaktion@regiomanager.de

Dr. Martin Steffan | redaktion@regiomanager.de

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