Ver- und Entsorgung in Südwestfalen

Industriegase: Gute Geschäfte mit dem „Chaos“

Ohne Industriegase sind viele industrielle Herstellungsprozesse nahezu undenkbar.

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von Regiomanager 08.01.2020 Anzeige
(Foto: ©Scanrail– stock.adobe.com)

Namenspate ist der belgische Naturforscher Johan Baptista van Helmont: Als dieser im 17. Jahrhundert eine Bezeichnung für den durch Kälte entstandenen Dunst des Wassers suchte, fand er mit dem griechischen Wort „χάος“ eine geniale Bezeichnung für „Gas“: „Chaos“ heißt die Übersetzung des ähnlich ausgesprochenen Wortes, mit der van Helmont trefflich die charakteristischen Eigenschaften des Stoffes beschrieb: Gas-Moleküle bewegen sich „chaotisch im Raum“, sie rotieren und vibrieren voneinander gelöst, sind also ganz anders als die feste Materie, mit der man üblicherweise zu tun hat, die man in den Händen halten kann.
„Gasförmig“ ist neben „fest“ und „flüssig“ der dritte klassische Aggregatzustand. Und mit dem hat die Menschheit von Beginn ihres Daseins zu tun. Als Luft bezeichnet man das Gasgemisch der Erdatmosphäre. Stickstoff und Sauerstoff sind Hauptbestandteile. Daneben komplettieren die Edelgase Argon, Helium, Krypton und Xenon sowie Spurenstoffe wie Kohlendioxid, Methan, Wasserstoff, Distickstoffmonoxid und Kohlenmonoxid die Zusammensetzung der Luft. Gase sind eigentlich „überall“. Sie haben im Laufe der Jahrzehnte eine Bedeutung eingenommen, von der ihr Namensgeber nicht zu träumen gewagt hätte.

Industrie benötigt Gase

Wenn der Verbraucher über „Gas“ spricht, meint er zumeist „Erdgas“, das aus unterirdischen Lagerstätten gewonnen wird und zum wichtigsten Energieträger geworden ist. Erdgas besteht aus Propan, Butan und deren Gemischen und wird bereits unter geringem Druck flüssig. Der Energieträger verbrennt CO2-reduziert und schadstoffarm. Flüssiggas wird für Heiz- und Kühlzwecke, als Kraftstoff (Autogas), in Industrie und Landwirtschaft sowie im Freizeitbereich eingesetzt. Daneben gibt es aber eine Palette von Gasen, ohne die moderne industrielle Herstellungsprozesse nahezu undenkbar wären. „Technische Gase“ oder „Industriegase“ heißen sie, weil sie in verfahrenstechnischen Anlagen erzeugt werden. Gase werden eingesetzt für Schneid- und Schweißverfahren, zur Düngung und Trocknung in der Landwirtschaft und auch zum Karbonisieren von Getränken.
So ist Stickstoff für die Luft- und Raumfahrt relevant und spielt in den Auto-Airbags eine wichtige Rolle. Technische Gase werden auch beim Verpacken von Lebensmitteln eingesetzt. Dabei hemmen Stickstoff und Kohlendioxid die Sauerstoffkonzentration, Frischfleisch und Salat erhalten dagegen eine „Sauerstoff-Versorgung“. Große Bedeutung haben auch medizinische Gase, wie beispielsweise Sauerstoff (O2), Kohlenstoffdioxid (CO2), Lachgas (N2O), Helium (He) oder Stickstoff (N2), als Arzneimittel oder Medizinprodukt. Krankenhäuser und Ärzte benötigen hochreine Luft, Helium, Stickstoff und andere Gase als Hilfsmittel. Reiner Sauerstoff spart aber auch in der Stahlproduktion große Mengen an Brennstoff und verringert den Ausstoß umweltbelastender Stickstoffoxide.

Industriegase-Verband

Begleitet werden diese Anwendungen vom Industriegase-Verband (IGV) mit Sitz in Berlin, der auch dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der European Industrial Gases Association (EIGA) angehört. Mitglieder sind Unternehmen, die in Deutschland Industriegase herstellen und/oder abfüllen und vertreiben. Im IGV sind Unternehmen zusammengeschlossen. Der Verband fördert die Sicherheit, den Umweltschutz und die Technik bei der Herstellung und dem Umgang mit Industriegasen. Er organisiert sich in Fachgruppen, die sich mit den jeweiligen speziellen Anforderungen und Themenbereichen auseinandersetzen und wichtige Informationen in die Mitgliedsunternehmen transportieren. Für kleine Abnahmemengen aus den Bereichen Handwerk oder Krankenhäuser wird Industriegas in Gasflaschen oder Gasflaschenbündeln abgefüllt, größere Mengen werden per Tankwagen transportiert, Großverbraucher werden auch über mehrere hundert Kilometer lange Rohrleitungsnetze unter anderen mit Sauerstoff oder Wasserstoff versorgt. Für Großabnehmer bieten die Produzenten sogar den Bau von Gaserzeugungsanlagen für ganz individuelle Anforderungen an.

Weltweit dominieren drei große Produzenten

Neben den regional und national agierenden Produzenten, Abfüllern und Vertrieblern ist der globale Markt mit einer ganz besonderen Konstellation aufgestellt: Weltweit dominieren lediglich drei große Produzenten das Geschehen. Einer davon war bislang das deutsche Unternehmen Linde. Das steht in der Tradition von Carl von Linde, dem es 1895 gelang, flüssige Luft kontinuierlich und in für technische Anwendungen nötigen Mengen herzustellen. Aus seinen Ideen entwickelte sich ein Imperium, das als Linde Group bis vor Jahresfrist globale Bedeutung verteidigte. Bei einem Umsatz von 20 Milliarden Euro und etwa 64.000 Beschäftigten wurde Linde lediglich vom französischen Konkurrenten Air Liquide/Airgas übertroffen. Nun hat Linde mit dem amerikanischen Industriegas-Produzenten Praxair einen Fusions-Partner gefunden: Der neue Konzern ist auf dem Weltmarkt unangreifbar. Er soll zum Weltmarktführer für Industriegase mit 66 Milliarden Euro Börsenwert werden. Kritische Stimmen haben sich allerdings auch zu Wort gemeldet: Das neue Unternehmen soll zwar nach wie vor Linde heißen, doch als Chef führt der Praxair-Vorstandsvorsitzende Steve Angel von Danbury in den USA aus das Unternehmen. Unternehmenssitz soll die irische Hauptstadt Dublin werden. Nicht nur Gewerkschafter kritisieren, dass Deutschland erneut ein bedeutendes Unternehmen verliert.
Die EU-Kommission und auch die US-Behörden haben ihre Zustimmung erteilt. Linde musste verschiedene Geschäftsteile abgeben, sein Massengeschäft in den USA sowie das Geschäft in Kanada und Südamerika gingen an den hessischen Gasekonzern Messer. Auch der spielt eine gewichtige Rolle, rangiert weltweit auf Rang sieben und gilt als größter eigentümergeführter Industriegasespezialist. Reinhold Häken | redaktion@regiomanager.de

INFO

Welt der Gase

Unterschiedliche Verfahren zur Gasgewinnung


Unter dem Begriff „Industriegase“ werden zahlreiche Gase zusammengefasst, welche sowohl die produzierende Industrie als auch die Medizin für sich nutzt. Sie lassen sich gemäß ihrer Verwendung und auch ihres Ursprungs unterscheiden. So gibt es beispielsweise Prozessgase, wie Helium, Ethin oder Wasserstoff; Atmosphärische Gase, wie Stickstoff, Sauerstoff, Kohlenmonoxid oder -dioxid; Medizinisch nutzbare Gase, wie Sauerstoff und Gemische aus Carbogen; Edelgase, wie Neon, Krypton und auch Xenon.

Technische Gase werden auf unterschiedliche Weise gewonnen. So sind Sauerstoff, Argon, Stickstoff, Xenon oder auch Neon natürliche Bestandteile der atmosphärischen Luft und werden daraus in speziellen „Luftzerlegungsanlagen“ in komplexen, mehrstufigen physikalischen Prozessen gewonnen. Kohlendioxid wird aus der Abluft von Industriebetrieben, aber auch aus natürlichen Bodenquellen gewonnen, Wasserstoff und Acetylen hingegen werden chemisch hergestellt.

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